Social Design Award 2017 "Ein Park gehört immer allen"

Kopenhagener "Superkilen"-Park
Foto: Iwan Baan/ Topotek 1
Martin Rein-Cano ist Gesellschafter des vielfach ausgezeichneten Büros für Landschaftsarchitektur Topotek 1 in Berlin.
SPIEGEL ONLINE: Herr Rein-Cano, grüner Rasen, ein paar Bäume, eine Sandkiste für die Kleinen und Bänke zum Ausruhen, reicht das für einen städtischen Park?
Rein-Cano: So war das mal. Die Wiese und die Bank an der richtigen Stelle, daran freuen sich die Menschen aber heute noch.
SPIEGEL ONLINE: Muss ein Park nicht zuallererst das Auge des Betrachters begeistern?
Rein-Cano: Ursprünglich waren Parks ja nicht für die Öffentlichkeit gemacht, sondern Adlige haben darin ihre Macht demonstriert, oft auch technische Neuerungen präsentiert. Die Krönung dieser Angeberei ist Versailles mit seinen Wasserspielen, künstlichen Hügeln und exotischen Bäumen. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstehen langsam die ersten Volksparks für jedermann.
SPIEGEL ONLINE: Heute wollen die Menschen sich dort in die Sonne legen, joggen, den Hund ausführen, grillen.
Rein-Cano: Es ist ein Megatrend, dass immer mehr Privates in den öffentlichen Raum verlagert wird. Insbesondere durch die sozialen Netzwerke in der digitalen Welt haben die Menschen sich daran gewöhnt, vieles öffentlich zu machen, was früher privat war. Und das verändert auch massiv die Art, wie wir mit öffentlichen Räumen umgehen.
SPIEGEL ONLINE: Wie wirkt sich das aus?
Rein-Cano: In Parkanlagen gibt es heute Urban Gardening, Public Viewing, Sport, Musik, Kunstprojekte. Längst geht es nicht mehr nur um Erholung - die Menschen kommen auch mit ihren Laptops und arbeiten dort.
SPIEGEL ONLINE: Im Park muss alles möglich sein?
Rein-Cano: Schauen Sie sich den Tempelhofer Park in Berlin an, auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Das ist für mich aktuell einer der besten Parks der Welt - ich bin ganz vernarrt in ihn. Kein Landschaftsarchitekt hätte das Gelände besser planen können, so unangefasst, wie es ist. Dieser Park entspricht keinen romantischen Schönheitsvorstellungen, sondern ist wie ein leeres Gefäß. Das regt die Besucher unheimlich an, selbst etwas zu tun, selbst zu gestalten.

Grillplatz auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
Foto: Soeren Stache/ picture alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: Der Tempelhofer Park ist die größte innerstädtische Freifläche der Welt. Sollten Parks stets so offen gestaltet sein?
Rein-Cano: Es gibt keine Regel, dass Parks möglichst neutral zu sein haben. Solche Orte brauchen immer auch eine Identifikationskraft. In Tempelhof landeten und starteten nach dem Zweiten Weltkrieg die Rosinenbomber und versorgten die Bewohner des eingeschlossenen Westberlin mit Lebensmitteln, der Flughafen war nicht zugänglich. Heute ist Berlin frei und vereint und das Gelände offen. Jeder Park braucht ein narratives Gerüst, um geliebt zu werden. An Tempelhof zeigt sich der Wandel Berlins wie in einem Brennglas, wie aus der Nazihochburg diese Hipster-Stadt wurde.
SPIEGEL ONLINE: Ein Park muss auf jeden Fall Freiraum bieten?
Rein-Cano: Die Menschen wollen heute sicher viel weniger vorgeschrieben bekommen als früher.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Büro hat in Kopenhagen den 2012 eröffneten und hochgelobten Park "Superkilen" mit entworfen. Dort prägt eine Sammlung alltäglicher Dinge aus über 60 Ländern den Raum.
Rein-Cano: Ja, der Park ist gezielt aufgeladen mit Bildern aus den Heimatländern der Anwohner, angefangen von Neonreklamen aus Katar und Russland über Palmen aus China bis hin zu Trainingsgeräten vom Muscle Beach im kalifornischen Venice. Das Stadtviertel ist von sehr hoher Migration geprägt, die Menschen stammen aus allen Ecken der Welt.
SPIEGEL ONLINE: Der Park soll helfen, dass die Menschen zueinanderfinden und sich integrieren?
Rein-Cano: Es gibt ein Unbehagen gegenüber der Präsenz von Migranten im öffentlichen Raum, etwa gegenüber Moscheen. Das kulturelle Beiwerk der Einwanderer wird häufig als störend betrachtet. Unsere Idee war es, dass die Migranten gerade deshalb Sehnsuchtsobjekte aus ihrer jeweiligen Heimat im Park wiederfinden und diese ihnen als eine Art emotionaler Anker dienen.

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SPIEGEL ONLINE: Die Anwohner wurden an der Planung des Parks beteiligt?
Rein-Cano: Ja, die Ideen der Menschen haben die Idee des Parks vorangebracht und prägen ihn heute entscheidend. So wurde aus einem neutralen Ort ein Ort mit Geschichte. Die Anwohner sind stolz auf den Park. Dabei gehört zur Toleranz zwischen den Kulturen auch, dass der Einzelne erkennt, dass etwas, was für ihn wichtig ist, für jemand anderen schnurzegal ist.
SPIEGEL ONLINE: Hat der Park zur Integration der Ausländer beigetragen?
Rein-Cano: Absolut, denn auch die Dänen lieben ihn. Parks haben in allen Zeiten fremde Einflüsse aufgenommen und damit die Gegenwart beeinflusst. "Superkilen" hat das ganze Viertel aufgewertet. Der Park ist zu einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Kopenhagens geworden.
SPIEGEL ONLINE: Hat ein Park denn immer eine soziale Funktion?
Rein-Cano: Sicher. Vieles, was früher in Schrebergärten passierte, findet heute in Parks statt, zum Beispiel Kindergeburtstage. Die Menschen leben individueller, organisieren sich weniger in Vereinen. Auch darin spiegelt sich gesellschaftliche Entwicklung.
SPIEGEL ONLINE: In manchen Städten sind Bürger an der Pflege von Parks beteiligt, pflanzen und bewässern Blumen, ernten und beschneiden Obstbäume.
Rein-Cano: Ich finde das eine sympathische Entwicklung. Man muss nur aufpassen, dass die Leute, die aktiv sind, keine Besitzansprüche anmelden. Und man muss sich fragen: Wer hat die Zeit und die Fähigkeiten mitzumachen? Es sollten keine Elitenprojekte entstehen. Und der Staat darf die Menschen nicht aus Sparzwecken missbrauchen.
SPIEGEL ONLINE: Ein Park ist stets für alle da?
Rein-Cano: Ein Park bleibt immer ein öffentlicher Raum, der allen gehört. Parks sind auch Orte für sozial Benachteiligte, die Bessergestellten haben ja vielleicht eine Terrasse, einen Balkon oder Garten. In Parks begegnen sich noch alle Gruppen der Gesellschaft - so hat man vielleicht vor dem grillenden Ausländer weniger Angst. Ein Park ist ein gesellschaftliches Experimentierfeld.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Konflikte, etwa zwischen denen, die grillen, und denen, die ihre Ruhe wollen.
Rein-Cano: Viele Menschen haben den Wunsch, in ihrer Stadt in beständiger Harmonie zu leben. Aber wir müssen lernen, im Alltag mit Konflikten umzugehen. In einem Park zeigen sich die Konflikte einer Gesellschaft. Unterschiedliche Interessen müssen verhandelt werden - dann kann man eben nicht überall grillen. Wer allerdings nur Ruhe will, der kann auf Friedhöfe gehen.