Karikaturist Mleczko Röcke hoch, Hosen runter
Andrzej Mleczko hat Kopfweh, Kratzen im Hals, leichtes Fieber und Gliederschmerzen. Es sieht nach einer Grippe aus. Vor allem aber hat er "keine Lust zu arbeiten". Das muss er aber. Denn "Polityka", ein politisches Magazin, druckt jede Woche einen Cartoon von ihm, und auch der polnische "Playboy" will jeden Monat eine Zeichnung haben.
Also sitzt Andrzej in seiner "Autorengalerie" in der Straße des Heiligen Jan in der Krakauer Altstadt und wartet auf eine Eingebung. "Ein guter Cartoon oder eine gute Karikatur muss auch in zehn Jahren noch verständlich sein. Ich mache keine Kommentare zur Tagespolitik."
Mleczko, 1949 in der Stadt Tarnobrzeg geboren, hat Anfang der siebziger Jahre angefangen zu zeichnen. Es gab Zeiten, da arbeitete er wie am Fließband, dann machte er wieder längere Pausen, "um über das Leben nachzudenken".
Alles in allem hat der Dauerraucher Mleczko bis jetzt etwa 12.000 Zeichnungen, die er "Grafiken" nennt, produziert und 16 Bücher mit Cartoons veröffentlicht. Die Cartoons kann man auch einzeln kaufen, als Postkarten, Drucke und Poster. Mleczko bedruckt alles, was man bedrucken kann: T-Shirts, Teller, Aschenbecher, Unterwäsche, Kopfkissen, Schirme, Mouse-Pads, Bettdecken und Bettlaken. Am besten verkaufen sich Bierkrüge mit Mleczko-Motiven. Was noch unter dem Regime von General Jaruzelski, als "Experiment und Happening" begann, ist heute ein kleines Unternehmen mit zwei Filialen in Krakau und Warschau und zehn festen Mitarbeitern.
Um nicht von der Gnade oder Ungnade einzelner Redakteure bei den staatlich kontrollierten Zeitungen abhängig zu sein, mietete Mleczko im Jahre 1983 ein heruntergekommenes Ladenlokal und machte sich mit einer "Galeria Autorska" selbständig, das heißt, er stellte nur Arbeiten von Mleczko aus. Doch so einfach, wie es sich anhört, war die Sache nicht. "Damals musste ich mit jeder Zeichnung zum Kulturamt rennen und mir die Genehmigung des Zensors holen. Ohne seinen Stempel durfte man nicht einmal einen Bierdeckel an die Wand hängen."
Als der Ausnahmezustand dann aufgehoben wurde, hatte sich Mleczko schon einen Namen als spitze Feder gemacht. Er karikierte alles, was in Polen heilig ist, vor allem die katholische Kirche und die kommunistische Partei mitsamt dem jeweiligen Bodenpersonal. Eines seiner Bücher heißt "Ob Gott einen Sinn für Humor hat?". Darin steht eine vollbusige Frau am Himmelstor, der Petrus den Einlass verweigert: "Tut mir leid, ihre Titten sind zu groß." Zwei männliche Gestalten verkörpern den Unterschied zwischen einem "Polak" und einem "Katolik". Der Pole sieht abgerissen und verwahrlost aus, er hält eine Flasche in der Hand, der Katholik ist glatt gescheitelt und sauber angezogen, er hält sich an einem Gebetsbuch fest.
Ein anderes Buch heißt "Diabel i kobieta" (Der Teufel und die Frau) und enthält Zeichnungen, die so eindeutig sind, dass sie ohne jede Unterzeile auskommen. Manche Pointen sind subtil, andere derb, vor allem wenn es um Mleczkos Lieblingsthema geht: Sex in allen Lebenslagen und Variationen. Da vereinigt sich ein weißer Revolutionär mit einer schwarzen Frau und ruft dabei: "Es lebe die Freundschaft zwischen den Völkern der Welt!"
Wie jeder gute Karikaturist, von Manfred Deix bis Tomi Ungerer, hat auch Mleczko seine Obsessionen, denen er nicht widerstehen kann. Es sind Frauen, die ihre Röcke heben, und Männer, die ihre Hosen runter lassen. Und wenn der Hofnarr sich an der Königin zu schaffen macht, steht plötzlich der König in der Tür und sagt: "Komm bitte nachher bei mir vorbei. Wir müssen uns über die Grenzen des Humors unterhalten."
Für Mleczko gibt es keine Grenzen. Er hat mit völligem Unverständnis die Diskussion um die Mohammed-Karikaturen verfolgt, die auch in Polen geführt wurde, nachdem eine Tageszeitung eine Zeichnung nachgedruckt hatte. Denn auch in Polen gibt es eine moslemische Gemeinde, es sind Nachkommen von Tataren, die vor Jahrhunderten ins Land geholt wurden. "Die haben eine Entschuldigung verlangt und auch bekommen", sagt Mleczko.
Und wie jeder gute Karikaturist leidet auch Mleczko an Depressionen. Er behauptet sogar, dass die wirklich guten Karikaturisten ihr Leben entweder im Irrenhaus oder durch Selbstmord beenden. "Aber so weit bin ich noch nicht."
Was ihm zu schaffen macht, ist nicht seine persönliche Situation - "Ich würde sündigen, wenn ich mich beschweren würde" - sondern die Lage in Polen. "Die tiefste Provinz hat es geschafft, an die Macht zu kommen. Ich weiß, die Leute wurden demokratisch gewählt. Aber eine Demokratie ist nur dann sinnvoll, wenn die Mehrheit vernünftig ist. Bei uns ist sie es nicht."
Mleczko kann die Brüder Kaczynski nicht ausstehen, Staatspräsident der eine und Vorsitzender der Partei "Recht und Gerechtigkeit" der andere. Im Fernsehen laufen immerzu religiöse Programme, die ihm die Laune verderben, und in den Zeitungen wird ständig nach Feinden des polnischen Volkes gesucht, die man für die Probleme im Lande verantwortlich machen kann. "Ich komme mir vor, als würde ich in einem Irrenhaus leben. Die meisten polnischen Politiker sind entweder Psychopathen oder Menschen auf einem ungewöhnlich niedrigen intellektuellen Niveau - oder beides."
Sechzehn Jahre nach dem Ende des kommunistischen Systems werde auf einmal klar, "wie der durchschnittliche Pole tickt". Früher, so Mleczko, dachte man, "er liest am liebsten James Joyce und geht täglich ins Theater, um ein Stück von Sartre oder Ionesco zu sehen". Heute wisse man es besser: "Er ist zufrieden mit dem, was ihm in den Kirchen und im Fernsehen geboten wird."
Mleczko aber ist es nicht. Er dankt jeden Tag "dem Allmächtigen, an den ich nicht glaube, dass wir in der EU und in der Nato sind", so können "unsere Politiker nicht so weit gehen, wie sie gerne möchten". Und weil er Veränderungen hasst, wäre er gerne ein Leguan, der den ganzen Tag bewegungslos auf einem Felsen liegt.
Oder ein Tscheche: "Die haben eine gesunde Distanz zur Welt." Notfalls auch ein Deutscher: "Die haben einen Sinn für Ordnung." Die Polen aber, sagt Mleczko, "mögen weder das eine noch das andere". Was bleibt? "Nur die Wahl, vor Angst zu sterben oder sich totzulachen. Beides geht am besten mit einer Flasche Wodka in der Hand."