Sibylle Berg

Überwachung im Netz Wie richtig guter Sex mit vielen Zuschauern

Sie haben nichts zu verbergen? Die Debatten um Sicherheit im Internet halten Sie für nervig und übertrieben? Na, dann hoffen wir mal, dass alles gut geht.
Vermessene Pupille

Vermessene Pupille

Foto: Roland Weihrauch/ dpa

Das Netz ist kaputt. Man müsste es beerdigen und neu erfinden. Alles, was sich einige am Anfang unter Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorgestellt haben, die bessere Welt in der Welt, fand nicht statt. Wie auch, es sind ja Menschen am Projekt Internet beteiligt. Neben nervenden Hackern, die einfach nur kriminell sind und einen zur täglichen Neunachrüstung zwingen, und denen gerade alle Medien ihre Aufmerksamkeit widmen (klar, es geht ja auch um, Achtung: Geld), ist die Meta-Bedrohung fast vergessen. Weil: Sieht man nicht. Weil: Ich hab doch nichts zu verbergen. Sagen die Menschen, die alle Citizenfour  hätten sehen können.

Nein, ich habe nichts zu verbergen, sagen also selbst vernünftige Menschen und lassen mich ratlos zurück. Und weiter geht es im Bundestag .

Gesichtserkennung, dann Speicherung; die Fingerabdrücke haben die meisten ja schon freiwillig in ihr Handy gedrückt. Was ist denn nur los? Überwachung ist doch gut, wegen der Terroristen, denken sie, und: Was kann ich schon dagegen tun? Mit Letzterem haben sie fast recht. Im Prinzip kann man wenig tun, außer die Überwachung anstrengend zu machen.

Sie haben nichts zu verbergen? Ernsthaft? Es klingelt. Ein Rudel dicker Männer steht vor der Tür, und Sie bitten die in Ihre Wohnung. Sie gruppieren sich nachts um Ihr Bett und schauen Ihnen beim Sex zu.

Klappt nicht? Na schade, dann nehmen wir mal Ihre Werte. Hm, der Blutdruck ist miserabel, also das müssen wir der Kasse melden . Hoppla, wo kommt denn die Erhöhung der Prämie her? Egal. Die Fremden in der Wohnung beobachten das Wichsen vor Youporn. Sie durchstöbern die Notizbücher, die Adresslisten, sie rufen zum Spaß mal alle Expartner an und fragen nach den Ernährungsgewohnheiten - ups, müssen sie gar nicht, die Daten sind ja auch so erfasst. Die Leute begleiten alle Ihre Einkaufstouren, ein bisschen viel Alkohol, was?

Hoffen wir einfach, dass Sie niemandem im Weg stehen

Sie wissen, wann man sich mit wem wie lange trifft, sie beobachten die Affären der Eltern, komisch, der Viagra-Spam im Postfach. Sie lesen die Mail, in der sich der Vater über den Chef beklagt (impotentes Stück Mist) und die Mails der Gattin, die sich nach Besuch einiger Verschwörungspages mit ihren Freunden über Rauschgift austauscht.

Sie bekommen eine Job-Absage nach der anderen? Komisch, oder? Die Leute beobachten Ihren BMI, die Launen, die Tränen in der Nacht (sind Sie vielleicht depressiv?), die Häufigkeit des Stuhls, das Wechseln der Geschlechtspartner und die politische Einstellung. Dann betrachten sie den Kontostand, den Versuch, bei der Steuer zu lügen, und vielleicht kommt ja morgen oder übermorgen ein neues Gesetz, das das Betrachten von Pornografie unter Strafe stellt. Sie wollten nur mal schnell schauen, oder?

Hoffen wir doch einfach darauf, dass Sie nie einen Job antreten wollen, in dem Sie erpressbar sind. Hoffen Sie einfach darauf, dass Sie nie eine Versicherung in Anspruch nehmen, dass Sie nie eine Rente beantragen. Hoffen wir, dass Sie den Kredit für Ihr Haus bekommen (als Depressive). Hoffen wir, dass Sie nie jemandem, der mächtig ist, im Weg stehen, Sie niemanden mit Ihrem Sexverhalten brüskieren, oder Ihr Gesicht oder Ihr Essverhalten sich im Rahmen der Norm bewegen.

Ihre Daten sind gesammelt, Ihre Fingerabdrücke registriert, Ihre Iris gescannt. Hoffen wir einfach, dass alles gut geht. Hoffen wir, hoffen wir.

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