
Zubereitung: Lammfilets mit Bärlauchrisotto
Lammfilets mit Bärlauchrisotto Check das Molekül!
Nach langer Sendepause mal wieder eine Frage an Radio Eriwan: Muss man Moleküle wie Dimethyldisulfid, Allicin oder gar (R)-1-Octen-3-OL kennen, um ein Gericht wie Lamm mit Bärlauchrisotto und Pilzrahmsoße kochen zu können? Die Antwort ist eindeutig wie immer: im Prinzip nein, aber. Dieses Aber gilt noch heute für die meisten Menschen, die gerne kochen. Die kleine Minderheit, die das in der Hobbyküche praktisch erwerbbare Nahrungsmittelwissen vertiefen will, stand bis vor zehn Jahren noch wie der Ochs vorm Berg. Das hat sich zum Glück drastisch geändert.
Im Kern geht es hier um die Leistung von Übersetzern, die das über Jahrzehnte kompilierte Wissen der Lebensmittelchemie in Forschung und Industrie auch für Halblaien an den Kochtöpfen halbwegs verständlich herunterbrechen. Im deutschsprachigen Raum hat sich Thomas A. Vilgis dieser Lebensaufgabe angenommen. Er ist Professor für Theoretische Physik an der Uni Mainz und im Nebenberuf Leiter der Arbeitsgruppe "Molekulare Lebensmittelwissenschaften" am Max-Planck-Institut für Polymerforschung. In Dutzenden von Büchern hat er für Köche aller Professionalitätsklassen den Durchblick durch das Molekulargewühl in Topf und Pfanne verbessert.
Sein aktuelles und für viele Praktiker vielleicht wichtigstes Werk ist denn auch nicht bei einem der klassischen Kochbuchverlage erschienen, sondern bei der Berliner Stiftung Warentest: Auf mehr als 500 Seiten erklärt Vilgis zusammen mit dem Gastrojournalisten Thomas A. Vierich in "aroma"* die feinen und feinsten geschmacksbildenden Details Hunderter von Zutaten, immer mit kurzer molekularchemischer Analyse, oft auch mit kleinen Anekdoten zu Herkunft und Historie, sowie - und dafür gibt es das große goldene Fleißkärtchen mit Band und Schleife - zu jedem Eintrag auch eine kleine Harmonie-Matrix über die Beziehung zu anderen Lebensmitteln, eine geografische Einordnung und ein paar brauchbare Tipps zu Einkauf und Lagerung.
Außergewöhnliches Nachschlagewerk
In der Summe ergibt das eine Detailfülle, mit der ein täglich arbeitender Berufs-Kochschaffender gut und gern fünf Jahre lang immer wieder neue Kombinationen kochen könnte. Beim ambitionierten Hobbyisten reicht der Stoff für gefühlte eineinhalb Leben, zumal der Untertitel "Die Kunst des Würzens" sich nicht auf Pfeffer und Salz beschränkt - bei Vilgis ist jede Komponente vom Pilz bis zur Pimpernelle zugleich Zutat wie auch Teil des Würzhorizonts. Das zum Thema passende, sehr nüchterne Foodstyling der Zutaten und 150 kleinen, aber effizienten Rezepte, stammt von Frauke Koops, die seit Jahren ebenso für die oft schwierig nachkochbaren aber stets schön anzusehenden Teller-Arrangements der Besseresser-Zeitschrift "Feinschmecker" sorgt.
Kein Wunder also, dass selbst einer der fünf besten Köche Deutschlands, der Dreisterner Sven Elverfeld vom Restaurant Aqua in Wolfsburg, auf den dicken Vilgis nicht verzichten mag: "Das Buch ist ein außergewöhnliches Nachschlagewerk für kreative Köpfe. Wer die Hintergründe und Zusammenhänge des Geschmacks und vieler Gewürz- und Lebensmittelkombinationen verstehen möchte, bekommt einen detaillierten Überblick. Wie genau hier auf die sensorischen Eigenschaften vieler Produkte eingegangen wird, ist wirklich außergewöhnlich."
Das führt uns zurück zur Ausgangsfrage: Was nutzt all dieses Wissen, wenn wir am Wochenende für unsere Lieben ein Hauptgericht wie Lammfilets im Kräutermantel mit Bärlauchrisotto und Morchelrahm kochen wollen? Nun, zum Beispiel wissen wir nach der Vilgis-Lektüre nicht nur, dass der Bärlauch in diesem Risotto nicht von Beginn an mitgekocht werden darf, sondern endlich auch warum: Die das lauchig-frisch-grüne Aroma bestimmenden Moleküle werden erst beim Anschneiden der Zellwände - also beim Kleinhacken - sensorisch aktiviert und sind hochgradig temperatursensibel.
Deshalb geben wir nur ein Drittel des Krauts in die letzten fünf Garminuten, um die schwer wasserlöslichen Basis-Aromaten sowie die grünen Farbstoffe in das Risotto zu peitschen. Der Rest der Blätter wird erst direkt vor dem Servieren untergehoben und sorgt für die frische Ätherik in der Nase. Eine ähnliche Strategie nutzen wir beim Morchelrahm: ein Teil der Pilze wird fein gehackt im primären Ansatz mit Schalotten, Wein und Fond mitgekocht, der Rest erst mit der Sahne zugegeben, um die fruchtig-käsigen Aromenanteile der frischen Morcheln nicht zu verlieren.
Das Thymiol in den Morcheln bildet zusätzlich eine Brücke zum frischen Thymian in der Kräuterkruste unseres Lammfilets, in der wiederum der Oregano den olfaktorischen Steilpass zurück zum Bärlauch spielt, mit dem er sich prima versteht.
Nur Bahnhof verstanden? Nicht weiter schlimm. Einfach im Zug sitzen bleiben und ins kulinarische Nirgendwo zurückfahren.
*Buchhinweis:
Vilgis/Vierich: aroma - die Kunst des Würzens, Stiftung Warentest Berlin; 512 Seiten, 39,90 Euro
Rezept für Lammfilets im Kräutermantel mit Bärlauchrisotto und Morchelrahm (Hauptgericht für 4 Personen)
Vorbereitungszeit: 20 Minuten
Zubereitungszeit: 30 Minuten
Schwierigkeitsgrad: einfach
Zutaten
Lammfilets
800 g Lammfilets
4 El fein gehackte Rosmarinspitzen
2 El fein gehackte Thymianblättchen
4 El fein gehackte Oreganoblätter
1 El fein gehackte Knoblauchzehen
1 El Abrieb von der Bio-Zitronenschale
1 Tl bunter Pfeffer aus dem Mörser
1 El feines Meersalz
Bärlauchrisotto
200 g Risottoreis (Sorte: Vialone nano)
150 g Schalottenwürfel
2 El sehr fein geschnittener, geschälter Stangensellerie
2 El Pflanzenöl
150 ml Weißwein
500 ml heißer Geflügelfond
2 Bund Bärlauch
1 Prise Salz und weißer Pfeffer aus der Mühle
Morchelrahm
400 g frische Morcheln
100 g Schalottenwürfel
50 g Butter
200 ml weißer Portwein
300 ml Kalbsfond (möglichst ungesalzen)
300 g Kochsahne (15% Fett)
50 g Crème double
1 Prise Salz und Pfeffer aus der Mühle
einige Spritzer Worcestersoße
Zubereitung
Lammfilets
Lammfilets abwaschen, trocknen und sauber parieren (alle Sehnen und Fett abschneiden). Restliche Zutaten bis auf das Salz gut mischen und auf Arbeitsbrett ausstreichen. Filets mit Pinsel und etwas Wasser leicht anfeuchten und mit der Kräutermischung gleichmäßig panieren. Auf Rost im Dampfgarofen bei 80° Grad 18 Minuten dämpfen (falls kein Dampfgarer vorhanden ist: Auf Rost über einer großen Schale mit heißem Wasser im Backofen bei ca. 80° 23 Min. garen). Nach der Garung nicht zu lange warm halten und zügig servieren.
Bärlauchrisotto
Reis, Schalotten und Sellerie im Fett in Topf oder Kasserolle anschwitzen, mit Wein ablöschen, vollständig reduzieren. Löffelweise den Fond einrühren. Bärlauch waschen, fein hacken. Nach 15 Min. ein Drittel des Bärlauches in das Risotto rühren, den Rest nach 20 Min. unterheben, das Risotto sollte nun fertig sein. Beherzt mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Morchelrahm
Morcheln putzen und sorgfältig entsanden. Die optisch weniger schönen Exemplare mit Messer fein hacken, den Rest vorbereiten (größere Pilze mittig halbieren) und bereithalten. In Sauteuse die Schalotten in der Butter anschwitzen, gehackte Morcheln zugeben, mit dem Portwein ablöschen. Auf ca. ein Drittel einreduzieren. Fond zugeben, bei mittlerer Temperatur 20 Min. köcheln lassen. Mit Zauberstab oder im Mixer pürieren, durch Haarsieb passieren. Restliche Morcheln und die Sahne in die Flüssigkeit geben, 10 Min. leise köcheln lassen. Crème double unterheben, mit Salz, Pfeffer und Worcestersoße abschmecken.
Anrichten
Je einen Schöpflöffel Risotto mittig auf große, vorgeheizte Teller geben. Lammfilets diagonal aufschneiden, reichlich salzen, anlegen. Morchelrahm so angießen, dass die Morcheln gut sichtbar sind. Sofort servieren.
Küchen-Klang
In aller Bescheidenheit möchte der Hobbykoch vom Dienst all jenen Lesern, die seit nunmehr fünf Jahren sich erfolgreich an seinen Rezepten abarbeiten, auf die Möglichkeit hinweisen, in ihrer Küche einen lauten Tusch auf den Wagner erklingen zu lassen: "Celebrating Wagner" (Berlin Classics) ist der Beitrag der German Brass Band, die dem großen Namensvetter Richard zum 200. Geburtstag und dessen Greatest Hits gehörig den Marsch blasen - vom "Walkürenritt" bis zum "Spinnerchor".
Getränketipp
Ein wenn nicht mediterran, so doch stark italienisch angehauchtes Essen wie dieses begleiten wir mit einem eher trocken denn schmelzig vinifizierten, äußerst frischen Chardonnay von der Cantina di Bertiolo in Bertiolo: Der 2012 Bertiolo Conti di Colloredo ist ein leichter, beschwingter Weißer mit nicht zu ausgeprägter Frucht - Voraussetzung dafür, dass er mit der Cremigkeit des Morchelrahms ebenso wenig Probleme hat wie mit der Kräuterstärke des Lamms. Zu Letzterem fügt sich dagegen am besten ein nicht zu schwerer Rotwein. Wir tranken parallel zu dem Chardonnay mit Wonne den Barth Spätburgunder Reserve 2009*, der die Milde und typische Unstoffigkeit des Pinot Noir mit der Kraft eines großen Roten nach zwei Jahren Reifung im kleinen Eichenfass kombiniert.
*Bezugsquellen
2012 Bertiolo Conti di Colloredo ; Barth Spätburgunder Reserve 2009