Klage von Böhmermann gegen Merkel "Kaum Aussicht auf Erfolg"

Jan Böhmermann droht Merkel mit einer Klage, sollte sie ihr Urteil über sein "Schmähgedicht" nicht zurücknehmen. Ist das mehr als PR? Fragen an einen Experten für Medienrecht.

Lange war es ruhig um die Causa, die zwischendurch für eine diplomatische Krise mit der Türkei sorgte - jetzt gibt es Neuigkeiten in Sachen "Schmähgedicht" gegen den türkischen Präsidenten Erdogan: Der TV-Entertainer Jan Böhmermann droht Kanzlerin Merkel mit einer Klage. Das schrieb zuerst der "Tagesspiegel", der einen Brief von Böhmermanns Anwalt Christian Schertz öffentlich machte.  In dem Brief wird Angela Merkel aufgefordert, ihre damalige Einschätzung, Böhmermanns Satiregedicht über Erdogan sei "bewusst verletzend" gewesen, zurückzunehmen. Diese Aussage hält Schertz für rechtswidrig: Merkel habe damit ihre Kompetenz als Bundeskanzlerin überschritten. Sollte sie ihre Bewertung nicht zurücknehmen, werde er Böhmermann empfehlen, Merkel zu verklagen.

ZUR PERSON
Foto: Jan Felber

Jonas Kahl ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei "Spirit Legal" und hat sich auf Medien-, Presse-, Urheber- und Wettbewerbsrecht spezialisiert.

SPIEGEL ONLINE: Herr Kahl, ist die Androhung einer Klage mehr als nur eine öffentlichkeitswirksame Aktion des Medienanwalts Christian Schertz, der sich ja durchaus auf PR versteht?

Kahl: Der PR-Effekt ist sicherlich für alle Beteiligten nicht schädlich, klar. Zugleich kann ich aber auch Herrn Böhmermann verstehen: Er hat sich vorverurteilt gefühlt und ist enttäuscht, dass ihn die Kanzlerin rhetorisch ans Messer geliefert hat. Es ist legitim, das juristisch zu klären.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich Angela Merkel denn rechtswidrig verhalten, als sie sein Satiregedicht 2016 als "bewusst verletzend" bezeichnete?

Kahl: "Bewusst verletzend" ist die juristische Definition einer Schmähkritik. Die Kanzlerin hat damit - ob bewusst oder unbewusst - eine juristische Wertung vorgenommen. Als Bundeskanzlerin, also Exekutive, kann man ihr vorwerfen, dass ihr das nicht zusteht, sondern dass das allein eine Angelegenheit der Justiz ist.

SPIEGEL ONLINE: Die Klage wird in einem offenen Brief angedroht. Was ist die juristische Grundlage dafür?

Kahl: Die Klage könnte sich im Wesentlichen auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Sachlichkeitsgebot stützen. Doch zum Zeitpunkt der Äußerung der Kanzlerin gab es weder das Zivilverfahren noch das Strafverfahren. Insofern kann man Merkel nur schwer den Vorwurf machen, dass sie mit ihrer Äußerung gezielt Einfluss auf die Justiz nehmen wollte. Die bewusste Absicht, auf gerichtliche Verfahren Einfluss nehmen zu wollen, ist aber der maßgebliche Punkt, wenn man auf eine Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zielt. Das sehe ich hier nicht.

SPIEGEL ONLINE: War es denn eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots?

Kahl: Das Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot verpflichtet die Bundesregierung dazu, in ihrer Informationsarbeit und öffentlichen Äußerungen grundsätzlich sachlich zu sein. Böhmermanns Anwalt Schertz wirft der Kanzlerin vor, sich nur unzureichend informiert zu haben. Das spricht dafür, dass sie ihre Wertung nicht auf voller Faktengrundlage und damit nicht sachlich getroffen hat. Dennoch habe ich meine Probleme damit, hier eine Verletzung des Gebots zu sehen, da die Kanzlerin sich zwar nicht unter voller Sachkenntnis, aber trotzdem nicht etwa beleidigend oder völlig sachfremd geäußert hat.

SPIEGEL ONLINE: Falls es zu einer Klage kommen sollte - hätte diese Aussicht auf Erfolg?

Kahl: Ich glaube, das hat kaum Aussicht auf Erfolg. Letztlich werden die Interessen der Bundesregierung gegen die Rechte Böhmermanns abgewogen. Am Ende wird die Äußerung der Kanzlerin damit zu rechtfertigen sein, dass sich hier eine enorme außenpolitische Dimension, nämlich eine diplomatische Krise mit der Türkei, auftat. Hier muss es der Kanzlerin offenstehen, eine Wertung zu treffen, allein, um die Wogen zu glätten. Im Übrigen hat Merkel im April 2016 ja bereits selbst einen Fehler in der Sache eingestanden, als sie sagte, sie ärgere sich über ihren Wortlaut. Darauf könnte sie sich jetzt beziehen.

SPIEGEL ONLINE: Die Kanzlerin sprach bei der Dieselaffäre von "Betrug". Klagt nun als nächstes die Autoindustrie wegen Vorverurteilung?

Kahl: Das ist eine durchaus vergleichbare Konstellation. Politiker geben oft juristisch klingende Äußerungen ab - denken wir daran, als Gerhard Schröder über pädophile Sexualstraftäter sagte: "Wegsperren für immer". Man muss immer im Einzelfall schauen, was die Zielrichtung war: eine politische Wertung oder eine gezielte Einflussnahme auf laufende Gerichtsverfahren? Das kann man in beiden Fällen - Böhmermann und Autoindustrie - verneinen.

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