
Prozess gegen "Bild" Die Summe ist okay

Jörg Kachelmann
Foto: Oliver Berg/ dpaGeldentschädigung und Schadensersatz wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte: Kaum hat ein Gericht Zahlen veröffentlicht, vor allem in einem prominenten Fall, geht es um die Frage: Ist dies nun viel oder wenig? Wer ist der Verlierer, wer der Gewinner? Welche Fälle gab es in der Vergangenheit, mit denen sich die Entscheidung vergleichen ließe? Die Kommunikationsabteilungen der Verlagshäuser beginnen zu rotieren, um ihre Interpretation des Ergebnisses unter die Leute zu bringen. Es wird herauf- oder heruntergerechnet, im eigenen Interesse natürlich. Denn um den Betroffenen geht es schon längst nicht mehr.
Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am Dienstag dem Wettermoderator Jörg Kachelmann "wegen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen" eine Geldentschädigung von insgesamt 395.000 Euro plus 6319,23 Euro Schadensersatz zugesprochen. Rechnet man 5 Prozent Zinsen über dem Basiszins hinzu (so viel bekommt man zur Zeit auf keinem Festgeldkonto!), die seit 2010, als der Anspruch erhoben wurde, angefallen sind, kommt man auf eine Summe von 512.785,66 Euro, die die Springer-Medien an Kachelmann zahlen müssen. Das ist die Kalkulation von Kachelmann-Anwalt Ralf Höcker und klingt nach Rekordsumme.
Keine Revision zugelassen
Eine Revision zum Bundesgerichtshof hat der Senat nicht zugelassen. Die Entscheidung kann demnach nur noch mit einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden - ein Schritt mit wenig Erfolgsaussichten allerdings, da die Ablehnungsquote beim Bundesgerichtshof in solchen Fällen generell sehr hoch ist. Ob auch nur ein BGH-Richter begierig sein wird, die monströse Kachelmann-Akte zu öffnen - der Arbeitsaufwand stünde in keinem Verhältnis zu den eventuell zu klärenden Punkten - , darf bezweifelt werden.
Über eine halbe Million also für den gebeutelten Wettermoderator, den das Landgericht Mannheim 2012 vom Vorwurf der Vergewaltigung zwar freigesprochen hatte, ihm allerdings in der Urteilsbegründung nachrief, man sei sich keineswegs sicher, ob er nicht doch ein Vergewaltiger sei. Nun hat er den größeren Teil der Gerichtskosten des Rechtsstreits gegen Springer zu tragen, weil er ursprünglich eine weitaus höhere Summe, nämlich zwei Millionen Euro, einklagen wollte. Gemessen an dem Schaden, den sein Ansehen durch die höchst dubiosen Anschuldigungen und den sein Privatleben zur Schau stellenden Gerichtsprozess samt Medienecho genommen hat; gemessen an dem finanziellen Aufwand, den das Justizspektakel ihm abverlangte, keine absurd hohe Summe.
Mehr zugesprochen als je ein Kläger zuvor
Ist Kachelmann also ein Verlierer? Oder ein Gewinner? Prinzessin Madeleine von Schweden erhielt rund 400.000 Euro wegen Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechte durch die Medien. Allerdings handelte es sich bei ihr um 86 beanstandete Veröffentlichungen. Bei Kachelmann ging es gerade mal um 26 Beiträge, darunter Fotos und Berichte, die seine Intim- und Geheimsphäre betrafen und durch die er vorverurteilt wurde. Unter dem Strich bekam er mehr zugesprochen als je ein Kläger zuvor in Deutschland.
In einem ersten Prozess gegen Springer hatte das Landgericht Köln wegen 38 Fällen insgesamt einen Betrag von 635.000 Euro festgesetzt. Daraufhin legten beide Seiten Rechtsmittel ein. Der OLG-Senat sah nun wie das Landgericht keine zielgerichtete Pressekampagne als erwiesen an. Denn dass die Medien über den Verdacht einer Sexualtat berichten, ist grundsätzlich zulässig. Ebenso zulässig ist die Berichterstattung über ein Strafverfahren, wenn, wie im Fall Kachelmann, den Richtern an der öffentlichen Zurschaustellung der privaten Verhältnisse des Angeklagten besonders viel zu liegen scheint. Die Frage ist eben stets, wie über Details berichtet wird. Daher prüfte der Kölner Senat jede einzelne Berichterstattung, ob in ihr der Rahmen des Zulässigen überschritten wurde.
Kein Gewinner im Fall Kachelmann
Mit der Kommentierung des durchaus kritikwürdigen Strafprozesses ausgerechnet durch Alice Schwarzer, die sich damals anstelle der Unschuldsvermutung eine Schuldvermutung gegenüber dem Angeklagten wünschte, hat Springer sich keinen Gefallen getan. Ebenso wenig der Burda Verlag, mit dem Kachelmann sich gütlich einigte, ohne dass eine Entschädigungssumme bekannt wurde. Wie sich eine ganze Reihe angeblicher Belastungszeuginnen dort während laufender Hauptverhandlung über Kachelmanns Intimleben äußerten, gegen Bares versteht sich, dürfte ziemlich einmalig sein in der deutschen Justizgeschichte.
An Kachelmann haben viele verdient, einige wenige mussten dafür zahlen, am teuersten wurde es für den Wettermoderator selbst. Springer treibt die vom Oberlandesgericht ausgeurteilte Zahlung plus Zinsen sicher nicht in den Ruin. Burda ging auch nicht pleite. Die Pressefreiheit nimmt ebenfalls nicht Schaden, wenn ein Signal gegen Grenzverletzungen gesetzt wird. Und trotzdem: Einen Gewinner gab es im Fall Kachelmann nicht.