Kabinettsumbildung Kulturstaatsminister Nida-Rümelin gibt auf
Berlin - Das Amt gilt nur als halber Ministerposten, aber ist sperrig als ein Doppelamt definiert: Staatsminister im Kanzleramt für Kultur und Medien. Bis Gerhard Schröder als Bundeskanzler an die Macht kam, gab es derlei gar nicht, Kulturpolitik war allein Länderkompetenz, zumindest nach Außen. Fimpolitik war eine Sache des Innenministeriums und die Goethe-Institute als kulturelle Aushängeschilder der Nation werden nach wie vor vom Auswärtigen Amt mit betreut.
Kanzler Schröder berief Ende 1998 den Verleger Michael Naumann zu seinem ersten Staatsminister, der dankte aber zur Halbzeit der Legislaturperiode ab, weil ihm ein Chefredakteursposten in der "Zeit" (auch finanziell) lukrativer erschien. Zu seinem Nachfolger wurde der Münchener Kulturreferent Julian Nida-Rümelin berufen, der zu diesem Zweck bis 2004 von der Göttinger Universität als Philosophie-Professor beurlaubt worden war. Diese ausgedehnte Beurlaubung wurde aber jetzt zurückgezogen. Die Folge:
Am Dienstag um 13.13 Uhr gab Nida-Rümelin seinen Rückzug auf der Bundespressekonferenz bekannt. Anberaumt war das Journalistentreffen eigentlich zur Erörterung kulturpolitischer Perspektiven, doch schon seit Tagen rumorte es in der Berliner Gerüchteküche, ob der 47-jährige SPD-Politiker noch eine weitere Amtszeit als Kulturstaatsminister machen wolle oder nicht, denn seine Verhandlungen mit der Göttinger Universität waren öffentlich geworden.
Nach der Bundestagswahl hatte der Wissenschaftler deutlich gemacht, dass er sein Amt gerne weiterführen würde, wenn ihm die Universität Göttingen seinen Lehrstuhl für Philosophie weiter frei hält. Die Hochschule hatte jedoch klar gemacht, dass für sie ein großes Opfer wäre, den Lehrstuhl für weitere Jahre vertreten lassen zu müssen. Auch einen Kompromiss, Nida-Rümelin für weitere zwei Jahre frei zu stellen, habe die Universität nicht akzeptiert. So zog der Politik-Quereinsteiger den Rückzug aus dem Kanzleramt vor.
"Will kein Berufspolitiker werden"
Nida-Rümelin sagte dazu, er sei kein Berufspolitiker und es sei für ihn von Anfang an klar gewesen, dass er nach seiner politischen Tätigkeit in seinen Beruf als Philosophie-Professor zurückkehren werde. In einem Schreiben an den Bundeskanzler begründete Rümelin seinen Rücktritt wie folgt: "Meine Tätigkeit als Kulturreferent in München und als Kulturstaatsminister galt der res publica und nicht dem beruflichen Fortkommen. Ich bin und bleibe von Beruf Wissenschaftler. Eine Fortsetzung hätte unter diesen Bedingungen den Übergang zum Berufspolitiker bedeutet. Wenn ich dies gewollt hätte, wäre ich auf Angebote eingegangen, für den Deutschen Bundestag zu kandidieren".
Vor der Wahl keine Klarheit?
Auf die Nachfrage von SPIEGEL ONLINE, warum er dies nicht vor der Bundestagswahl angekündigt habe, antwortete Nida-Rümelin, dass er erst am 25. September, also drei Tage nach der Wahl in einem Brief von der Universität Göttingen gedrängt worden sei, seine Professur wieder aufzunehmen. Bis dahin habe er sich darauf verlassen, dass sein Freistellung zumindest bis 2004 gilt, das sei schon bei seinem Amtsantritt in München als Kulturreferent so vereinbart gewesen.
Nachfragen, ob jemand von seinem Rang nicht später an andere Universitäten berufen werden könnten, wies Nida-Rümelin mit den Hinweis zurück, dass es nach neuen Regelungen keine Berufungen mehr für über 52-jährige gebe. In vier Jahren würde ihn diese Altersgrenze betreffen.
Selbstzufriedene Bilanz
Der Sohn eines Bildhauers hatte es mit seinem eher ruhigen, sachlichen und auf Ausgleich bedachten Stil nicht leicht, als Nachfolger des eloquenten Verlegers Michael Naumann schnell politisches Format zu gewinnen.
Naumann bezeichnete er als "Eisbrecher" für das Amt, sich selbst als "Navigator". Nida-Rümelin hatte sich hinter den Kulissen als sehr fleißiger Sachverwalter einer "kulturell ausgerichteten Ordnungspolitik" verstanden, wie er selbst definierte. Zum Ende der Legislaturperiode zog er eine zufriedene Bilanz und wies Vorwürfe zurück, das Amt durch seinen frühen Abgang zu beschädigen: "Ein politisches System muss eine solche persönliche Entscheidung aushalten".
"Was in der relativen kurzen Amtszeit zu schaffen war, habe ich geschafft: Die Angst der Länder vor einem Kulturzentralismus ist gebannt, die übermäßige Besteuerung ausländischer Künstler in Deutschland, die einen dramatischen Rückgang des internationalen Kulturaustausches zur Folge hatte, wurde reformiert, das Urhebervertragsrecht wurde novelliert, die Buchpreisbindung ist gesichert, das Stiftungsrecht wurde reformiert, die Bundeskulturstiftung ist gegründet und das Programm "Kulturaufbau Ost" wird verstärkt." Als künftige Schwerpunkte nannte er die Reform der Filmförderung und eine neue Medienordnung.
Krüger, Griefahn, oder...?
Als möglicher Nachfolger Nida-Rümelins ist der Berliner SPD-Politiker und gegenwärtige Leiter der Bundeszentrale für politische Bildungsarbeit, Thomas Krüger, im Gespräch. Mit ihm würde der Kanzler zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Krüger ist Mitbegründer der Ost-SPD, die eine stärkere Rolle im neuen Kabinett beansprucht. Zudem gilt Krüger in westlichen und östlichen Fachkreisen als kulturpolitisch ausgesprochen kompetent.
Über die Neubesetzung soll aber erst während der Koalitionsverhandlungen entschieden werden, hieß es am Dienstag. Nida-Rümelin betonte, er habe dem Bundeskanzler drei Namen als Nachfolger empfohlen, sagte aber nicht, wen. Zu einer der Kandidatinnen wird aber auch die Vorsitzende des Kulturausschuss im Bundestag, Monika Griefahn gezählt. Der grünen Abgeordneten Antje Vollmer werden dagegen keine Chancen eingeräumt, weil sie nur in ein vollwertiges Kulturministerium eintreten möchte. Dazu fehlen aber die entsprechenden Gelder und Kompetenzen. Gegenwärtig sind dem Kulturstaatsminister knapp 200 Beschäftigte unterstellt und der Etat liegt nur bei rund 950 Millionen Euro.
Nida-Rümelin bezeichnete es daher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE als wahrscheinlich, dass das Amt eher wieder von der SPD besetzt wird.
Über "Rationalität und Moralität" promoviert
Nida-Rümelin, der im Juli 2001 die Schriftstellerin Nathalie Weidenfeld geheiratet hat, studierte in München und Tübingen Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaften. 1983 promovierte er über "Rationalität und Moralität". Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in Ethik, Kulturtheorie, Politische Philosophie und Rationalitätstheorie.
Parallel zu seiner akademischen Ausbildung engagierte er sich schon in jungen Jahren politisch und trat 1974 der SPD bei. 1988 gründete Nida-Rümelin zusammen mit dem späteren Münchner Oberbürgermeister Christian Ude das "Kulturforum der Sozialdemokratie in München". 1989 ließ er sich für sechs Jahre von seiner Lehrtätigkeit beurlauben. Mit 41 zu 40 Stimmen wurde er im November 1998 zum Münchener Kulturreferenten gewählt.
"Endgültige" Absage
Nachdem vor gut zwei Jahren Kulturstaatsminister Michael Naumann seinen Wechsel in die Chefredaktion der "Zeit" angekündigt hatte und mehrere Wunschkandidaten Gerhard Schröders die Nachfolge Naumanns ablehnten, fiel dessen "zweite Wahl" damals auf Nida-Rümelin. Am vorzeitigen Ende seiner eigenen Amtszeit habe "ein völlig entspanntes Verhältnis" zwischen Kanzler und Staatsminister geherrscht, bekräftigt Nida-Rümelin. Gerhard Schröder habe ihn sogar ausdrücklich gebeten, das Amt fortzuführen, was der Staatsminister aber "endgültig" nicht mehr will.
Dieser zweite Korb eines Kulturprotagonisten dürfte Gerhard Schröder bestärken, im dritten Anlauf eine politischere Lösung zu suchen, sofern er sich nicht für einen zuverlässigen Wegbegleiter aus seinem publizistischen Freundes-Umfeld entscheidet.
Lesen Sie hier ein Interview mit Julian Nida-Rümelin über die Gründe seines Abgangs