Jugendgewalt-Debatte Grummelnde Gartennazis

Spießer gibt es überall, kein Problem. Aber wenn Spießer die eigene Jugend zum Feind erklären, dann wird es ärgerlich. Ein Gastbeitrag der türkischstämmigen Rapperin und Linguistin Lady Bitch Ray .

Als in der Bundesrepublik geborene und aufgewachsene Türkin spreche ich ungern von spießigen Deutschen, denn Spießigkeit hat nichts mit Nationalität, sondern mit persönlicher Engstirnigkeit von Menschen zu tun. Deshalb habe ich den Begriff Spießer umbenannt und spreche lieber von Gartennazis. Und Gartennazis können aus Deutschland, England, Frankreich, Polen, Russland oder sonst woher stammen.

Ich benutze diese Metapher nicht, weil osmanisches Blut in meinen Adern fließt und ich die Deutschen gern zynisch an ihre Geschichte erinnere. Sondern vielmehr, weil ich mit Gartennazis engstirnige Menschen verbinde, die sich sogar darüber aufregen, wenn Nachbars Baum (in ihren Augen) zu weit über ihren Zaun ragt.

Und dabei ist es bemerkenswert, dass diese nicht nur "besserwisserische Rentner" (und Renterinnen) sind, wie sie Herr Jens Jessen, der Feuilletonchef der "Zeit", in seinem derzeit breit diskutierten Videokommentar beschreibt. Diese Besserwisser sind ja harmlos und regen sich gewöhnlich nur dann auf, wenn Jugendliche (aller Herkunft) in der U-Bahn ihre Füße auf gegenüberliegende Sitze abstützen.

Nein. Gartennazi-Verhalten, oder auch Engstirnigkeit (auch gerne Intoleranz genannt), wird vor allem auf anderen Ebenen klar. Dort, wo eigentlich Meinungsfreiheit, Künstlerfreiheit und vor allem Demokratiebewusstsein groß geschrieben werden sollten - was aber oftmals nicht zutrifft.

Ich spreche von Radiostationen, die qualifizierten Menschen fristlos kündigen, weil jene künstlerische Tätigkeiten ausüben, deren Lebenswelten und Absichten sie nicht verstehen wollen und können. Ich spreche von gebildeten Menschen, die sich bei Universitäten beschweren und eine Exmatrikulation von Personen fordern, weil er/sie eine bestimmte Kunstform ausgewählt hat, deren Ausdruckweise ihnen nicht passt.

Ich spreche von Gartennazis, die Menschen Schaden zufügen wollen und Unterdrückung ausüben. Und von Menschen, die außer ihrer eigenen engstirnigen Welt keine andere kennen. Diese Sicht auf die Welt wird nämlich offenkundig, wenn über kriminelle jugendliche Ausländer gesprochen wird.

Bei dieser Debatte unterstelle ich den meisten Medien mangelnde Wissenschaftlichkeit und schlechte Recherche. Denn wer von kriminellen Ausländern spricht, sollte über Studien informiert sein, die seit langem vor allem eines belegen: dass Kriminalität kein Ausländer-, sondern eher ein Jugendproblem ist.

Aber ich kriege die Krise, wenn ich Menschen begegne, die andere Kulturen und Welten als fremd und gleichzeitig als rückständig abstempeln, ohne dabei jegliche Kenntnis darüber zu besitzen. Dass Parolen wie "kriminelle Ausländer sollen abgeschoben werden" aus der CDU-Ecke gerufen werden, in der es sich immer wieder Gartennazis gemütlich machen, ist ja nichts Neues.

Gefährlich wird das aber dann, wenn die Jugend insgesamt (manchmal sogar die eigenen Nachkommen) als etwas Fremdes wahrgenommen wird. Und wenn Menschen vergessen, dass sie selbst jung (und rebellisch) waren und sie den natürlichen Prozess der jugendlichen Abgrenzung einfach unterschätzen - oder schlicht ignorieren.

Aber damit es auch Grenzgänger gibt, die den Mut haben, jene Grenzen zu überschreiten - mit der nötigen Portion rebellischem Geist -, gibt es Leute wie mich: Lady Bitch Ray alias Reyhan Sahin. Rapperin, Akademikerin, Designerin, Türkin - der größte Schreck aller engstirnigen Menschen.

Peace und Pussy Delüks!

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