
"Cosmopolis" in Bochum: Der Banker als Übermensch
"Cosmopolis" in Bochum Eisiger Kapitalismus, um einige Grad abgekühlt
Don DeLillos allegorischen Krisenreport "Cosmopolis" könnte man auch als eine Art hybridkapitalistischer Fortschreibung von Richard Wagners "Rheingold" betrachten. Den Vorabend zum "Ring" hatte Johan Simons 2015, im ersten Jahr seiner Ruhrtriennale-Intendanz, inszeniert. Das Festivalprogramm macht auch zum Finale mit der Romanadaption "Cosmopolis" einen Strich durch die Rechnung, indem es auf die Anti-Entwürfe von politischer und sozialer Ignoranz, von apokalyptischen Szenarien, von Egomanie, Despotie, Lug und Trug reagiert.
Die Verdinglichung, die Kälte des Kapitalismus und des bürgerlichen Subjekts hat sich seit Wagners Zeiten noch um einige Grad abgekühlt. Eric Packer, der 28-jährige New Yorker, meditierende Milliardär und Global Player, ist DeLillos befremdlicher Held seines etwas konzeptlastigen Stationen-Dramas. Im April 2000 lässt Packer sich in seiner Limousine durch Manhattan zu einem Termin fahren, dem sentimentalen Besuch beim Friseur seiner Kindheit. Es ist ein Lauf gegen die Zeit. An diesem einen und letzten Tag während der durch Barrikaden und Gewaltproteste behinderten Höllenfahrt riskiert Packer, der rein abstrakte "Attentate auf die Grenzen des Sichtbaren verübt", sein Vermögen durch Spekulation in den japanischen Yen. Er diskutiert Theorien mit seinen smarten Beraterinnen, wird von seinem Arzt untersucht, führt steril versteifte Dialoge mit seiner neuen schönen reichen Frau Elise, erregt sich hartnäckig an der Idee von Sex - und wird erschossen.
Sein Mörder Benno Levin, ehemaliger Währungsanalyst in Packers Dienst, der arbeitslos in einem Rattenloch haust und mit seiner Tat beweisen will, dass es ihn überhaupt gibt, wendet sich ans Publikum, um Wut und Frust auszusprechen: Chronik eines angekündigten Todes. Nur Gewalt, glaubt er, schaffe Veränderung. Den unantastbaren Packer in der Matrix des Cyberkapitals und der Datenströme packt das Schicksal. Sein philosophischer Tod ist auch ein erbärmliches Ende - ebenso unangemessen wie einst das des vornehmen Kaufmanns und Senators Thomas Buddenbrook, der nach einer Zahnbehandlung in der Gosse verblutet.
Die Allmachtphantasie und der vom Kontostand beglaubigte Wahn des Übermenschen, den die Wall Street hervorgebracht hat und nach dem Crash weiter hervorbringt, wird unter Simons' Regie umgedeutet in eine Kinderwelt. Dorthin, wo das Ich sich noch keiner Grenze bewusst ist und sich absolutistisch als Majestät begreift.
War bei Johan Simons, den mit Elfriede Jelinek und Michel Houellebecq schon verwandte Stoffe und Motive beschäftigten, das Walhall der Götter im Ruhrtriennale-"Rheingold" nur Potemkin'sches Dorf und Fassade, hinter der das Nichts lauerte, ist nun am gleichen Ort, der Bochumer Jahrhunderthalle, ein Kinderspielplatz installiert. Ein Sandkasten, drei Schaukelpferde und eine riesige Schaukel verteilen sich im sonst 'naturbelassenen' Industrieraum, dessen ungefüllte Weite gewissermaßen mitspielt. Wieder arbeitet Simons bewusst mit Hülle, Maske, Pose, Klischee.

"Cosmopolis" in Bochum: Der Banker als Übermensch
DeLillos Figuren sind im Format geschrumpft und infantilisiert mit Plastikautos, bunten Bällen und einem Bündel Plüschratten. Pierre Bokma als Packer in weißen Dreiviertelhosen ist ein quäkend blagiger alter Junge und zugleich von selbstironisch eleganter Nonchalance, seine jung vermählte Elise bei Elsie de Brauw ein vielschichtig koloriertes Funny Girl. Bis auf Bert Luppes als seinem inneren Auftrag ergebener Killer tragen die Darsteller ihre Mehrfachrollen wie auch ihre wechselnden Kostüme vor sich her. Alles antipsychologisch auf Abstand und brechtisch brüchig: Cosmopolis könnte auch Mahagonny heißen. Play, mobil: Die Akteure, die ebenso Beckett'sche Entleerung wie kabarettistische Einlagen und pantomimisches Körpertheater lässig ausstellen, erkunden das mit metallisch matten Bodenplatten belegte Bühnenareal (Bettina Pommer) - und verlieren sich auf Dauer auch darin.
Die vier Musiker von "BL!NDMAN" erzeugen mit ihren Saxofonen zunächst von fern einen fast unwirklichen, quasi-geistlichen Klang, der Klassik und Jazziges fusioniert und dessen raffinierte, intellektuell eklektische Komposition (Eric Sleichim) von Bach bis Satie und Varèse reicht. Nach einer Weile entern sie die Szene, um als Meute in einer anarchischen Chaos-Session ungezähmte Töne zu spucken, wobei sie aufgegrellter, sirenenhaft jaulender Elektrosound unterstützt. Die Bach-Kantate "Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen", die Simons' 2015 in seiner Pasolini-"Accattone"-Inszenierung hören ließ, wäre hier jetzt ein Grabgesang für Eric Packer.
Der Niederländer Simons, zuvor Intendant der Münchner Kammerspiele und ab 2018 des Bochumer Schauspielhauses, hat während seiner drei Saisons mit Musiktheaterproduktionen wie Glucks "Alceste", Nonos "Prometeo", "Rheingold", Debussys "Pelléas et Mélisande" sowie Kreationen zwischen Drama, Musik und Tanz ("Accattone", Alain Platels "nicht schlafen") weit mehr das Ruhrtriennale-Profil geschärft als durch die reinen Sprechtheater-Premieren, sieht man von der Entdeckung der Romane des Niederländers Louis Couperus für die Bühne durch Ivo von Hove ab. Diese Ausrichtung bindet Simons noch enger an den Festival-Erfinder, seinen Förderer und Freund Gerard Mortier und dessen Programmatik. Dass das NRW-Landesfestival zudem letztlich weniger über die dem Spielbetrieb eingemeindeten Randzonen Dinslaken und Marl und deutlich über die zentrale Jahrhunderthalle, den Duisburger Landschaftspark und die kompakte Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck funktioniert, ist womöglich auch eine Erkenntnis für die Zukunft.
Cosmopolis. Nächste Vorstellungen am 23., 24., 28., 29. und 30.9., Jahrhunderthalle Bochum, ruhrtriennale.de