S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Frauen sind nicht wie Grass

Wie konnte es Günter Grass so weit bringen? Es liegt weder an seiner künstlerischen Leistung, noch an seiner bestechenden Intelligenz. Sondern allein daran, dass er deren Existenz so penetrant herbeigeredet hat. Er ist ein Männerdarsteller wie aus dem Bilderbuch.

Angenehm ruhig ist es gerade um Grass geworden. Die Sensiblen unter Ihnen möchte ich beruhigen, es geht nicht um sein Gedicht an dieser Stelle. Und ich versuche, den Namen so wenig wie möglich zu erwähnen. Aber die Untersuchung dieses Medienfalles ist zu interessant, als dass ich ihn einfach von mir unerforscht vergehen lassen kann. Wenn man sich die Mühe macht, all die Kommentare zu Grass und die Kommentare auf die Kommentare zu lesen, dann fällt auf, dass sich fast nur Männer äußerten. In einer mir und anderen Homosexuellen völlig unverhältnismäßigen Geschwindigkeit und Aggression, in einem Ausmaß, als wäre irgendetwas passiert. Als hätte Deutschland einem anderen Land, sagen wir mal Israel, den Krieg erklärt, wurde aus dünnen Versen innerhalb von Stunden ein Staatsereignis. Eine Welterschütterung wegen einiger Zeilen, die man schlicht nicht hätte abdrucken sollen, so wie Zeitungen jeden Tag schlechte Texte ablehnen. Nicht, um den Verfasser zu zensieren, sondern um ihn zur Sorgfalt anzuhalten oder ihn zu schützen.

Das Männerrudel, ich darf es kurz wegen meiner biologischen Erklärung so nennen, schien endlich einen schwachen Moment gefunden zu haben, sich seines Silberrückens entledigen zu können. Endlich wegbeißen für immer, den müde gewordenen Rudelchef, der etwas lädiert schien. Nicht mehr fest das Gebiss, nicht mehr klar der Blick. Ein paar getreue Alte hielten zu ihm, erahnend, was auch ihnen bevorstehen würde in wackligen Jahren. Die anderen gruben ihre Zähne in das Leittier, um es endlich, endlich weg zu wissen. Ein normaler Vorgang in der Natur. Und Grass, der nur zum Leittier wurde, weil er es eben wollte, schleicht nun in der Savanne.

Keine Ahnung, ob es nochmals zu einem Angriff um den Führungsposten reichen wird. Das Geheimnis seiner Energie wird er mit sich nehmen. Dieses Rätsel, wie Männer es immer wieder schaffen, an die Spitze zu kommen, allein weil sie es eben wollen. Im Fall Grass ist es weder die künstlerische Leistung noch die bestechende Intelligenz, die ihn so weit brachte. Sondern die ständige, penetrante Behauptung von deren Existenz. In der Welt der Männer langt es vermutlich, das Kinn nach vorne zu schieben, den Gegner beiseite zu walzen, nicht zuzuhören, keine Rücksicht auf Verluste. Die Behauptung, der wichtigste und zugleich politischste Autor des Landes zu sein, erfüllt sich so irgendwann.

Eine Strategie, die keiner Frau einfiele, wage ich zu behaupten. Aber eine Frau käme sowieso nie an die Stelle eines Grass. Frauen sind nicht politisch, sie sind niedlich. Sie sind auch keine Philosophen, da ist schon Precht. Männer würden nie auf die Idee kommen, einer Autorin oder einer Philosophin den Spitzenplatz einzuräumen. Zuzugestehen, dass eine Frau im Rudelrang über ihnen stünde, das wäre unmöglich. Langt es doch, dass sie sich durch den Anblick der Frau ständig an die Peinlichkeit der eigenen Geburt erinnern lassen müssen. Lange hat Grass durchgehalten, ein Männerdarsteller wie gemalt, der Bart, der Tee mit arabischen Freunden im Wüstenzelt, die Frauen, die seine Gene in die Welt tragen durften. Das große Wort, das gespreizte Bein, die Pfeife, die Selbstverliebtheit. Warten wir, wer seinen Platz einnimmt.

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