Late-Night-Misere Nein danke, Anke
Es ist bitter, aber wahr: Derzeit wird die Leidensfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einer besonders schweren Prüfung unterzogen. Das klägliche Aus bei der Fußball-EM in Portugal ist nur ein Beispiel unter vielen. Es fängt bei Hartz IV an und hört beim unverschämt schlechten Wetter in Deutschlands Nordhälfte und den Umtrieben von DFB-Caudillo Gerhard Mayer-Vorfelder längst nicht auf.
Wie sehr bräuchte da der geplagte Pauschalleidende zwischen Dortmund und Dagebüll Zuspruch, Trost, Witz und tiefere Bedeutung, ein sprühendes Ventil aus abgeklärter Weltläufigkeit, lebensrettendem Zynismus und einem beinharten Sarkasmus, der wenigstens die Lebensgeister wieder weckt, kurz: einen flammenden Aufruf, Haltung zu bewahren.
Stattdessen geht das Leiden weiter. Auch spätabends noch, wenn Anke kommt. Ganz besonders dann. So wie gestern Abend: Engelke betritt im (täglich wechselnden) Late-Night-Leibchen und einer Art Trainingshose die Studiobühne, ein bisschen tänzelnd und posierend, dabei lächelnd Hände reibend, und während die schon jetzt kaum mehr erträgliche Erkennungsfanfare der drögen "Electric Lady Band" auswimmert, sehnt man sich bereits ganz weit weg.
Aber halt und hier geblieben! Schon prasselt der Gag-Niederschlag der Brainpool-Texter auf die wehrlosen Fernsehzuschauer herab und begräbt das letzte bisschen Hoffnung unter sich: "Ottmar Hitzfelds Frau hat die Genehmigung erteilt - aber es gibt noch keine Ablösesumme." Rasch noch ein origineller Hinweis auf Mayer-Vorfelders notorische Trunksucht, und ruckzuck wird es hochpolitisch: "Scheitert Hitzfeld, kommt Rumsfeld."
Das sitzt in den Knochen. Aber weiter geht das Leiden: "Länger arbeiten - aber viele Deutsche fragen wo?" Vielleicht beim Suchen nach Pornoseiten im Internet, eine Tätigkeit, die nach einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls keine Kündigung rechtfertigt. Derart animiert lässt Anke Engelke ihre hochnoteigene Zote des Tages vom blaugefärbten Kartenstapel: "Für Männer ist das Handy manchmal das Letzte, was in der Hose vibriert."
Laut und lang lachen da die Hühner. Es sind dieselben blondierten Lachnasen im Piccolo-animierten Studiopublikum, die besinnungslos kreischen, wenn sie nur den Namen Daniel Küblböck hören. Wie schön, dass der frisch Verurteilte (wir erinnern uns an den Gurkenlaster-Unfall auf einer bayerischen Landstraße) zufällig Gast des Abends ist.
Man spürt Anke Engelkes Ehrgeiz, ausgerechnet an diesem bedauernswürdigen 18-jährigen Greisenkind des verglimmenden "Superstar"-Spektakels ihre gesellschaftskritische Kompetenz vorzuführen. Es ist leider eine Arbeit am falschen Objekt, denn Küblböck ist einfach nur "gespannt, wie die Klosternonnen so drauf sind", wenn er zur strafweise verfügten Sozialarbeit für ein paar Tage ins Reich des allerstrengsten Zölibats einrücken muss.
Restlos ermattet vernimmt der Zuschauer kurz nach Mitternacht noch die lebensweise Erkenntnis des Schauspielers Benno Fürmann - er lieh dem gestiefelten Kater in "Shrek 2" seine Stimme -, dass Babys nicht nur süß, sondern auch anstrengend sind, dann wankt er dem Bett entgegen, ratlos, trostlos, geistig entleert, am toten Punkt völliger Gedankenlosigkeit. Nur die Vorfreude auf das EM-Halbfinale Portugal-Holland schützt vor einer depressiven Nacht-Attacke.
Der schlimmste Vorwurf, den man "Anke Late Night" machen muss, ist, dass selbst die Kritik keinen Spaß mehr macht. Zuweilen stellt sich fast Mitleid ein und der sehnliche Wunsch, die Programmverantwortlichen von Sat.1 mögen ihren Fehler erkennen und korrigieren. Neben der Verantwortung gegenüber den Zuschauern gibt es auch eine Fürsorgepflicht gegenüber Anke Engelke. So läuft sie Gefahr, verheizt zu werden.
Wenn es an der guten Einsicht fehlen sollte, dann wirken vielleicht die schnöden Zahlen - vor allem die katastrophale Einschaltquote (zuletzt zwischen 600.000 und 700.000 Zuschauer) und der brutale Zwang, jetzt schon die Werbepreise senken zu müssen und die Werbeblöcke von bisher drei auf nur noch zwei zu reduzieren. Besser wäre es allerdings, sich einzugestehen, dass Anke Engelke die falsche Besetzung für das Late-Night-Format ist. Abend für Abend ist zu besichtigen, dass sie "Late Night" nur spielt. Sie tut so als ob und bemüht sich dabei redlich. Aber sie kann es einfach nicht.
Deshalb scheint sie, bei all ihrer strahlenden Kamerapräsenz, persönlich geradezu abwesend. Ihr fehlt jene ironische, manchmal zynische Haltung zur Welt, die zu diesem Format unweigerlich gehört. Stattdessen macht sie das, was sie kann: "Ladykracher" light mit Ansage und Gästen.
Heute Abend läuft die 25. Sendung. Es kommt einem vor, als wäre es die 250.