Politik von rechts Hallo Mehrheit!
Aufkleber "Gegen Nazis"
Foto: Arno Burgi/ dpaChristopher Lauer postete am 13. Mai folgende Gedanken:
"Immer soll auf die realen Ängste Rücksicht genommen werden. Wer nimmt meine reale Angst vor einem Rechtsruck in Deutschland ernst, meine Angst, hier im Notfall auswandern zu müssen, weil die Leute, die mir früher Morddrohungen geschickt haben, dann am Drücker sitzen?"
Herr Lauer war Mitglied der SPD, was aber für den Text vollkommen unerheblich ist, denn wie ihm geht es erstaunlich vielen Menschen. Oder sagen wir, erstaunlich vielen Menschen, die ich kenne, und ich kenne erstaunlich viele Menschen, dafür, dass ich nicht so gern Bekanntschaften mache.
Auch unter Lauers Eintrag findet sich ratlose Zustimmung, die zeigt: Das Thema ist nicht das eines einzelnen Angstkranken. Es geht um ein Klima in Deutschland, vermutlich auch in anderen Ländern Europas, das große Teile der Bevölkerung momentan als verstörend empfinden.
Ältere Menschen kennen das Gefühl aus der Zeit Nazideutschlands. Minderheiten kennen es aus dem eigenen Erleben, das Angriffe und Abwertung beinhaltet, die rasend zunehmen. Die Aggression und Brutalität, verbal und nonverbal gegen Andersdenkende oder Menschen, die nicht blond sind und keine pinkfarbene Haut haben.
Hasskampagnen, Morddrohungen, Attacken. Deutschland zeigt wieder, was es drauf hat. Was es nicht verlernt hat. Größenwahn und Faschismus, und na endlich, mögen diverse Rechtsextreme jubeln, die ihre Hobbys Menschenhass und Hang zur Diktatur jahrelang nur in ihren Kellern ausleben konnten, endlich wisst Ihr, wie wir uns ewig gefühlt haben.
Als wir noch nicht grölend, vom Gas schwadronierend, mit Tattoos aus dem Dritten Reich auf unseren Leibern, von der Polizei geschützt durch die Straßen laufen durften, weil sich das irgendwie nicht gehörte. Der Meinungsdiktatur geschuldet. Sie wissen schon. Das durfte man alles nicht sagen früher. Den Hass rausplärren, das ging nicht. Und nun ploppt jeden Tag irgendwo eine kleine Faschistenband aus dem Keller ans Licht und lässt dem Ekel angesichts des eigenen Lebensentwurfes ungehinderten Lauf.
Die Mehrheit bildet keine Einheit
Die Gedanken Herrn Lauers und vieler anderer sind nicht alarmistisch, sondern, die Geschichte Deutschlands und die aktuellen Entwicklungen im nahen Europa beobachtend, realistisch. Viele, die in allen politischen Anschauungen jenseits von nationalistisch-rechtsaggressiv zu Hause sind, haben das Gefühl, dass es keine Mehrheit der liberalen, demokratischen Kräfte gibt, die in der Lage wären, sich untereinander zu solidarisieren. Eine geschlossene Front gegen die (aktuelle) Minderheit der besorgten Rassisten bildet sich nicht.
Die Freunde der Demokratie sind damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zerlegen. Bei jedem Versuch der Gegenwehr, jeder Idee, die über das politisch korrekte Gegenwehrverständnis, das aus sanften Gesprächen besteht, hinausgeht, ploppen lange Diskussionen aus den politischen Kreisen in Journalismus und Kultur darüber auf, was man wie, wo warum sagen darf, oder nicht darf. Was Antifaschismus ist, oder eben nicht, ob Häuserbesetzen korrekt ist oder doch nur Jugendrevolte.
Statt eine geschlossene Einheit gegen die geschlossene Einheit der Demokratiefeinde zu bilden, werden alle Aktionen zerlegt, die jenen, die sich im Anschluss darüber aufregen, nur zeigen, dass sie selbst Sesselfurzer sind, die nichts wagen, nichts unternehmen. Diskreditiert. Schön, dass wir darüber geredet haben. Ja nun.
Vermutlich werden sich Grüne, Linke, die SPD, die Journalisten, Feuilletonisten auch dann noch darüber streiten, wie man politisch korrekt und aufgeschlossen mit Faschisten reden sollte, wenn Nationalradikale die Mehrheit in der Regierung einnehmen. Wenn auf Beschluss der eventuellen neuen Regierung die Polizei, die dank der CSU zu einer Kampfgruppe hochgerüstet wurde, Gegner abtransportiert und die Atomwaffen wieder angeschafft werden.
Ja, es ist nicht übertrieben, Angst zu haben. Aber:
"Der Zweck der Revolution ist die Abschaffung der Angst."
(Theodor W. Adorno in einem Brief an Walter Benjamin vom 18. März 1936)
Als hätte Lauer auch gerade bei Adorno gestöbert, postet er kurz darauf:
Alors!