
Hausarrest für Kreml-kritischen Regisseur Die totale Verunsicherung
- • Kirill Serebrennikov : Kreml-kritischer Regisseur erhält Hausarrest
- • Veruntreuungsvorwürfe: Bolschoi sagt Premiere von Nurejew-Ballett ab
"Freiheit", "Freiheit" rufen sie auf der Straße vor dem Basmanny Gericht in Moskau. Etwa 300 Menschen haben sich versammelt, klatschen, pfeifen. Schauspieler, Journalisten, Oppositionspolitiker, sie wollen zeigen: "Wir sind hier, Kirill Serebrennikov".
Ihre Rufe sind so laut, dass sie noch vor dem Saal 21 im Flur des Gerichts zu hören sind. Auch hier warten Unterstützer des international anerkannten Regisseurs, der in Stuttgart eigentlich Engelbert Humperdincks Märchenoper "Hänsel und Gretel" inszenieren sollte. Sie johlen, werden aber sofort von einem der recht aggressiv auftretenden Spezialpolizeikräfte ermahnt, ruhig zu sein.
Ein Bildschirm zeigt, was drinnen im Gerichtssaal vor sich geht: Serebrennikov sitzt im Käfig, er wird von Beamten mit Sturmhauben bewacht. Es wirkt so, als ob nicht gegen einen Theatermann, sondern gegen einen Schwerstkriminellen ermittelt wird.
Wie gegen einen Banditen, so drückt es Regisseur Alexej Utschitel gegenüber dem SPIEGEL aus. Er arbeitet gerade an seinem Film "Matilda", einer Geschichte der Jugendliebe zwischen Nikolaus II. und der Tänzerin Matilda Kschessinskaja, für die er von Ultraorthodoxen massiv angegriffen wird.
Utschitel ist auch ins Gericht gekommen, er bürgt für Serebrennikov, wie auch viele andere, etwa die Witwe des Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn, Natalja Solschenizyna, die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja oder der Regisseur Jewgenij Mironow. Die Moskauer Publizistin Irina Prochorowa sagt zu, eine Kaution in egal welcher Höhe für Serebrennikov zu stellen.
Betrug in besonders schwerem Fall
Es nützt alles nichts: Die Richterin verurteilt den Regisseur am Mittwoch zu einem Monat und 27 Tagen Hausarrest - bis zum 19. Oktober muss er eine Fußfessel tragen, darf kein Internet nutzen, keine Post verschicken. Er darf nur mit engen Verwandten Kontakt haben.
Damit folgt das Gericht dem Staatsanwalt, der dem 47-jährigen Theatermann Betrug in besonders schwerem Fall vorwirft. Serebrennikov soll in den Jahren 2011 bis 2014 rund 68 Millionen Rubel, knapp eine Million Euro, unterschlagen haben. Die Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum beim Theaterprojekt "Plattform" habe es nie gegebenen, das genehmigte Geld sei also veruntreut worden. Serebrennikov hat das mehrmals bestritten, verweist auf die Zuschauer, die das Stück gesehen haben.
Der Staatsanwalt argumentiert, Serebrennikov könne Beweise vernichten und Zeugen beeinflussen. Es bestehe Fluchtgefahr, sagt die Anklage, dabei hatten die Behörden am 15. August Serebrennikovs Reisepass beschlagnahmt.
Ein weiterer Akt in diesem absurden Drama, das Russland seit einigen Wochen erlebt:
Viele Liberale und Kulturschaffende reagieren höchst verunsichert angesichts der Willkür. Manch einer ruft gar schon dazu auf, Russland zu verlassen. Zumal keiner die Logik hinter dem Fall versteht. "Es gibt sie nicht. Etwas, das man selbst nicht versteht, ist unmöglich zu erklären", sagt Leonid Parfjonow, bekannter Kreml-kritischer Journalist.
Ein Exempel statuieren?
Warum gerade gegen Serebrennikov ein Schauprozess geführt wird? Weil er ein schwuler, moderner Künstler ist? Einer der international gefragt ist, Opern wie "Barbier von Sevilla"" von Gioachino Rossini in Berlin inszeniert, für seinen Film "Der die Zeichen liest" über einen religiös fanatisierten Schüler in Cannes ausgezeichnet wurde? Will man an ihm, dem Liberalen, schlechthin ein Exempel statuieren?
Nicht nur die Kreml-kritische "Nowaja Gaseta" vermutet, dass die sogenannten Silowiki, Justiz und Polizei, zeigen wollten, was sie können. Angesprochen auf die Durchsuchungen in Serebrennikovs Theater, hatte Präsident Wladimir Putin im Juni geantwortet: "Ich sehe darin nichts Kluges". Das sei unsinnig gewesen. Die Beamten sind also Dummköpfe?
Diese haben sich nun auf jeden Fall durchgesetzt - Putins Worten zum Trotz. Ob hinter dem Vorgehen interne politische Auseinandersetzungen in der russischen Führung stecken, ist unklar. Eine Botschaft der Sicherheitskräfte ist aber klar: Wenn wir wollen, schnappen wir zu.
"Schande, Schande."
Serebrennikov muss nun vor allem Geduld zeigen. Er muss die Ermittlungen abwarten. Gut sieht es im Moment nicht für ihn aus, bis zu zehn Jahre Haft drohen ihm.
"Ohne Arbeit würde ich durchdrehen", hat er jüngst gesagt. Auch im Gerichtssaal betont er am Mittwoch, dass er kein Interesse habe, wegzulaufen, er sei sehr beschäftigt, wolle einfach weiterarbeiten.
"Schande, Schande" rufen seine Anhänger und verharren auch noch lange nach der Verkündung des Hausarrests vor dem Gericht.
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Dem russischen Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov wird von den Behörden Veruntreuung vorgeworfen. Ein Gericht hat ihn jetzt unter Hausarrest gestellt.
Serebrennikov gilt als einer der wichtigsten und regierungskritischen Künstler. Serebrennikov wurde in Sankt Petersburg festgenommen und bestreitet alle Vorwürfe.
Das Verfahren um mögliche Veruntreuungen ist nicht der einzige Konflikt, der Serebrennikovs Arbeit in Russland zusetzt: Im Juli hatte das Moskauer Bolschoi-Theater eine Ballett-Inszenierung über den russischen homosexuellen Startänzer Rudolf Nurejew abgesagt.
International ist Serebrennikov vor allem als Film- und Opernregisseur bekannt: Im Januar 2017 lief in den deutschen Kinos sein religions- und gesellschaftskritischer Film "Der die Zeichen liest" an. Und auch seine Inszenierung von "Jeanne d'arc au bûcher" mit Fanny Ardant wurde vielfach gelobt.
Der Staatsoper Stuttgart bereitet die Festnahme große Probleme. Serebrennikov soll dort ab Mitte September die Märchenoper "Hänsel und Gretel" inszenieren.
Die Festnahme des regierungskritischen Künstlers hat Schockwellen durch die russische Kulturszene geschickt und ist auch international scharf kritisiert worden.
Regisseur Kirill Serebrennikov soll nun bis zum 22. Oktober unter Hausarrest stehen. Zu seiner Anhörung erscheinen mehrere Hundert Menschen, um sich solidarisch zu zeigen.