Joel Meyerowitz' Fotos aus Manhattan Mad Men im Nebel
Die Augen des Fotografen Joel Meyerowitz haben es in sich: Sie sind wach, offen und eingekreist von konzentrischen Falten. Sie können etwas Besonderes: Sie filtern aus dem Strom der Alltagsereignisse Momente heraus, in denen die Welt voller Bedeutung scheint. Momente, in denen das alltägliche Glück herumhüpft zwischen dem Wasserdampf, der aus Kanaldeckeln zischt, und den Lichtstreifen, die sich zwischen den Wolkenkratzern über Manhattans Avenues bis zum Horizont ziehen.
Meyerowitz wurde 1938 in New York geboren. Heute hat er ein Studio an der Upper West Side, einen Teil des Jahres verbringt er zusammen mit seiner Frau in der Toskana. Er gilt als eine der zentralen Figuren der amerikanischen Street and Colour Photography, und noch heute vergeht kein Tag, ohne dass er mit seiner Leica Bilder macht.
Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie in der Bronx hatte Meyerowitz es Anfang der Sechzigerjahre zum Art Director einer New Yorker Werbeagentur gebracht. Ein Sommertag des Jahres 1962 änderte sein Leben. Ein Auftrag führte ihn downtown in ein Apartment, wo der Fotograf Robert Frank mit zwei Halbwüchsigen ein Shooting machte. Frank hatte damals schon sein berühmtes Buch "The Americans" publiziert und wurde mit Ausstellungen Im MoMA und im Art Institute in Chicago geehrt.
Boss, ich will deine Pentax
Meyerowitz hatte von Fotografie keine Ahnung, war aber fasziniert davon, wie dieser Mann mit seinen Klicks aus den belanglosen Bewegungen der Mädchen Gesten herauslöste, die aufgeladen und besonders erschienen. Als er danach wieder auf die Straße trat, sah er ein anderes New York. Im hochschnellenden Arm des Mannes, der ein Taxi heranwinkte. In der Geste der Frau, die eine Decke im Kinderwagen zurechtrückte. Das Nichtssagende schien plötzlich voll von Augenblicken voller Lebendigkeit und Intensität.
Zurück im Büro kündigte er auf der Stelle. "Warum?", fragte sein Chef. Er wolle Fotograf werden. Der Boss, selbst auf dem Absprung zu einem freieren Dasein, langte in die Schublade und gab Meyerowitz seine Pentax.
In den folgenden Jahren verknipste Meyerowitz Hunderte von Filmen. Er lernte zeitweise bei Profis wie Alexei Brodowitsch oder Richard Avedon. Vor allem aber lernte er auf den Straßen New Yorks. Mit Tony Ray-Jones - der schon 1972 gestorbene Brite gilt mit seinem gnadenlosen Blick als Vorläufer von Martin Parr - suchte er Situationen, bei denen man unbemerkt Menschen in den Fokus nehmen konnte: bei Paraden und nachts auf dem Times Square. Oder er traf sich mit dem rastlosen Fotokünstler Garry Winogrand morgens um halb acht auf einen Kaffee an der 96sten Straße, und dann zogen die beiden den ganzen Tag die Straßen hinauf und hinunter: zum Zoo, durch den Central Park und immer wieder zur zentralen Lebensader Manhattans. "Als wären wir", so Meyerowitz, "Fischer im Strom der Fifth Avenue."
Rätselhafte Interaktion
1966 kaufte sich Meyerowitz einen Volvo und fuhr quer durch Europa. Und drückte auf den Auslöser. Die Aufnahmen waren rau und kippelig, aber voller Kraft: "Greece. Rt. E87" etwa zeigt ein auf dem Motorrad dahinbrausendes Paar so eindringlich vor verschwimmendem Hintergrund, dass man meinen könnte, ein Gerhard Richter habe es gemalt. Als er zurück in New York war, bekamen seine Auto-Klicks die höheren Weihen: eine Ausstellung im MoMA.
In den Siebzigerjahren entstanden einige seiner besten Straßenfotografien: das Paar, das sich fast in einer Dampfschwade auflöst, während sich die Schatten von zwei weiteren Passanten auf dem Rücken von anderen Vorübereilenden abzeichnen. Oder die Bürgersteigszenerie an der 46sten Straße, bei der ein unglaublich dichtes Gefüge von Schriftzügen auf Wegweisern, Schildern und Plakaten die rätselhafte Interaktion von drei Männern in der Bildmitte überwölbt und doch um nichts lesbarer macht.
Das Besondere dieser Bilder beschrieb der Meyerowitz in einem Interview einmal so: "Ich wollte, dass die flüchtigen Verbindungen dessen, was nicht zusammengehört, ins Schwingen geraten. Wenn meine Bilder funktionieren, dann lassen sie diese zarten Bezüge aufscheinen. Weil sie so ephemer sind, wirken sie so menschlich und stehen damit in einer romantischen Tradition."
Dieser sensible, wohlwollende Gestus unterscheidet Meyerowitz' Aufnahmen von den abgründigen Bildern Robert Franks und auch von den entlarvenden Winogrands. Gleichzeitig sind einige von ihnen so rätselhaft, dass sie vorausdeuten auf die inszenierten Arbeiten von Fotokünstlern wie Jeff Wall oder Philip-Lorca diCorcia.
Wer für eine Zeit die Welt mit den offenen Augen dieses Mannes sehen möchte, sollte die Düsseldorfer Ausstellung nicht verpassen.
Joel Meyerowitz: Retrospektive. 27.9. bis 11.1.15, NRW-Forum, Düsseldorf. Der Katalog ist erschienen im Verlag der Buchhandlung Walther König.