Kanzlersohn Matthias Brandt "Guillaume war eine komplett unerzählte Figur"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Brandt, in dem ARD-Drama "Im Schatten der Macht" spielen Sie den DDR-Agenten Günter Guillaume als einen Mann, der unter allem Umständen geliebt werden wollte. In Wahrheit aber hat ihn niemand gemocht. Halten Sie Guillaume etwa für eine viel tragischere Figur als Ihren Vater?
Matthias Brandt: Ach, den Guillaume empfinde ich gar nicht so sehr als tragisch. Das sage ich jetzt privat. Der Tatbestand des Verrats bleibt. Aber mein Herangehen an diese Figur hatte damit nichts zu tun, auch nicht mit irgendeiner Form von Rechtfertigung.
SPIEGEL ONLINE: Was war dieser Mann: Ein kaltblütiger Spion oder ein Gefühlsbettler?
Brandt: Guillaume war sicher jemand, der sich verstrickt hatte. Nach dem Verlust seiner Existenz als Anhängsel meines Vaters hat er versucht, seine Würde wieder herzustellen, in dem er sich als Meisterspion darstellte. Haltbar war das, glaube ich, nie. Der ist ja als Quelle gar nicht so ergiebig gewesen. Er galt als ein relativ fauler Spion, was mir auch sehr an der Geschichte gefallen hat. Sicher war es ein Problem für ihn, dass er, wenn nicht geliebt, dann doch mindestens gemocht werden wollte. Das ist ganz eindeutig. Dabei ist er meinem Vater offensichtlich auf die Nerven gegangen. Es ist eine interessante Frage, weil man denkt, Guillaume muss das doch gemerkt haben. Oder hat er es ausgeblendet?
SPIEGEL ONLINE: In dem parallel zum Film erschienen Hörbuch "Kanzlersturz" beschreiben Sie Guillaume aus Ihrer Erinnerung heraus als beflissen und servil. Aber warum schien er Ihnen auch "sehr deutsch"?
Brandt: Ich meine erst einmal rein äußerlich: ein spießiger Fünfziger-Jahre-Typ, Badelatschen, Shorts und Unterhemd. Und dann eben diese Doppelexistenz. Das ist ja in dieser Form fast nur in Deutschland möglich gewesen. Eine Doppel-Loyalität, die sich speist aus einer Mischung aus Ergebenheit, Diensteifer und Gehorsam. Aber offensichtlich eignen sich diese scheinbaren deutschen Tugenden auch hervorragend für eine Verrätertätigkeit. Ich habe mich hingesetzt und mich gefragt: Wie geht das? Rein praktisch, wie geht der morgens Brötchen holen? Wer ist dieser Guillaume denn dann? Als was wacht er auf?
SPIEGEL ONLINE: Ihr Vater hat einmal gesagt, es gäbe nicht die Wahrheit, sondern höchstens mehrere. Gilt das auch in Bezug auf Ihre Motivation, in die Rolle des Mannes zu schlüpfen, über den Ihr Vater gestürzt ist?
Brandt: Ja. Ich habe mich natürlich sehr genau befragt, bevor ich das gemacht habe. Aber die persönlichen Verbindungen waren in der Tat nicht der Antrieb. Ich habe das Drehbuch gelesen, als es noch gar nicht um eine Mitwirkung in dem Film ging, aus Neugier über die Recherchen des Drehbuch-Beraters und "Kanzlersturz"-Autors Hermann Schreiber. Und ich habe gedacht, dieser Guillaume ist eine komplett unerzählte Figur. Im Kreis dieser vollständig dokumentierten Figuren wie mein Vater, Herbert Wehner oder Egon Bahr gab es eine, die völlig unerforscht war. Das hat mich verblüfft. Deshalb bin ich an den Regisseur Oliver Storz mit der Bitte herangetreten, dass ich den Guillaume spielen kann.
SPIEGEL ONLINE: Aber Sie haben zu dem früheren SPIEGEL-Reporter Schreiber auch gesagt, Sie wollten die Rolle um besser zu verstehen, was damals eigentlich passiert sei.
Brandt: Natürlich habe ich mich jetzt auf eine Weise mit diesen Vorgängen beschäftigt, wie ich es vorher noch nie getan habe. Ich war damals zwölf Jahre alt, und meine Erinnerungen sind ziemlich unkonkret. Es war mehr so ein atmosphärisches Empfinden, dass sich da etwas zusammenbraute, was für meinen Vater eher ungut ausgehen würde. Aber es war kein Schlüsselerlebnis, das jetzt noch einmal wiedergekehrt wäre. Es gab ja solche Vermutungen, dass ich die Rolle in irgendeiner therapeutischen Absicht angenommen hätte. Es ist mir nicht klar, wie das hätte funktionieren sollen. Dreharbeiten sind ja nicht irgendeine Selbsterfahrungs-Veranstaltung, sondern das ist schwer, was wir da machen. Da stand ja auch nicht irgendeine Truppe, sondern einige der bedeutendsten Schauspieler, die wir haben: Michael Mendl als Willy Brandt, Jürgen Hentsch als Wehner, Ulrich Mühe oder Jörg Gudzuhn vom Deutschen Theater. Storz hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank gehabt, wenn er das mit einem Dilettanten mittendrin gefährdet hätte. Insofern war ich während der Arbeit ganz ruhig.
SPIEGEL ONLINE: In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert dennoch, dass Sie in einer Produktion über die größte Niederlage im politischen Leben Willy Brandts den "Vatermörder" spielen. Bereuen Sie es inzwischen?
Brandt: Ich habe mir darüber vorher keine Illusionen gemacht. Aber über all das wollte ich mich gerne hinweg setzen. Ich dachte, am Ende entscheidet, wie man seine Arbeit erledigt. Nach allem, was ich jetzt höre, ist mir das gelungen. Nachdem die Leute den Film gesehen haben, wurde ich viel seltener gefragt, warum ich den Guillaume spielen wollte. Die Figur hat sich offensichtlich selbst eingelöst, und damit ist es in Ordnung.
Interview: Henrike Thomsen
Im Schatten der Macht
Regie Oliver Storz. Darsteller: Michael Mendl, Barbara Rudnik, Jürgen Hentsch, Matthias Brandt. Sendezeiten: 23. und 24. Oktober 2003 um 20.45 Uhr auf Arte, 29. und 30. Oktober um 20.15 Uhr in der ARD.
Das Hörbuch "Kanzlersturz" von Hermann Schreiber, gelesen von Matthias Brandt (3 CDs) ist bei Roof Music erschienen