
Mockumentary "Propaganda": Alles außer Agent
Fake-Doku über Nordkorea Der oberste Führer von Neuseeland
Unkommunistischer geht's kaum. Die Villa in Christchurchs vornehmem Stadtteil Fendalton zeugt von Wohlstand, der in blaues Tuch gehüllte Hund vor der Tür könnte auch Paris Hilton gehören. Hausherr Eugene Chang ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, angehender Trüffelfarmer gar. Aber in der koreanischen Gemeinde dieser Stadt, zu der er seit zwölf Jahren als Immigrant gehört, spuckt man neuerdings vor ihm aus. Ein Aussätziger.
"Ich muss meinen guten Namen wieder herstellen", sagt Chang bei einem Treffen im Café gegenüber seinem Heim. Er kommt gerade vom Anwalt. Was als Kunst begann, hat ihn in der Wirklichkeit eingeholt: Der 48-Jährige ist durch einen Anti-Propaganda-Film zum realen Propaganda-Opfer geworden. Man hält ihn für einen Agenten aus Pjöngjang.
Vor einem Jahr bekam der gelernte Ingenieur und Gelegenheitsübersetzer aus Seoul in seiner neuseeländischen Wahlheimat einen Auftrag: Ein Drehbuch sollte aus dem Koreanischen ins Englische übersetzt werden und er im Film die einzige Rolle übernehmen - als nordkoreanischer Wissenschaftler, der seinen Landsleuten die üblen Machenschaften des Imperialismus und Kapitalismus erklärt.
"Propaganda", so der Name des Films, ist ein visuelles Pamphlet, das auch auf aufgeklärte Zuschauer doppelbödig wirkt: In einer rasanten, anderthalbstündigen Bilder-Montage aus News, TV-Shows und Computergames müssen Madonna, iPhones, George W. Bush, Hurrikan-"Katrina"-Opfer und andere herhalten, um zu demonstrieren, wie Konzerne, Showbusiness und Globalisierung die Menschen zu Konsum-Zombies machen. Auch der Papst bekommt sein Fett weg. "Als gläubiger Katholik fand ich das sehr provozierend", so Chang. "Aber gerade deshalb war es mir wichtig, über Redefreiheit und Medien aufzuklären."
Virales Marketing mit Hilfe von Sabine
Chang sagte also zu, debütierte vor der Kamera, drehte fünf Tage lang und unterschrieb ein Schweigeabkommen mit Slavko Martinov. Der bis dahin so gut wie unbekannte Filmemacher aus Christchurch hatte acht Jahre lang die filmische Polemik montiert, ohne einen Cent an Fördergeldern - nach einem Gehirntumor, nach einem psychischen Zusammenbruch und durch zwei verheerende Erdbeben hindurch. Seine Botschaft: "Glaube niemandem." Nur acht Leute waren eingeweiht, Geld verdiente der 42-Jährige nebenbei als Türsteher.
Da Martinov sich keine PR-Kampagne leisten konnte, versuchte er es mit virtuellem Guerilla-Marketing: Die von ihm erfundene Exil-Koreanerin "Sabine" stellte den Film am 17. Juli 2012 in Australien bei YouTube ein und gab an, er sei ihr von nordkoreanischen Dissidenten zugespielt worden. Ihre Back-Story war wasserdicht, die List funktionierte. Hunderttausende glaubten, auf ein seltenes Dokument aus dem Reich Kim Jong Uns gestoßen zu sein. "Propaganda" verbreitete sich, wurde von YouTube-Usern in mehrere Sprachen übersetzt. Doch die wahre Herkunft und der Name des Regisseurs blieben geheim.
Eugene Chang hingegen wurde recht schnell erkannt, nur nahmen ihm viele seinen Filmauftritt allzu sehr ab - er wurde für ein Mann im Dienste des nordkoreanischen Regimes gehalten: "Keiner unserer Freunde rief mehr an, die Leute schauten uns nicht mehr in die Augen. Wir wurden sogar in der Kirche geschnitten." Dafür meldeten sich der Kulturverein "Korean Society" aus Christchurch und die südkoreanische Botschaft in Wellington bei ihm: Er sei als Spion Nordkoreas bezichtigt worden und möge dazu offiziell Stellung nehmen; wer kommunistische Ideologie in Südkorea verbreitet, macht sich dort strafbar.
Der Priester spuckt vor ihm aus
"Ich musste mit meinen Söhnen darüber lachen", so Chang. Die Botschaft verwies er an Filmemacher Martinov, und bei der "Korean Society" entkräftete er vor versammelter Runde die Gerüchte. Bald verging ihm jedoch das Lachen, denn die in Neuseeland kostenlos verbreitete Immigranten-Zeitschrift "The Korean Review" schoss sich auf ihn ein. Man nahm ihm übel, sich auf die Seite des Erzfeindes begeben zu haben - selbst wenn es nur als Schauspieler war statt als Spion. Und der dubiose Ruf blieb hängen. "Als ob man Anthony Hopkins vorwirft, Hannibal Lecter zu sein", kommentiert Chang.
Im Job ließ Changs Konzentration nach, seine Ehre stand auf dem Spiel. Ehefrau Jin, die Englisch unterrichtet, wurde von Schülern verbal attackiert. "Sie hat acht Kilo abgenommen und jetzt ein Magengeschwür." Und Changs 78-jährige Mutter, die vor 60 Jahren aus Nordkorea geflohen war, musste nach Seoul geflogen werden, weil sie den Stress nicht mehr aushielt. Die schlimmste Demütigung war jedoch, dass man Chang im Gottesdienst der katholischen koreanischen Gemeinde die Kommunion verweigerte. Er schaltete die Medien ein. Der Priester spuckte vor laufenden Fernsehkameras vor dem angeblichen Nestbeschmutzer aus - "die schlimmste Beleidigung".
Slavko Martinov griff daraufhin ebenfalls zur Kamera und begann, diese Auseinandersetzung für einen weiteren Film zu dokumentieren. "Wir wollten von Anfang an zeigen, wie transmedial Propaganda funktioniert und hatten alle politischen Konsequenzen durchdacht, aber diesen lokalen Konflikt hatten wir nicht erwartet. Wir stehen als Team hinter Eugene. Notfalls ziehen wir vor Gericht." Auf der Website des Films sind vor das eigentliche Werk jetzt eine Reihe von Sätzen eingeblendet: "Eugene Chang ist kein nordkoreanischer Spion. Er ist ein Übersetzer und Schauspieler. Er ist ein Vater und Katholik." Die Reihe endet mit den Worten: "Unterstützt Demokratie. Unterstützt Eugene Chang."
Im November 2012 outete Martinov sich erstmals öffentlich beim Filmfestival IDFA in Amsterdam, wo bis dahin selbst die Veranstalter gedacht hatten, es handele sich um einen anonymen nordkoreanischen Beitrag. Ein Irrglaube, der womöglich lange Zeit auch in deutschen Medien verbreitet war. Ein vor wenigen Tagen erschienener "taz"-Text las sich noch so, als sei der Film echte Propaganda aus Pjöngjang. Nach massiver Kritik verfasste der "taz"-Autor dann eine Art Rechtfertigung: So zu tun als ob, sei ein "Experiment" gewesen, so seine Behauptung.
Und Eugene Chang? Bereut er es, sich auf das Projekt eingelassen zu haben? "Überhaupt nicht." Er glaubt, dass der umstrittene Film zur Verständigung zwischen den beiden koreanischen Staaten führen kann. "Ich würde es sofort wieder tun."