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Foto-Ausstellung: Es war einmal in einem weit entfernten Dorf

Foto: Jitka Hanzlová/ VG Bild-Kunst, Bonn/ Museum für Photographie Branschweig

Fotografin Jitka Hanzlová Wie aus einer anderen Welt

Wo tote Schweine geschoren werden: Die in Tschechien geborene Fotografin Jitka Hanzlová porträtiert ihre Heimat ebenso sachlich wie sinnlich. Eine Doppelausstellung würdigt die Künstlerin.

Eine junge schwarze Frau steht vor einer englischen Klinkerwand. Sie trägt weite Hosen zur rosa Bomberjacke. Unter ihrem schwarzen Hut lugen schwarz-lila Zöpfchen hervor. Ihr Blick ist stolz, streng, lauernd. Sie starrt in einen hinein, hindurch. Trifft ins Mark.

Das berührende Porträt ist Teil der Werkreihe "Brixton" (2002) der Fotokünstlerin Jitka Hanzlová. Es hängt in der Städtischen Galerie Wolfsburg, die, in Kooperation mit dem Museum für Photographie Braunschweig, der Fotografin Hanzlová zum 60. Geburtstag eine zweiteilige Überblicksausstellung widmet: "Between Continuum" zeigt fotografische und filmische Arbeiten, die Hanzlová seit 1990 geschaffen hat und von denen einige bereits in den Hamburger Deichtorhallen, im Folkwang Museum in Essen oder auch im Stedelijk Museum in Amsterdam zu sehen waren.

Jitka Hanzlová, 1958 in Nachód in der ehemaligen Tschechoslowakei geboren, floh als 24-Jährige in die Bundesrepublik - ohne Familie. Im Exil lebte sie mit "beiseite gelegter Erinnerung und Sprache, nur auf einem Bein - das Gleichgewicht verlierend, aus der Zukunft alle Hoffnung schöpfend", wie sie sagt. Ab 1987 studierte sie Visuelle Kommunikation und Fotografie an der Essener Folkwang-Universität. 1990, nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs, traf sie ihre Familie wieder und schuf ihre erste große Werkarbeit "Rokytník", die das noch vom Sozialismus geprägte Leben in ihrem Heimatdorf abbildet.

Erinnerungen an vergangene Zeiten

Ausgewählte Motive aus "Rokytník" sind nun im in zwei historischen Torhäusern beheimateten Museum für Photographie Braunschweig zu sehen. Die kleinformatigen, blassen Farbfotos von Menschen, Tieren und Natur füllen einen Raum im 1. Torhaus und zeugen, leicht melancholisch, von vergangenen Zeiten.

Einen Schatz gibt es ebenfalls zu bestaunen: den die "Rokytník"-Fotos ergänzenden Film, den Hanzlová 1994 ebenfalls in ihrer Heimat drehte. Frisch digitalisiert zeigt "Komm zurück und guck, wie Du gehst" in 60 Minuten das Dorfleben. Neben spielenden Kindern, Hühnern, Ziegen und Halbstarken auf Mopeds wohnt man der Scherung eines Schafs, Männern bei der Jagd und beim anschließenden Zechen und Singen in der Kneipe bei. Das wirkt archaisch, teils witzig, aber auch brutal. Ein totes Schwein wird da rasiert.

Im 2. Torhaus in Braunschweig warten Exponate aus "Vanitas", Hanzlovás Fotozyklus von getrockneten Blüten- und Pflanzenteilen und einer Spinne vor schwarzem Bildgrund. Bei diesen sinnlich- morbiden Stillleben ist der Einfluss der Porträtkunst der Renaissance sichtbar, der Hanzlová auch zu ihrem in Wolfsburg gehängten Fotozyklus "There is something I don't know" inspirierte.

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Foto-Ausstellung: Es war einmal in einem weit entfernten Dorf

Foto: Jitka Hanzlová/ VG Bild-Kunst, Bonn/ Museum für Photographie Branschweig

Beide Galerien präsentieren Porträts der Werkreihe "Horse" (2007-2014). Dafür wählte Hanzlová häufig ungewöhnliche Bildausschnitte, wie schon auf dem Ausstellungsplakat: Darauf ist eine braune Pferdemähne vor einem Busch zu sehen, die man gern streicheln würde. Diese Fotos - Hanzlová arbeitet immer im Hochformat, in Farbe und ohne Nachbearbeitung - sind lust- und humorvoll: ein Pferd wälzt sich im Sand, ein anderes uriniert, ein weiteres zeigt das sperrangelweit offene Maul.

Die Bilder wirken freier, vielleicht, weil sich Hanzlová Pferden besonders verbunden fühlt. Wie viele andere Mädchen war sie schon früh fasziniert, bekam jedoch kein eigenes. "Pferdesport galt im Sozialismus als aristokratisch, niemand bei uns hatte ein Pferd, nur die Kooperative ein Zugpferd." Später pflegte und ritt sie Pferde eines Profirennstalls.

Ihr umfangreiches Oeuvre schüttelte Hanzlová nicht aus dem Ärmel, sondern plante genau. Als sie durch Brixton und New York reiste und Motive suchte, beherzigte sie den Rat ihrer Kollegin Diane Arbus: "Sie sagte: Eine Entscheidung dauert drei Sekunden. Entweder du machst es oder nicht!"

Frage nach Identität und Heimat

Was die Fotos von Jitka Hanzlová besonders macht: Auf den ersten Blick scheinen sie nüchtern und etwas spröde, doch beim weiteren Ansehen ist Anteilnahme spürbar. So wie für die junge Dame in Brixton in der rosa Bomberjacke. Ihre Fotos werfen Fragen nach Identität auf, beleuchten Spannungen zwischen Menschen und Gruppen, erforschen Zugehörigkeit, Entfremdung, Vergangenheit und Gegenwart.

Die Doppel-Ausstellung in Braunschweig und Wolfsburg ist ein abwechslungsreiches, auch ergreifendes Vergnügen - und mit Glück ergattert man einen Rundgang mit der sympathischen Künstlerin.


Anmerkung der Redaktion: Im MoMA war Jitka Hanzlová noch nicht mit einer Einzelausstellung vertreten, dafür aber im Folkwang Museum. Wir haben das korrigiert.

Ausstellung: Jitka Hanzlová - Between Continuum - Museum für Photographie Braunschweig und Städtische Galerie Wolfsburg, bis 02.12.18

www.photomuseum.de 

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