Künstler beim Kanzler "Wir sind die besten Schüler Amerikas"

Auf ungewöhnlichem Weg haben sich führende Intellektuelle in die Irak-Debatte eingemischt. Sie luden sich beim Kanzler ein, weil sie seinem Nein zum Krieg misstrauten. SPIEGEL ONLINE war dabei, als Günter Grass, Wolfgang Niedecken und andere mit dem Regierungschef über Weltpolizisten, Awacs-Einsätze und den Countdown zum Horror debattierten.
Von Holger Kulick

Berlin - So schnell kann ein Termin beim Kanzler klappen. Erst vor einer Woche hatte der Heidelberger Plakatkünstler Klaus Staeck eine kurze Begegnung mit Gerhard Schröder, mit dem der SPD-Sympathisant bis dato nie richtig warm geworden war. Von ihm wissen wollte er nur eins, stellvertretend für viele seiner Künstlerkollegen: Wie viel Verlass ist auf des Kanzlers Nein zum Irak-Krieg?

Der Kanzler schaltete schnell und schaufelte seinen Terminplan frei, um sich nur eine Woche später zwei Stunden lang rund 20 Gästen aus Kunst und Wissenschaft zu einem "Gedankenaustausch" zu stellen, die Staecks "Aktion für mehr Demokratie" aussuchen durfte. Bedingung: kein Wort darüber im Vorfeld und nur wenige Journalisten als Zeugen, darunter SPIEGEL ONLINE.

Montagabend beäugten verblüffte Sicherheitsleute die prominente Künstlerschar, die sich im Bankettsaal von Schröders Amtssitz sammelte. Mit dabei: die Schriftsteller Christa Wolf und Günter Grass, der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer, die Musiker Wolfgang Niedecken und Katja Ebstein, die Filmregisseure Hark Bohm, Hans Geißendörfer ("Lindenstraße") und Fred Beinersdorfer ("Tatort"), der Kölner Schauspieler Joachim Król und der Hamburger Theaterintendant Tom Stromberg.

Ferner nahmen Friedensforscher, Kirchenvertreter und Verfassungsrechtler an der Runde teil. Ihre Erwartungen? "Ist nicht schon alles gesagt und dennoch nichts mehr zu bremsen?", fragte die Berliner Autorin Christa Wolf vor Beginn skeptisch. Zu 80 Prozent sei der Krieg doch schon sicher. Und Initiator Klaus Staeck argwöhnte, "Wir werden doch nicht etwa halb mitmachen?"

"Wir sind nicht isoliert"

Dieser Ansicht widersprach Hausherr Schröder von Anbeginn: "Wer glaubt, dass meine Festlegung aus taktischen Gründen erfolgt ist, der irrt".

Das souverän gewordene Deutschland habe "nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich differenziert zu äußern", argumentierte Schröder und gab sich sicher: in der Irak-Frage "sind wir nicht isoliert". Im Gegenteil gebe es eine wachsende Zahl von Regierungen, die "sensibel werden für Debatten in ihren Zivilgesellschaften, wie bei uns".

Natürlich "haben wir alle ein Interesse, dass Hussein so schnell wie möglich sein Amt verließe", räumte der Kanzler ein, "wie auch immer das zu bewerkstelligen ist". Aber einen Krieg als Umsturzrezept lehne er prinzipiell ab. Beunruhigend sei für ihn in der öffentlichen Debatte, "dass der Krieg zum normalen Mittel der Politik stilisiert worden ist". Dem stelle er sich aus Überzeugung entgegen: "Ich möchte einen Beitrag dazu leisten: Krieg ist kein normales Mittel".

Aufmerksam lauschten die intellektuellen Gäste dem Kanzler beim Festklopfen seiner Grundsatzpositionen, zu denen auch das Spiel auf Zeit gehört. Wenn am 27.1. der Zwischenbericht der Waffeninspektoren vorgelegt werde, müsse selbstverständlich "mehr Zeit eingeräumt werden, wenn sie mehr Zeit brauchen", forderte Schröder.

Vollkommen klar sei für ihn, dass sich Deutschland nicht an einem Krieg beteiligen werde, allerdings gebe es eine schwierige Balance zwischen Selbstständigkeit und Bündnisverpflichtung.

Gegen deutsche Awacs-Piloten, die helfen, das Bündnis zu schützen, sei nichts einzuwenden. Deutsche Awacs-Piloten, die aber zur Zielerfassung im Irak eingesetzt würden, "das wäre Kriegsbeteiligung", die ohne ein klares Mandat durch den Bundestags unmöglich sei, sagte Schröder: "Dann können sie nicht an Bord bleiben". Den Nato-Partnern allerdings Überflugrechte oder Militärbasen zu entziehen, das würde Deutschland in eine Situation bringen, "die ich nicht verantworten kann", sagte Schröder und warb bei den kritischen Denkern um Verständnis.

"Den USA den friedlichen Rückzug decken"

Kopfnicken bei den anwesenden Intellektuellen, sogar ausdrückliches Lob von Initiator Staeck: "Wir sind die besten Schüler Amerikas, was Demokratie anbelangt: wir leisten uns eine eigene Meinung". Wichtiger auch, als die USA zu verteufeln, sei zu überlegen, wie man ihr "den friedlichen Rückzug decken kann", räsonierten Günter Grass und Lindenstraßen-Regisseur Hans Geißendörfer. Denn das sei die eigentliche Aufgabe der nächsten Wochen, den Amerikanern zu helfen, ohne Gesichtsverlust "aus der Bredouille wieder herauszukommen", so Grass.

Um seine doch so lobenswerte Position besser zu verkaufen, müsse Schröder allerdings aus der Passivität in öffentliche Offensive gehen, riet ihm Grass, zum Beispiel im Rahmen einer mutigen Regierungserklärung. Denkbar sei aber auch ein öffentliches Gespräch, nicht nur mit Künstlern, sondern auch ranghohen Vertretern der Kirchen, die sich derzeit auf überraschendem Friedenskurs befänden.

Mit beiden Kirchen? Umgehend erklärte sich Schröder dazu bereit und es klang als wäre ihm eindringlich daran gelegen, auf solch einem Weg seinen Friedenskurs noch breiter zu verankern und die Künstler als Motor zu benutzen. Für einen solchen öffentlichen Friedensdialog sei der symbolischste Ort der Kölner Dom, regte Bap-Sänger Wolfgang Niedecken anschließend an. Stark dafür wolle er sich gleich nach seiner Rückkehr in seiner ehemals kriegszerstörten Heimatstadt machen.

Günter Grass gab noch weitere Anregungen für symbolträchtige Aktionen: Wenn Verteidigungsminister Struck verspreche, dass Lazarett-Flugzeuge für US-Soldaten zur Verfügung stünden, müsste dies auch für Opfer in der Zivilbevölkerung Iraks der Fall sein - um glaubwürdig zu bleiben.

Friedensgebot des Grundgesetzes

Besonders eindringliche Argumentationshilfe gaben die anwesenden Juristen am Kanzlertisch. Aus dem deutschen Grundgesetz gehe ein eindeutiges Friedensgebot hervor, deshalb dürfe die Bundesrepublik schon gar keinem Angriffskrieg zustimmen, erläuterten Helmut Simon und der Hamburger Verfassungsrechtler Professor Thomas Bruha. Auch die Uno-Charta verpflichte auf ein prinzipielles Gewaltverbot, daran sei auch der Weltsicherheitsrat gebunden. "Wir sind im Beistand des Rechts", argumentierte Simon.

Ein Präventivkrieg oder ein gebilligter Alleingang der USA würden jedoch "das Ende der bestehenden Weltrechtsordnung bedeuten". Auch das müsse vom Kanzler, aber auch den Medien öffentlich deutlicher ins Bewusstsein gerückt werden. Den Medien aber, so stöhnte der Schauspieler Joachim Król, sei der "Countdown zum Horror" lieber, als das Nachdenken über Wege zum Frieden.

Dabei sei es so wichtig, die Öffentlichkeit aus ihrer Resignation zu holen, dass der Krieg schon so gut wie sicher sei, warben Christa Wolf und Friedrich Schorlemmer. Der Wittenberger Pfarrer bezeichnete es als "moralische Verwahrlosung", Milliarden für Kriegsführung auszugeben, aber nur einen Bruchteil davon für Kriegsvorbeugung oder Nachsorge. Der Hamburger Intendant Tom Stromberger machte plastisch, wie er amerikanisches "Weltpolizistentum" vor Kurzem bei einer Afghanistan-Reise erlebt habe. Dort würden deutsche Soldaten Schulen mit aufbauen, amerikanische dagegen nur provokant "in Rambo-Mentalität patrouillieren". In dieser konzeptionslosen "Ruhe nach dem Sturm" würden nur neue Pulverfässer geschaffen. Ähnliches fürchte er auch im Irak.

Warnung vor Bush-Kritik

Ein wenig ängstlich zeigte sich Schröder, dass Kritik am US-Präsidenten festgemacht werden könnte.

Es sei verkehrt, die notwendige Debatte über Amerikas neue Militärdoktrin "zur Auseinandersetzung mit einer Person zu machen", warnte der Kanzler. Bush gar mit Hitler verglichen zu haben, sei eine "reine Katastrophe gewesen, dumm und unhistorisch", sagte er und spielte damit auf den verbalen Faux-Pas seiner einstigen Justizministerin Däubler-Gmelin an. Überdies seien die Amerikaner keineswegs auf ein isoliertes Vorgehen aus, dessen sei er sich sicher.

Auch den Briten Tony Blair als einen Befehlsempfänger Amerikas zu verteufeln, sei grundverkehrt, denn dessen Situation sei im Kontext der "spezifisch britisch-amerikanischen Beziehungen" äußerst nachvollziehbar. Irritierend sei für ihn allerdings, wie derzeit in der englischen Presse gegen ihn vorgegangen werde und er hoffe, es gebe da keinen Zusammenhang mit seiner Friedensposition, deutete Schröder an. "Ich definiere Freundschaft als die Pflicht, dem anderen zu sagen: Na bist du noch auf dem richtigen Dampfer?", bekräftigte der Kanzler seinen Weg.

Am Ende Zweifel verloren

Mit gemeinsamen Appellen an die Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs wollen die Intellektuellen nun selbst in die Offensive gehen und versuchen, ihren Kreis europäisch auszuweiten.

Im anschließenden Brainstorming ohne den Kanzler erklärten sich alle Teilnehmer bereit, Schröder von nun an Rückendeckung in der Friedensfrage zu leisten. Seine Glaubwürdigkeit, so die Künstler, habe er unter Beweis gestellt.

"Er steht felsenfester hinter dem Nein, als mir klar war", resümierte ein hochzufriedener Günter Grass. Nun gehe es darum, Schröder Mut zu machen, das amerikanische Kriegsdrehbuch umzuschreiben, empfahl Tatort-Autor Fred Beinersdorfer und Initiator Klaus Staeck resümierte, er habe seine "Zweifel verloren, dass sich Schröder noch Hintertürchen offen hält". Solange der Krieg noch nicht angefangen habe, sei er auch noch vermeidbar, "bis zur letzten Sekunde" müsse man nun alles dafür tun, forderte Staeck.

Auch Christa Wolf wünschte sich, dass Schröder "Rückenstärkung erfährt, indem wir helfen, eine solche Bewegung in der Bevölkerung auszulösen, dass er gar nicht mehr "ja" sagen kann und international dafür vollstes Verständnis erhält".

Wolf hatte dem Kanzler zunächst sehr ehrlich ihr Misstrauen mitgeteilt. Sie selbst denke "das auch manchmal", das wir "am Ende ja doch dabei sind und sowieso belogen werden."

Jetzt schöpfe sie aber wieder Hoffnung, zumindest, weil die deutsche Position offenbar sicher sei. Der Krieg an sich ließe sich aber nur verhindern, "wenn die Amerikaner es wollen". Aber wie, fragte die Autorin, "bewegen wir sie dahin?"

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