Kilians Kolumne Kaiser W. und die Raupe Nimmersatt
Auf welchem Planeten lebt eigentlich der Kanzler? Er wolle "keine amerikanischen Verhältnisse", blaffte er kürzlich. In Crawford kam das gewiss nicht gut an. Eine Verunglimpfung sondergleichen! Sicherlich hätte W. dem Kanzler die Zunge herausgestreckt, wenn Cheney ihn nicht davon abgehalten hätte ("doesn't look good, Sir!").
Außerdem scheint Schröder entgangen zu sein, dass er sich mit einem Imperium angelegt hat, einer Art postmodernem Rom, an dessen Rändern Leute wie er als Statthalter wirken. "Keine amerikanischen Verhältnisse" - das muss man sich einmal vorstellen, mit all dem Denglisch, den Big Mäcs, den amerikanischen Spielfilmen, der HipHop-Mode. Und mit Scharping! Yo, Scharping! Richtig amerikanisch relaxed, wie er mit seiner Gräfin im Wasser dümpelt. Damit gewinnt man in Amerika die Wahl zum Sheriff. Insgesamt gibt es Deutschland doch nur noch als Idee, die Realität zeigt Amerikanisierung total und somit das typische Kopierverhalten imperialer Randgruppen. Schon mal die dorischen Kapitelle in Washington bestaunt? Den Senat? Oder das "Domus Alba?" Von dort kommandiert W. amerikanische Legionen in weit entfernten Präfekturen mit unaussprechlichen Namen. Dort plant er einen virtuellen Himmels-Limes gegen raketenstarrende Barbaren.
Bewacht wird Bushs Residenz von einer Prätorianergarde von Ledernacken, ab und an - zuletzt bei Monica - wird die Regierung in den Circus Maximus verlagert. Panik und Circenses. Mann, das ist Amerika! Leider verschließt sich W. konsequent jeglicher Dekadenz. Quo vadis, Amerika?, bangt er, wenn Britney Spears ohne Overalls im TV erscheint und die Boys zur Raserei bringt.
Bush steckt zudem in einer Identitätskrise. Er weiß nicht, welcher Kaiser er sein möchte. Hadrian? Vollkommen ausgeschlossen, da W. nie in eine Schlacht zog, sondern sich gekonnt vor Vietnam drückte. Konstantin hingegen wäre nicht schlecht. Auch er fand Jesus. Am schönsten aber - garantiert schaut W. dabei verträumt über die friedliche Rinderherde im matten Licht des Spätsommers in Crawford - wäre Marc Aurel. Au ja, Marc Aurel! Der besinnliche Stoiker, der jedem Event eine wunderbare Innerlichkeit abgewann und so schön zu lesen ist.
Leider gibt es da einen Haken. Bush scheint, was das Lesen anbelangt, äußerst festgefahren, ja geradezu unbeweglich zu sein. Warum sonst trägt er bei seinen zahlreichen Auftritten vor amerikanischen Schulkindern seit 1994 stets aus dem gleichen Buch vor? Wen immer er heimsucht - zuletzt Zweitklässler in New Mexico - beglückt Bush mit O-Tönen aus dem Kinderbuch "Die kleine Raupe Nimmersatt". Immer! Egal, ob vor Zweitklässlern oder Vorschülern, stets beschallt er die lieben Kleinen mit der "Raupe Nimmersatt". Will er die Kids warnen, nicht so dick wie ihre Eltern zu werden? Möchte er sagen, dass schlussendlich jeder als Schmetterling ästhetische Triumphe feiern kann?
Oder liebt er das Buch ob seiner GROSSEN BUCHSTABEN, DIE SO EINFACH ZU LESEN SIND? Braucht er vielleicht die Bilder, wenn ihm plötzlich der Text flöten geht? Und er statt "RAUPE NIMMERSATT" folgendes sieht: "REPAU SATTERNIMM". Er gab in New Mexico immerhin zu, dass die Zweitklässler besser lesen können als er: "Die lesen das besser als der Präsident das lesen könnte". Hmmm.... Wie oft schaut W. in dieses Buch? Überhaupt: Liest er auf Gipfeltreffen daraus vor? Und greift er täglich danach, gleich nachdem die Nachrichten aus den Provinzen ("Germania: Scharping aqua amor!!!!") sowie imperiale Großstrategien ("pacta sunt servanda, bezüglich ABM-Vertrag geht Limes jedoch vor") abgehandelt wurden?
Angesichts solcher Fragezeichen muss W. sich das mit Marc Aurel selbstverständlich abschminken. Meines Wissens las der die Geschichte von der "Kleinen Raupe Nimmersatt" nur einmal und überdies in Kleinbuchstaben. Bush dagegen sollte schon der Würde des Amtes wegen nicht "Raupe Nimmersatt", sondern den englischen Polit-Philosophen Edmund Burke lesen. "Kleine Geister vertragen sich schlecht mit einem Imperium", befand der. Aber weiß W., wer Edmund Burke ist? Womöglich der Verfasser der "Raupe Nimmersatt"?
Hier gilt, lieber nicht nachzubohren, sondern den Blick von Crawford nach Ulm schweifen zu lassen, wo Herr Hempel, in Levis und Nikes, darüber ein Sweat-Shirt mit dem Aufdruck "I Love New York", im Bauch eine Coca-Cola samt Big Mäc, vor sich einen Dell mit Microsoft-Ausstattung, dem amerikanischen Universalismus ein lebendes Denkmal setzt. Sie sind doch saugut, diese amerikanische Verhältnisse. Was hat er nur, der Kanzler?