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Google Street Art: Kunst mit der Internetkrake

Foto: Chang-Chih Chen

Kunst mit Google Angriff der Monsternadeln

Obacht: Das Schlangenlinien fahrende Google-Street-View-Auto vor Ihnen könnte ein Kunstwerk sein! Die Künstler Aram Bartholl und Jon Rafman machen aus dem Informations- und Bilder-Overkill des digitalen Zeitalters clevere Installationen und Interventionen.
Von Laura Reinke

Manchmal entstehen Kunstwerke aus Zufällen. Aram Bartholl  zum Beispiel schaute ganz zufällig an einem Tag im Oktober 2009 aus dem Fenster des Café Mörder in der Berliner Borsigstraße, als gerade ein Google-Street-View-Auto vorbeifuhr. Spontan rannte der Künstler auf die Straße - mit beiden Armen über dem Kopf winkend, dem Auto mit der neunäugigen Kamera auf dem Dach hinterher. Als "Street View" in Deutschland startete, hatte Bartholl sich in der Bilderflut schon längst entdeckt und weiterverarbeitet. Seine "Google Street View self portraits" sind sein Einfluss auf das Abbild der Stadt. Er hat sie aus der digitalen in die analoge Realität geholt: Sie hängen eingerahmt in dem Café, das den Ausgangspunkt ihrer Entstehung darstellt. "15 Seconds Of Fame" heißt die Ausstellung.

Das physische und das digitale Leben, online und offline, der öffentliche und der private Raum: In seinen Installationen und Performances zeigt der in Bremen geborene Künstler die Spannungsverhältnisse zwischen diesen Welten. "Mich interessiert, in welcher Form sich die Netz-Daten-Welt in unserem alltäglichen Lebensraum manifestiert und was aus dem Cyberspace zurück in unseren physischen Raum kommt", sagt er. Google spielt in diesem Themenkomplex eine größere Rolle, auch Bartholl beschäftigte sich in den vergangenen Jahren öfter mit "dieser weißen Seite, die so selbstverständlich sein will wie der Strom aus der Steckdose".

So holte der Künstler zum Beispiel die Google-typische rote Markierungsnadel aus der virtuellen in die analoge Welt: Bei Festivals in Berlin, dann in Stettin und zuletzt in Taipeh markierte er auf diese Weise Orte. Im kommenden Sommer geht es in Tallinn weiter. In Stettin stand die große, tropfenförmige Nadel genau an dem Fleck, an dem Google Maps den Mittelpunkt der Stadt markiert, wenn man als Zielort nur nach "Stettin" sucht. "Mit welchem Recht und nach welcher Methode legt Google überhaupt fest, wo sich das Stadtzentrum befindet?" fragt Bartholl.

Touren mit einem nachgebauten Street-View-Auto

Er ist Mitglied der Künstlervereinigung Free Art and Technology Lab, kurz F.A.T. Lab . Die 20-köpfige, auf drei Kontinente verteilte Truppe thematisiert aktuelle Entwicklungen aus der Netz- und Medienwelt. Zur Transmediale, einem internationalen Festival für zeitgenössische Kunst und digitale Kultur in Berlin, organisierte F.A.T. Lab eine Themenwoche mit dem charmanten Titel "FuckGoogle". Der 37-jährige Bartholl betont, dass Google kein Feind sei - er sieht die Aktionen nicht als Protest, sondern als Sensibilisierungskampagne.

Die Gruppe baute ein Google-Street-View-Auto nach und hielt die damit unternommenen Touren durch Berlin auf Video fest. "Es geht darum, Sachen auszuprobieren und zu sehen, was passiert", so Bartholl. Die falschen Google-Street-Viewer fingierten Saufgelage hinter dem Steuer, Unfälle mit Fahrrädern und Randale.

Die Reaktionen waren unterschiedlich: Passanten zeigten freundlich winkende Hände oder manchmal einen ausgestreckten Mittelfinger, machten Fotos oder stellten Fragen: "Dürfen Sie das denn überhaupt?" Neben einem extralangen Stopp vor der chinesischen Botschaft legten Bartholl und die anderen F.A.T.-Lab-Mitglieder auch die eine oder andere kurze Pause mitten auf Kreuzungen ein. Oder krochen mit Tempo 20 durch die Straßen von Berlin Mitte. Gehupt hat keiner - offensichtlich reicht ein Google-Schriftzug auf dem Wagen, um für Respekt zu sorgen.

Wer möchte, kann es selbst ausprobieren und sich mit Hilfe der peniblen Materialauflistung und der detaillierten Step-by-Step-Anleitung  von F.A.T. Lab sein eigenes Street-View-Auto zusammenbauen. Neben Themenwochen machen Aram Bartholl und die anderen F.A.T.-Lab-Mitglieder Projekte, die nicht länger als acht Stunden dauern dürfen. Dazu gehören auch die "Speed Shows", bei denen auf allen Computern eines Internetcafés gleichzeitig Online-Kunst gezeigt wird. Bartholl präsentiert dort auch die Arbeiten von Jon Rafman aus Kanada - noch ein Digital-Künstler, der sich mit Google Street View beschäftigt.

Der kanadische Künstler stellt in seinem Blog "Nine Eyes"  besondere und kuriose Ausschnitte weltweiter Street-View-Aufnahmen zusammen: Möwenschwärme und Bordsteinschwalben. Menschen, die auf der Straße liegen, im Kofferraum sitzen, oder gerade von der Polizei gefilzt werden. Er wolle mit seinen Werken die "Spannung zwischen einem kaltschnäuzigen, abgestumpften Universum und unserer Suche nach Verbundenheit und Signifikanz" ausloten, sagt Rafman. Die Kreativität von Künstlern und Kuratoren bestehe im Informationszeitalter vor allem darin, "Gefundenes einzurahmen, einzuordnen", sagt der Künstler. "Ich bin nicht mehr der Urheber der Bilder - sondern des Bildausschnittes, des Kontextes."

Mit Google ins Museum

Ein romantisch anmutendes Foto aus Rafmans Blog hängt momentan großformatig im New Yorker New Museum, es erinnert ein wenig an Caspar David Friedrichs "Wanderer": Eine am Meer stehende Frau, nackt, in Rückenansicht - die Street-View-Bedienelemente sind deutlich sichtbar. Schnappschüsse 2010.

Rafman und Bartholl sind sich einige Male begegnet. Rafman findet die Projekte seines Kollegen "phantastisch" und entdeckt eine Seelenverwandtschaft: "Wir sind beide auf der konstanten Suche nach künstlerischen Werkzeugen und Methoden, die das moderne Empfinden offenlegen und abbilden. Googles Technologien ermöglichen durch enorme Materialvielfalt das Erleben, Interpretieren und Kuratieren unserer neuen Welt auf eine neue Art."

Auch Bartholls "Google Portraits" werden im Museum zu sehen sein. Für die ungewöhnlichen Selbstporträts hat er QR-Codes abgezeichnet - jene pixeligen, quadratischen Schwarzweiß-Abstraktbilder, mit denen z.B. Bahnschaffner Online-Fahrkartenausdrucke in ihr mobiles Gerät einlesen. Wenn man Bartholls Bilder mit einem solchen Lesegerät einscannt, kommt man auf die Google-Suche nach dessen Namen - auf vier verschiedenen Sprachen. "Was ist überhaupt ein Porträt heutzutage? Wir googeln Leute, bevor wir sie kennenlernen, doch was sagen diese Suchergebnisse über eine Person aus?", kommentiert der Künstler. Das Portsmouth Museum of Art zeigt die Serie ab Ende Januar in der Ausstellung "iImage: The Uncommon Portrait".


Aram Bartholls Solo-Show "15 Seconds Of Fame" im Café Mörder; Borsigstraße 1, Berlin Mitte; noch bis 8. Januar 2011.

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