Georg Diez

Stelen vor Höcke-Haus Fragt nicht, was Kunst soll oder darf

Aktivisten stellten AfD-Agitator Björn Höcke ein kleines Holocaust-Mahnmal vor die Tür, damit er etwas Demut lernen kann. Die Art und Weise, wie die Debatte darüber läuft, zeigt ein Defizit an Liberalität in unserer Gesellschaft.
Holocaust-Mahnmal in Bornhagen

Holocaust-Mahnmal in Bornhagen

Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERS

Kunst ist der Raum der Autonomie, in dem eine Gesellschaft sich erkennt. Kunst schafft Bilder, Kunst erfindet Narrative, Kunst spiegelt die Widersprüche, Kunst ist erst mal sie selbst. Kunst ist Freiheit. Kunst braucht Freiheit. Und Freiheit braucht Kunst. Die Frage, was Kunst soll oder darf, ist damit schon Zeichen für ein Defizit an Liberalität in einer Gesellschaft.

Ist also - und diese Frage höre ich nun immer wieder - das, was das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) macht, Kunst? Ja, es ist Kunst, und die Diskussion darüber, was daran funktioniert und was nicht, ist von kritischer Relevanz. Die Art und Weise aber, wie in der Debatte etwa um die aktuelle Aktion verschiedene Sphären vermischt werden, zeigt nur, wie verschwindend das Wissen um das Wesen der Kunst und damit das Freiheitspotenzial unserer Gesellschaft zu sein scheint.

Wenn zum Beispiel eine Autorin, die auch regelmäßig im "Tagesspiegel" schreibt, die Performance des ZPS mit dem Wirken der "Identitären Bewegung" vergleicht, dann ist das nicht nur politisch extrem verzerrend, denn was eine breit angelegte und freiheitsfeindliche Organisation von nationalistischer, chauvinistischer, antidemokratischer Gestalt mit einem punktuell agierenden Kunst-Kollektiv von dezidiert aufklärerischer Haltung zu tun haben soll, ist wirklich unklar.

Vor allem aber zeigt es eben, dass das Verständnis davon fehlt, dass die "Identitären" eine aktive politische Bewegung ist, die die Macht will, während das Zentrum für Politische Schönheit Kunst mit aktivistischen Mitteln macht, sich also in einer ganz anderen gesellschaftlichen Sphäre aufhält. Diese Unterschiede waren lange klar, weil diese bundesdeutsche Gesellschaft aus der Senkgrube des Faschismus geklettert war, mit Hilfe der Alliierten und vor allem der Amerikaner. In diesen antirationalistischen, antiwestlichen, antidemokratischen Zeiten scheint das nicht mehr zu gelten.

Liberalität aber ist, wie Demokratie, ein sehr fragiles Gebilde, ein fein austariertes Gleichgewicht verschiedener Kräfte, das nur unter der Prämisse funktioniert, dass es eine Einigung darüber gibt, was gilt, was geht, was die Institutionen und die Akteure sind, die eine freiheitliche Gesellschaft in all ihren Widersprüchen ausmachen. Das erfordert ein Maß an Genauigkeit und Geduld, das heute im Schwinden ist, das erfordert Toleranz und die Fähigkeit, Widersprüche zu ertragen.

Was das Zentrum für Politische Schönheit will und oft schafft, ist es, diese Widersprüche deutlich zu machen. In der aktuellen Aktion ging es um die Person Björn Höcke, der nach Recherchen des ZPS und des Soziologen Andreas Kemper unter Pseudonym für ein NPD-Magazin geschrieben haben soll, also für ein Organ einer Partei, gegen die ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht lief, und der es mit seinen Worten und Gedanken bis ins Herz der Talkshow-Republik geschafft hat.

Höcke, der gegen die Gedächtnispolitik der BRD agitiert und damit gegen die ethische und letztlich auch politische Grundlage dieses Landes, stellten die Leute vom ZPS ein kleines Holocaust-Mahnmal vor die Tür, damit er etwas Demut lernen kann - sie sagten aber auch, dass sie ihn "überwacht" hätten, sie sagten, sie hätten einen "zivilen Verfassungsschutz" gebildet, auch weil die Rolle des anderen Verfassungsschutzes in Thüringen, wo Höcke wohnt, und Hessen und auch in anderen Teilen des Landes im Falle der Rechten und speziell des rechten Terrors nicht ganz klar bis undurchsichtig ist.

Wo ist also der Skandal? "Stasi-Methoden" wurden dem ZPS vorgeworfen, was nur zeigt, wie stumpf solche Vergleiche sind, denn ernsthaft ist die Bedrohung eines mächtigen Staates gegenüber dissidenten Individuen etwas deutlich anderes als eine - erst mal angebliche - Überwachungsaktion von Künstlern gegenüber einem Vertreter einer demokratiefeindlich agierenden Partei mit zunehmender Macht.

Die Mitte öffnet sich mehr und mehr nach rechts

Macht und Ohnmacht zählen also etwas bei solchen Situationen, genauso wie Inhalte, Haltungen, Wertesysteme etwas zählen. Es ist eben nicht egal, ob jemand mit dem, was er oder sie tut, die Gleichheit von Menschen im Sinn hat, was ich als links definieren würde, oder von der Ungleichheit der Menschen ausgeht, was ich als rechts definieren würde. Und es ist ein politisches Problem, wenn mehr und mehr so getan wird, als sei es egal.

Die Mitte schottet sich damit ab, so scheint es, tatsächlich öffnet sie sich mehr und mehr nach rechts. Kolumnisten, die sich früher konservativ nannten, nennen sich heute stolz reaktionär. Die Rechten marschieren, auch in der Kultur, sie definieren zunehmend, was die Regeln sein sollen in einer Gesellschaft, die dann nicht mehr frei sein würde.

Das Problem, für die Linke, für die Kunst, für die, die definieren wollen, was vorne ist in einer Gesellschaft, ist dabei, dass die Rechte ein wesentliches Mittel der Avantgarden gekapert hat - sie hat erkannt, dass Transgression, also Grenzüberschreitung, ein wesentliches Movens ist, um erst auf dem Feld der Rede, der Bilder, der Narrative und damit im zweiten oder dritten Schritt auch auf dem Feld der Politik die Markierungen dessen zu verschieben, was in einer Gesellschaft an Werten und Maximen gelten soll.

Das Schockpotenzial ist auf die Seite der Rechten gewechselt

Es ist ein Wesen unserer Zeit, dass das Schockpotenzial, das seit den Sechzigerjahren aufseiten der linken Avantgarden war, auf die Seite der Rechten gewechselt ist - und die Linke ist bislang rhetorisch, aktivistisch und politisch schwerfällig, auf diese Veränderung zu reagieren. Auch das war ein Element der Aktion des Zentrums für Politische Schönheit, das mit zunehmender Müdigkeit bei Kulturjournalisten zu kämpfen hat, die schon so vieles gesehen und bewertet haben, dass sie mittlerweile gelangweilt ablenken, wenn das ZPS ankommt.

Die Rechte wiederum hat es geschafft, dass die Empfindlichkeit gegenüber Transgression von links, die zum Wesen der Kunst gehört, deutlich gewachsen ist, auch das macht die Berichterstattung über das ZPS deutlich - während etwa die Aussage von Björn Höcke, das Zentrum für Politische Schönheit sei eine terroristische Organisation, nur Schulterzucken und Ratlosigkeit hervorruft. Wer will sich schon noch darüber aufregen, das ist das Phlegma unserer Tage.

Und so ist diese Aktion exemplarisch sowohl für die Frechheit des Populismus wie für die Defensive, in die die Kunst in illiberalen Zeiten gerät. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Diskussion um die Documenta in Kassel, wo ein Defizit von knapp sechs Millionen Euro dazu genutzt wird, eine der zentralen und wichtigsten Kulturinstitutionen dieses Landes zu schwächen.

Schon die Berichterstattung über die Ausstellung selbst, in diesem Jahr kuratiert von Adam Szymczyk, war oft einseitig bis hämisch. Aufregung gab es allerdings nur kurz, als ein Stadtverordneter der AfD in Kassel von "entstellender Kunst" sprach, was direkt das Denken das Nationalsozialisten ist, die von "entarteter Kunst" sprachen. Natürlich kündigten sie auch gleich Demonstrationen an, das Volk gegen die Kunst. Und den Leiter der Documenta wollen sie wegen des Defizits verklagen.

Künstler ermitteln in unserer schwankenden Welt

Die Geschäftsführerin der Documenta, Annette Kuhlenkampff, ist nun wegen des Defizits zurückgetreten, die Frage nach den Fehlern wird von der Politik auf die Kultur geschoben, und im Hintergrund setzt die AfD mehr und mehr die Akzente. Es geht bei all dem um relativ wenig Geld, nicht nur verglichen mit dem Haushalt des örtlichen Stadttheaters oder der irgendwie eben nicht zu fassenden einen Milliarde, die der Stuttgarter Bahnhof teurer wird.

Der eigentliche Streit ist ein anderer. Auch hier geht es um die Freiheit der Kunst, die Fähigkeit einer demokratischen Gesellschaft, sich dieses Korrektiv, diesen Motor, diesen Vorwärtsantrieb zu leisten. Eines der herausragenden Kunstwerke auf der diesjährigen Documenta war übrigens ein Film der Londoner Gruppe Forensic Architecture, die den Mord an Halit Yozgat untersuchte, der 2006 in Kassel ermordet wurde, und speziell die Verbindung vom rechten Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zum hessischen Verfassungsschutz beleuchtete.

Künstler also ermitteln in unserer schwankenden Welt, in der die Organe des Staates und auch die Medien oft versagen oder ihren Job nicht besonders gut machen. Hat das Zentrum für Politische Schönheit einen "zivilen Verfassungsschutz" gegründet? Schwer zu sagen, was das sein sollte. Man könnte auch sagen, dass sie recherchiert haben. Es ist ein Unterschied der Worte, der entscheidend ist. Es ist das Maß an Genauigkeit, das zählt.

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