"Hörzu"-Verkauf Mecki wird zum Zombie

Die Axel Springer AG verkauft die "Hörzu": Bald nur noch ein Zombie?
Foto: Jens Kalaene/ dpaAls am 11. Dezember 1946 zum Preis von 30 Pfennig und gemäß Lizenz der britischen Militärregierung die allererste Ausgabe der "Hörzu" herauskam, gab es ein Problem: "Hörzu! erscheint in der papierärmsten Zone", wandten sich Redaktion und Verlag an ihre Leser, "wir beginnen deshalb mit zwölf Seiten, obwohl wir am liebsten gleich mit zweiunddreißig Seiten begonnen hätten." Allerdings gab es auch Verheißungsvolles zu vermelden: "Hörzu! hält den Rundfunk nur für eine Vorstufe des farbigen, plastischen Fernsehrundfunks." Diese Entwicklung zu begleiten sei eine "Verpflichtung gegenüber der Zukunft".
Bekanntlich ist seitdem nicht nur in Sachen farbiger Fernsehrundfunk allerhand geschehen. Auch das Geschäft mit dem bedruckten Papier hat sich verändert. Aus dem Mangel ist ein Überangebot geworden, speziell im Programmzeitschriften-Segment tummeln sich allzu viele Titel. Die Auflagen sinken seit langem. Und doch ist der am Donnerstag verkündete Verkauf des Traditionstitels von Axel Springer an die Funke Mediengruppe ein überraschender Schritt, der für die Zukunft der Medienbranche zu denken gibt.
Man muss kein Fan der Springer-Erzeugnisse im Allgemeinen und der "Hörzu" im Besonderen sein, um zu staunen, dass ein Unternehmen sich von einer derart starken Marke trennt. Schließlich steht die "Hörzu" nicht nur für Mecki-mäßige deutsche Wohnzimmer-Heimeligkeit, sondern in gewisser Weise auch für Kontinuität in Zeiten des Medienwandels: Weihnachten 1952, sechs Jahre nach ihrer Gründung als Rundfunk-Zeitung, ging das Fernsehen überhaupt erst auf Sendung. Im April 1963 startete das ZDF, 1967 wurde der Bildschirm farbig, Mitte der Achtziger kam das Privatfernsehen dazu.
Warum sollte die "Hörzu" den Medienwandel nicht begleiten?
Inzwischen gehören eben eine enorme Sendervielfalt und zeitflexibles Fernsehen zur Mediennutzung. Warum sollte eine Marke mit einer so gewachsenen Glaubwürdigkeit nicht auch diesen Wandel begleiten können? Zumal in einem Segment, in dem Seriosität ein Pfund wäre, mit dem sich wuchern ließe.
Mit der Goldenen Kamera verfügt das Blatt über einen eigenen Film- und Fernsehpreis, der alljährlich Publicity garantiert. Und auch wenn die einstige Auflagenhöhe von über vier Millionen in den sechziger Jahren inzwischen unerreichbar ist, gehört die "Hörzu" immer noch zu den weniger werdenden Millionensellern im deutschen Zeitschriftenmarkt - die verkaufte Auflage liegt bei etwas über 1,2 Millionen Exemplaren. Die wöchentliche Erscheinungsweise schafft eine Abgrenzung zur jüngeren 14-täglichen Konkurrenz und bietet die Chance für eine klare Positionierung.
Zudem handelt es sich nicht um den Verkauf eines mit anachronistischer redaktioneller Überbesetzung hergestellten Objekts, bei dem nun andere die fälligen Kürzungen übernehmen müssen. Lange her sind die Zeiten, da Chefredakteure wie Andreas Petzold in gleicher Position zum "Stern" wechselten oder Jörg Walberer zumindest noch mit exzentrischen Editorials Furore machte. Seit 2009 amtiert mit dem einstigen "TV Spielfilm"-Macher Christian Hellmann ein moderner Multi-Chefredakteur, der allen Programmzeitschriften des Hauses gleichzeitig vorsteht (also auch den ebenfalls verkauften Titeln "TV Digital", "Funk Uhr", "Bildwoche" und "TV Neu") und der Synergie-Potentiale bereits nach Kräften ausgeschöpft hat.
Vielleicht liegt aber auch genau hier das Problem: Offenbar hatte man bei Springer gar keine Lust mehr, die Unverwechselbarkeit der "Hörzu" zu stärken, das Versprechen eines Premium-Programmies mit relevanter Fernsehberichterstattung einzulösen und parallel einen smarten Online-TV-Guide zu entwickeln. Der diesen Februar lancierte Hochglanz-Ableger "Hörzu Reporter" konnte diesem Eindruck genausowenig entgegenwirken wie eine Homepage, die beispielsweise heute unter "News zum Fernsehprogramm" die "Beckman"-Ausgabe vom 18.7. und die Amtseinführung Tom Buhrows als WDR-Intendant (16.7.) thematisiert.
Zombifizierung der TV-Programmzeitschriften
Der Verlag glaubt offensichtlich weder daran, dass sich aus Omas Couchtisch-Accessoire ein cooler Coffeetable-Titel formen ließe noch an eine gewinnbringende digitale Erscheinungsform. Das ist nicht nur für die betroffenen Redakteure ein trauriges Zeichen. Für den ohnehin ziemlich inspirationsfreien, durchformatierten Programmzeitschriften-Markt lässt der Deal jedenfalls nichts Gutes erwarten. Bedenkt man, was nach der Übernahme des ehemaligen Gruner + Jahr-Titels "TV Today" durch Burdas "TV Spielfilm" passierte - Befüllung zweier "Gefäße" mit nahezu identischen Inhalten -, und wie die Funke Mediengruppe jüngst die "Westfälische Rundschau" zur ersten redaktionslosen Zeitung machte, liegt eigentlich nur eine Option auf der Hand.
Womöglich können ja die Funke-Manager die frisch erworbene Springer-Ware noch kostensparend mit den eigenen Titeln "Gong", "Bild + Funk" und "TV direkt" zusammenlegen. Lauter hohle Hüllen - es wäre die endgültige Zombifizierung des Programm-Markts.