Margarete Stokowski

Umwelt-Demos Warum es so viele Frauen an der Klimafront gibt

Den Kampf für Klimaschutz führen vor allem Frauen und Mädchen an. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich mehr um die Erde sorgen als Männer und Jungs - es ist das Ergebnis eines Lernprozesses. Und der muss noch weitergehen.
"Ende Gelände"-Demonstration am 22. Juni: Auf beiden Seiten vor allem Frauen

"Ende Gelände"-Demonstration am 22. Juni: Auf beiden Seiten vor allem Frauen

Foto: SASCHA STEINBACH/ EPA-EFE/ REX

Heute fast nur Lob! Eine der wenigen politischen Entwicklungen, die derzeit Anlass zur Hoffnung geben, sind die Klimaschützer*innen. Anlass zur Hoffnung? Na ja, jedenfalls bei Leuten, die Kapitalismus und den drohenden Weltuntergang für Probleme halten. Es ist nicht schön mitanzusehen, aber aus sozialwissenschaftlicher Perspektive interessant, dass die Anfeindungen gegen Greta Thunberg oder andere aus der Klimaschutzbewegung meistens von älteren Herren aus konservativen und rechten Ecken kommen. Oder aus der sogenannten liberalen Ecke, in der man glaubt, dass der Markt die Selbstausrottung der Menschheit schon verhindern wird. Die britischen Tories haben gerade einen Politiker suspendiert, der gegen eine Greenpeace-Aktivistin handgreiflich wurde.

So süß, wie neulich Stefan Aust auf "Welt Online" schrieb: "Warten wir doch, bis der Klimahype abgeklungen ist" , ein Grabsteinspruch zum Schmunzeln. Ein Abklingen ist nicht in Sicht, gerade erst hat die bisher größte "Fridays for Future"-Demo in Aachen stattgefunden, Zehntausende aus 16 Ländern, und am Tagebau Garzweiler demonstrierten mehr als 8000 Menschen für einen schnelleren Kohleausstieg.

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"Fridays for Future" in Aachen: Wofür die Menschen demonstrieren

Foto: Franca Quecke/ SPIEGEL ONLINE

Wer die Berichte über den Protest zum Schutz des Klimas verfolgt, wird bemerken, dass es auffällig viele Frauen und Mädchen sind, die dabei zu Wort kommen und Forderungen stellen. Eine Untersuchung der TU Chemnitz ergab, dass beim ersten weltweiten "Klimastreik" im März bis zu 70 Prozent der Teilnehmenden weiblich  waren. Und wenn Sie neulich nicht gesehen haben, wie die 23-jährige Luisa Neubauer von "Fridays for Future" bei Anne Will ganz entspannt Olaf Scholz kleingefaltet hat , dann gönnen Sie sich das mal.

Während bei den Grünen mit irritierender Selbstverständlichkeit immer wieder Robert Habeck als Kanzlerkandidat gehandelt wird und nicht Annalena Baerbock  - ohne guten Grund, außer man denkt, zwei Kanzlerinnen hintereinander wären irgendwie obszön -, sind bei der jüngeren Generation hauptsächlich Frauen an vorderster Front, wenn es um Umweltfragen geht.

Männer in der ersten Reihe

Nun könnte man sagen, Umwelt wird eben oft als Frauenthema gesehen, und das nicht nur, weil es da um Pflanzen und Tiere geht und Frauen das angeblich mögen, sondern auch, weil es ums Kümmern geht und Mädchen eher dazu erzogen werden, sich umsichtig zu verhalten. Frauen leisten die meiste Care-Arbeit auf diesem Planeten, und demzufolge könnte es einfach logisch sein, wenn Frauen nun auch die meiste Care-Arbeit für den Planeten leisten. Man weiß, dass Frauen sich oft gesünder verhalten als Männer, also müsste man sich eigentlich nicht wundern, wenn sie auch die Erde halbwegs gesund halten wollen.

Einerseits. Andererseits fällt es eben doch auf, wie viele Frauen und Mädchen nun zum Thema Klimakrise zu Wort kommen, nämlich mehr als bisher. Das kommt nicht allein durch das Thema Umwelt an sich, sondern auch durch Arbeit und Lernprozesse innerhalb der Bewegung.

Nike Mahlhaus, Pressesprecherin von "Ende Gelände", erzählt zum Beispiel, dass es bei den Aktionen der Bewegung am Anfang ein Problem mit den Fotos gab, die in der Presse zu sehen waren: Obwohl auch Frauen bei den Aktionen dabei waren, sah man auf den Bildern später hauptsächlich Männer. Diejenigen, die in den ersten Reihen liefen: "Alles Typen", sagt Mahlhaus, teilweise im Kampf gegen die Polizei, ebenfalls hauptsächlich Männer, es habe alles "sehr martialisch" ausgesehen, mitunter (auch durch die Polizeigewalt bei solchen Aktionen ) abschreckend für Leute, die gern mitmachen wollen, aber nicht die körperliche Fitness mitbringen. Wenn man heute die Fotos der aktuellen Aktionen sieht, sind immer auch Frauen ganz vorne mit dabei.

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Anti-Kohle-Proteste: Kampf ums Klima

Foto: Marcel Kusch/ DPA

Oder die Presseteams: Früher habe man bei "Ende Gelände", erzählt Mahlhaus, gemischte Teams gehabt, einen Pressesprecher und eine -sprecherin. "Eine Aktivistin hat dann im Rahmen ihres Studiums eine Medienanalyse durchgeführt, und da kam dann raus, dass der männliche Sprecher deutlich öfter zitiert wird, auch wenn der Redeanteil ursprünglich gleich groß war. Wir hätten gern, dass Geschlecht keine Rolle spielt, aber in dieser Welt leben wir noch nicht." Also entschied das Bündnis: Pressesprecherinnen werden jetzt erst mal nur Frauen, 100 Prozent Frauenquote, momentan sind es drei Frauen. Feminismus ist für die Klimaschützer*innen, so Mahlhaus, "sowohl das Ziel als auch der Weg dahin, und wir versuchen in unserer Bewegung schon die Welt zu schaffen, die wir uns wünschen."

Verzicht ist gut, aber nicht immer machbar

Trotzdem reicht es natürlich nicht, wenn in einer Bewegung, einer Initiative oder einem Bündnis nur schön viele Frauen vorne stehen. Diversität bedeutet auch, dass andere marginalisierte Gruppen mitmachen: People of Color, Menschen mit Behinderungen, arme Menschen, und da sieht es auch beim Klimaschutz gerade noch nicht so gut aus. Nike Mahlhaus erzählt, bei den Protesten von "Ende Gelände" seien inzwischen auch Menschen im Rollstuhl dabei, nicht-weiße Menschen, Frauen mit Kopftüchern. Insgesamt sei das Bündnis aber noch "super akademisch, super weiß, super städtisch", und man arbeite dran, das zu verbessern.

Wie divers kann eine politische Bewegung sein, in einer Gesellschaft, in der nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu engagieren? Es ist für jede herrschaftskritische Bewegung ein Problem, wenn Einzelne zu sehr herausgestellt werden, wenn der Zugang zu politischem Engagement bestimmte Ressourcen voraussetzt, die viele nicht aufbringen können, wenn die Stimmen derer, für die auch gekämpft werden soll, nicht genug gehört werden.

Bei "zett" gab es neulich einen Kommentar, in dem es hieß: "Ich schäme mich fürs Fliegen - und ihr solltet das auch" . Eine weise Twitter-Nutzerin schrieb dazu : "Nö Rebecca. Werde mich nicht schämen. Hätten Europäer nicht die halbe Welt ausgebeutet & kolonialisiert, dann müssten so viele Menschen heute wegen Krieg, Vertreibung etc. nicht auf andere Kontinente, um ihre Familien zu sehen." Schön, wenn Leute auf unnötige Flüge verzichten, aber unschön, wenn sie dabei vergessen, dass andere Leute es dabei nicht ganz so einfach haben.

Politisch aktiv zu sein, ist im Idealfall ein ewiger Lernprozess. Und übrigens keiner, der vom Alter abhängt. Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, twitterte  zu den "Ende Gelände"-Protesten, dass Leute, die üben, Polizeibarrikaden zu durchbrechen, "Provokateure und Verbrecher" seien. Na ja. Oder eben Menschen, die es ernst meinen mit ihren Aktionen. Richtiger wäre allerdings: Verbrecher*innen. Für eine gute Sache.

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