Jelinek-Erstaufführung Zur Kenntlichkeit entstellt
"Ich buder sie in Arsch, das sag ich dir. In Arsch", geifert ein spillriger Anzugträger seinem Kompagnon entgegen. "Buder sie, wohin du willst. Sie hat eine tolle Persönlichkeit und spricht viele Sprachen", entgegnet der Kompagnon im gediegenen Oberlehrerton. Und schiebt fachkundig nach: "Ich habe ja nicht gesagt, sie ist eine Mega-Prinzessin, aber sie ist sexy, hat tolle Titten."
Hier spricht der Kenner und Genießer; der Experte auf dem Feld der Frauenfleischbeschau. Und weil die Schauspieler Sebastian Rudolph und Ingo Hülsmann diese beiden Bescheidwisser brüllend komisch bald auf der Hamburgischen, bald auf der Pfälzer Dialekt-Klaviatur - herunterorgeln, schnurrt in diesem Dialog nicht nur die Frau als ewiges Opfer, sondern auch das ganze komplexe Männerelend grandios zusammen: Unfreiwillige Komiker auf dem Gipfel ihrer Selbstüberschätzung; kleinstformatige Westentaschen-Kasper mit riesenhaften Ansprüchen.
Viel mehr kann man zur aberwitzig-brutalen Geschlechterhierarchie wohl tatsächlich nicht sagen zumal Nicolas Stemann in seiner Elfriede-Jelinek-Inszenierung "Über Tiere" in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin auch den modernsten Repräsentanten des Patriarchats, den streberhaften Frauenversteher, genüsslich mitliefert: Als wollten sie sich für einen akademischen Lehrstuhl in Gender Studies bewerben, treten die dialektalen Bescheidwisser plötzlich einen Schritt nach vorn erklimmen sozusagen den Reflexionsbereich der Metaebene und vermelden in astreinem Hochdeutsch zur politisch korrekten Betroffenheitsmiene: "Ich wusste zwar, dass Männer so über Frauen sprechen, aber es wörtlich zu haben, war doch ein großer Gewinn für den Text. Für mich waren diese Aussagen keine Überraschung, aber die Zuschauer im Theater hätten vielleicht gesagt, dass eine alte, ranzige Feministin mal wieder übertreibt ... Das kann man hier nicht, denn dieses Sprechen ist authentisch. Es ist sozusagen mein Beweis, und der liegt auf dem Tisch."
Frauen postwendend zurückgeben
Solche Verdichtungen und permanenten zumeist ausgesprochen witzigen - Brüche sind typisch für Stemanns Inszenierung: Die Meta-Passage Teil eines im Berliner Stadtmagazin "Tip" veröffentlichten Interviews mit Elfriede Jelinek hat er im Dienste der Ebenenvervielfältigung lustig in den Text hineingeschnitten.
Der Authentizitätsbeweis, von dem die Autorin in diesem Interview spricht, entstammt ebenfalls einem Stadtmagazin: Vor zwei Jahren veröffentlichte der Wiener "Falter" Abhörprotokolle einer Begleitagentur, die ranghohe (Polit-)Prominente als brutale Nutznießer des Frauenhandels auswiesen und zu einem mit der hiesigen Affäre Friedman vergleichbaren Skandal in Österreich führten. Tatsächlich ist der Jargon, mit dem man Frauen hier als Waren bestellt, bewertet und notfalls zurückgibt, ekelhaft: Da werden Jungfrauen geordert, die "sogar schon fünfzehn Jahre alt" sein dürfen, "sieben Kilo zuviel" hingegen postwendend reklamiert und Sätze gesprochen wie: "Der Klient möchte das Mädchen im Beisein seiner Schwester entjungfern. Er möchte als erster ficken, dafür zahlt er 5000 Dollar." Kombiniert oder besser: konfrontiert hat Elfriede Jelinek diesen Blick auf das konsumistische männliche Begehren mit einem anderen, der Verarbeitung der Abhörprotokolle vorangestellten Textteil. Der beschreibt das (nicht eben aussichtsreiche) Begehren einer Frau, begehrt zu werden: Eine ganz andere, aber gleichermaßen tieftraurige - weil strukturell unerfüllbare Form des Verlangens: Zu Gehör kommt hier der männliche der Objekt-Blick - einer Frau auf sich selbst.
Kämpfen statt Kuscheln
Ruedi Häusermann hatte den Text, der wie immer bei Jelinek - jede Bedeutungsfestschreibung vermeidet und eher dem Gesetz der assoziativen Verknüpfung als dem der linearen Logik folgt, Anfang Mai am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Der Jelinek-Experte Stemann, der bereits drei Stücke der Nobelpreisträgerin uraufgeführt hat, setzt nun in seiner deutschen Erstaufführung Jelineks Textflächen, ihren jedwede identifikatorische Kuscheligkeit unterlaufenden Collage-Stil, einmal mehr ästhetisch kongenial um: "Ich weiß nicht, wer da spricht" das akademisch gern verhandelte Urdilemma des "weiblichen Sprechens" im Patriarchat ist der wohl am meisten zitierte Satz des Abends.
Er gilt hier konsequenterweise auch für die Herren - immer wieder neu, immer wieder anders. Denn Stemann verteilt Jelineks epischen Sprachfluss auf sechs Akteure - vier Frauen unterschiedlicher Altersstufen und zwei Männer. Er lässt die Herren in Billig-Minis und Pumps auftreten, die Frauen allen voran Regine Zimmermann in einem großartig-pragmatisch hingeschwäbelten Zuhälter-Monolog - klassische Männerparts sprechen, die tolle Almut Zilcher in einem riesigen, auf den Boden projizierten, sexsymbolischen Frauenmund verschwinden, ihre Kollegin Nora von Waldstätten in der Rolle des personifizierten Frischfleischs daraus nuttig bestiefelt wieder aufsteigen und eine umwerfende Margit Bendokat die begehrenssehnsüchtige Frau mit einer Power, ja Aggressivität sprechen, die jedwede Opfer-Assoziation umgehend ad absurdum führt.
Stemann entzieht jedem Deutungsanflug postwendend wieder mit einem inszenatorischen Bruch den Boden und schreckt dabei genau wie Jelinek auch vorm geschmacksfreiesten Kalauer nicht zurück. Die Texte wären damit wie es sich die Autorin im erwähnten Tip-Interview wünscht tatsächlich "zur Kenntlichkeit entstellt". Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.