Jazz-Tipp Swingmusiker im Pop-Paradies
Als Roger Cicero noch Jazzmusiker war, trug er nicht ständig dieses Blues-Brother-Hütchen. Jetzt setzt er die Kopfbedeckung nicht einmal beim Plausch in der Luxus-Lounge seines Plattenlabels ab. Ist das notwendige Corporate Identity eines Stars?
Wer sich mit Cicero unterhält, stellt fest, dass er der sympathische Kumpel geblieben ist, als den ihn seine Jazz-Kollegen kennen: unaufgeblasen-freundlich mit einem Schuss Selbstironie. Dabei genießt er höchste Achtung als Profi, der Stücke arrangiert und ein legendäres Solo des Saxofon-Giganten James Moody als Scat-Sänger virtuos interpretieren kann.
Das war 2005 auf seiner letzten reinen Jazz-CD (mit der Combo After Hours) zu hören. In den vergangenen Jahren gab es Gigs mit der Band Soulounge, ein anspruchsvolles Album mit der Pianistin Julia Hülsmann. "Ich tue, was mir Spaß macht und kann davon leben", so lautete Ciceros Einstellung. Dann erschien 2006 die CD "Männersachen", und der Bigband-Swing mit deutschen Texten machte den inzwischen 37-Jährigen innerhalb von Wochen im ganzen Land bekannt. Obwohl er schon so lange im Geschäft sei, habe er "ein Jahr der ersten Male" hinter sich, sagt der späte Aufsteiger über sein neues Leben und klingt dabei, als sei er selbst noch überrascht.
Das heißt: Statt in kleinen Clubs tritt er nun in großen Sälen auf, bis hin zur Köln Arena mit 6.000 Plätzen; Talk-Shows laden den Musiker ein; Fans schreiben ihm oder bitten auf der Straße um Autogramme manche sind im Rentenalter, andere gehen noch nicht zur Schule. So imitiert ein Fünfjähriger namens Paul den Sänger im Internet und ist auch schon im Fernsehen aufgetreten: "Der Junge ist fast so berühmt wie ich", sagt Cicero.
Mit dem Titel "Frauen regiern die Welt" gewann Roger Cicero den deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2007. "Ein Swingsänger mit einer Bigband vertritt sein Land auf Europas größtem Schlager-Festival?", wunderte sich damals ein amerikanischer Jazzmusiker, "da kann man ja wieder an die Menschheit glauben." Dass Cicero 19. unter 24 Teilnehmern wird, tut nichts zur Sache. Swing gilt als popmusikalische Antiquität.
Zu Zeiten Benny Goodmans beherrschte Swing zuletzt die Hitparaden. Aber anders als etwa Bebop hat Swing nach dessen Rhythmen man tanzen kann immer wieder Künstler aus dem Showgeschäft fasziniert. Cicero nennt Robbie Williams. Der Ausflug des Popstars in den Bigband-Swing brachte diese Musik einem jungen Publikum nahe und bereitete sicher Ciceros Erfolg in Deutschland mit vor.
Ein Schlüssel zum Erfolg sind aber auch die Texte von Frank Ramond, der auch für Annett Louisan arbeitet. Allerdings ist dem Jazz- und Soul-erfahrenen Cicero das Singen in deutscher Sprache nicht leicht gefallen. "Erst jetzt, nach hundert Auftritten, klinge ich so, wie ich mich kenne", sagt er, "das hört man auf der neuen CD." Das Album mit dem Titel "beziehungsweise" folgt dem Muster der "Männersachen" pfiffige Texte, swingende Bigband-Arrangements. Es kommt im Oktober auf den Markt; live zu erleben ist Roger Cicero mit den neuen Stücken auf einer Frühjahrstour 2008 mit fast 40 Terminen in den größten Hallen der Republik und Abstechern in die Schweiz und nach Österreich. Er bewältigt das Programm eines Popstars.
Weil er das "aufregend und total ausfüllend" findet, sehnt sich der Cicero bislang nicht nach seinem früheren Leben. Zudem sei er "nicht aus der Jazzwelt weggegangen". So hat er vertraglich sichergestellt, dass er auch mit der Combo After Hours arbeiten darf. Und kürzlich tauchte der neue Star bei einer Jam Session im Hamburger Club "Hörsaal" auf und sang vor 20 Leuten. "Das werde ich öfter machen", verspricht er.
In der Jazz-Szene herrscht denn auch vorwiegend Freude, dass einer von ihnen so grandios aufgestiegen ist. Er könne doch als "Werbeträger für den Jazz" wirken, heißt es über Roger Cicero. Der hat immerhin schon elf Musikanten gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen: Die Mitglieder seiner Bigband kommen alle aus dem Jazz-Milieu.