Journalisten in Griechenland Schreiben wie geschmiert

Kiosk in der Athener Innenstadt: Kaum höherer Wahrheitsgehalt als Homers Sagen
Foto: SPIEGEL ONLINEDer Athener Wirtschaftsredakteur, ein hagerer Typ mit scharf geschnittenem Gesicht und randloser Brille, darf von sich behaupten, es in den Olymp des griechischen Journalismus geschafft zu haben. Der Schreiber arbeitet für eine der renommiertesten Zeitungen seines Landes und ist außerdem bei einem Radio- und einem Fernsehsender beschäftigt. Er gilt als Kenner der heimischen Energiebranche und rühmt sich exzellenter Kontakte zu Kollegen in aller Welt.
Es gibt nur einen kleinen Makel an der sonst so untadelig erscheinenden Vita des hellenischen Erfolgsreporters: Er ließ sich lange Zeit auch von einem halbstaatlichen Gasversorger bezahlen. Gegen Honorar beriet er die Presseabteilung des Unternehmens, obschon er genau über diese Firma berichtete.
Ein Blick in das Online-Archiv seiner Zeitung fördert mehr als 130 Artikel zu Tage, in denen der Journalist sich mit seinem Neben-Arbeitgeber beschäftigt hat. Und auch wenn sich darunter keine plumpen Jubelarien auf den Gasversorger finden, kann man doch nicht behaupten, dass der Reporter in den Berichten das Unternehmen besonders hart angefasst hat.
"Wir kennen dieses Problem", sagt Dimitris Trimis, Präsident der mächtigen Athener Journalistenvereinigung (ESHEA). Es gebe eine nicht unerhebliche Anzahl der landesweit knapp 8000 Berichterstatter, die sowohl für Medien als auch für Presseabteilungen von Behörden und Unternehmen arbeiteten. "Der wiederholte Versuch, diese heikle Praxis per Pressekodex zu unterbinden, ist bislang gescheitert." Reformen seien gegen den Widerstand der betroffenen Kollegen nicht durchzusetzen gewesen.
- Und deshalb gibt es in Griechenland beispielsweise Sportreporter, die gleichzeitig als Pressesprecher bedeutender Verbände und Vereine agieren.
- Es gibt ferner politische Journalisten, die gegen Honorarzahlungen die Presseabteilungen von Ministerien beraten und besetzen.
- Und angeblich wurden im Regierungsetat jahrelang geheime Gelder vorgehalten, mit denen entgegenkommende Journalisten belohnt wurden.
Auch die USA wissen von der systemischen Schwäche der griechischen Medienlandschaft. In einer Depesche der Athener Botschaft, die Ende August auf der Internetplattform WikiLeaks auftauchte, heißt es, der Wahrheitsgehalt der meisten hellenischen Veröffentlichungen sei kaum höher als der der Sagen Homers.
"Inzestuösere Beziehungen als die Götter der griechischen Mythologie"
So kämen in Griechenland auf elf Millionen Einwohner zwar etwa 160 Zeitungen, 180 Fernsehsender, 800 Radiostationen und 3500 Magazine. Doch kaum ein Medium arbeite profitabel. Eine kleine Gruppe Großindustrieller leiste sich die Presseorgane, um damit politischen und unternehmerischen Einfluss auszuüben. Es gebe zwischen Politik, Wirtschaft und Presse ein dicht gesponnenes Geflecht gegenseitiger Interessen und Abhängigkeiten: "Die Beziehungen sind komplizierter und inzestuöser als die der Götter, Halbgötter und Menschen in der griechischen Mythologie", so die Diplomaten.
Und auch über griechische Journalisten fällten die Amerikaner ein wenig schmeichelhaftes Urteil: "Sie sind ein unterbezahlter Haufen und haben üblicherweise mehrere Jobs, um ihre Rechnungen zu bezahlen." Es sei nicht unüblich, dass politische Reporter in der Presseabteilung genau des Ministeriums arbeiteten, über das sie auch berichteten. Außerdem nähmen sie gerne Geld und Geschenke an. Während der Olympischen Spiele sollen demnach zahlreiche Pressevertreter für positive Berichte bezahlt worden sein.
Viele griechische Publizisten sind durchaus der Meinung, dass sie zur Entstehung der Krise beigetragen hätten, weil sie nicht kritisch genug gewesen seien. Die meisten von ihnen rechtfertigen sich jedoch damit, dass sie den Menschen nicht die Wahrheit gesagt hätten, weil diese die Wahrheit nicht hätten hören wollen. An einem möglichen Interessenkonflikt zwischen Presse und PR habe das keinesfalls gelegen, behaupten sie.
Branche disziplinieren
Von den Journalistenvereinigungen ist entgegen aller Versprechungen wohl nicht zu erwarten, dass sie die Branche in der nächsten Zeit disziplinieren werden. Zwar verkündet der Präsident des Panhellenischen Verbandes der Sportjournalisten (PSAT), Pavlos Gerakaris, er strebe an, dass jeder Reporter nur noch einen Arbeitgeber habe. Doch er sagt auch: "Bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg."
ESHEA-Boss Trimis bekennt, man habe gehofft, dass die Medienunternehmen diese unschöne Sache regelten. Doch leider seien die daran nicht interessiert gewesen, unabhängiger Journalismus werde dort offenbar nicht gewünscht.
Die Berichterstatter indes scheuen Transparenz in eigener Sache. Die Mitglieder seines Verbands, so der Generalsekretär der Panhellenischen Vereinigung der Journalisten (POESY), müssten sämtliche Arbeitgeber melden - gerade auch, wenn sie nebenberuflich für Pressestellen tätig seien. "In der Praxis halten sie sich aber nicht daran - angeblich aus Datenschutzgründen", sagt Dimitris Koubias.
Und wenn es dann doch eine griechische Reporterin wagt, die anrüchigen Gepflogenheiten ihrer Branche zu problematisieren, bekommt sie deren geballten Zorn zu spüren. So wie die engagierte "Eleftherotypia"-Enthüllerin Aristea Bougatsou, die unlängst aufdeckte, dass Dutzende Sportreporter die staatliche Glücksspielgesellschaft als gut dotierte Wettexperten beraten. Jetzt droht ein Disziplinarverfahren - gegen Bougatsou.