Murdoch-Skandal Briten streiten über Recht auf Privatsphäre

Werden die Wild-West-Praktiken der britischen Presse schärfer reguliert? Nach dem Abhörskandal beim Boulevardblatt "News of the World" legt die Leveson-Kommission ihren Abschlussbericht vor. Murdoch-Journalisten und konservative Publizisten sind empört. Sie warnen vor dem Ende der Pressefreiheit.
Ausschuss-Vorsitzender Leveson: Abschlussbericht erwartet

Ausschuss-Vorsitzender Leveson: Abschlussbericht erwartet

Foto: SEAN DEMPSEY/ AFP

Das Verbrechen an einem 13 Jahre alten Mädchen brachte die Sache ins Rollen: Milly Dowler war im März 2002 entführt und später ermordet worden. Während sie vermisst wurde, hatten Journalisten des sonntags erscheinenden Boulevardblatts "News of the World" heimlich ihre Handy-Mailbox abgehört, um aus den Nachrichten der besorgten Eltern aufwühlende Geschichten zu machen.

Als dies im Juli 2011 ans Licht kam, ging eine Welle der Empörung durch Großbritannien. Die "News of the World", die bereits wegen zahlloser anderer Abhörfälle unter Druck stand, wurde von ihrem Eigentümer Rupert Murdoch dichtgemacht. Mehrere Verlagsmanager mussten gehen, die Polizei leitete strafrechtliche Ermittlungen ein. Es war der größte Medienskandal seit Jahrzehnten .

Die liberalkonservative Regierung von Premier David Cameron setzte damals eine unabhängige Kommission unter Vorsitz des Richters Brian Leveson ein, um sämtliche Pressepraktiken zu untersuchen. Auch die Kungelei - und teilweise Korruption - zwischen Presse, Politik und Polizei sollte öffentlich seziert werden.

Am Donnerstagnachmittag um 14.30 Uhr (MEZ) legt Leveson nun seinen Abschlussbericht vor. Es wird erwartet, dass er mehrere tausend Seiten umfasst. Das Mammutwerk soll nicht nur eine Bestandsaufnahme liefern, sondern auch Empfehlungen aussprechen, wie die Presselandschaft künftig reguliert werden soll.

Kürzel LOL

Ein Jahr lang haben Leveson und sein Anwaltsteam Hunderte Zeugen vernommen. Das gesamte Who's Who des britischen Establishments war zu Gast in seinem Gerichtssaal: Prominente wie der Schauspieler Hugh Grant und die "Harry Potter"-Autorin J. K. Rowling, Chefredakteure und Herausgeber sämtlicher Zeitungen, darunter Rupert Murdoch selbst und sein Sohn James Murdoch, führende Beamte von Scotland Yard sowie Spitzenpolitiker wie Ex-Premierminister Tony Blair und Premierminister David Cameron.

Es war ein faszinierendes Spektakel, live in Fernsehen und Internet übertragen. Die Spannung zwischen Pressefreiheit und Privatsphäre wurde bis ins letzte Detail beleuchtet, grundlegende Fragen der Demokratie aufgeworfen. Zwischendurch gab es auch immer wieder amüsante Einblicke in den Alltag der Mächtigen. So wurde bekannt, dass Premier Cameron seine SMS an die Murdoch-Verlagsmanagerin Rebekah Brooks mit dem Kürzel LOL beendete, in der Annahme, das stehe für "Lots of Love". Sie klärte ihn irgendwann auf, dass es "Laughing out loud" bedeute.

Im Gedächtnis blieben aber vor allem die unzähligen Anekdoten über die skrupellosen Arbeitsmethoden der Boulevardpresse. Die Eltern von Milly Dowler hatten einen tränenreichen Auftritt, ebenso wie die Eltern der bis heute vermissten Madeleine McCann. Mutter Kate McCann erzählte von ihren Gefühlen, als sie in der Boulevardzeitung "Sun" plötzlich Auszüge aus ihrem Tagebuch lesen musste. Die Zeitung hatte sich das Buch bei der portugiesischen Polizei besorgt. Bestseller-Autorin J.K. Rowling berichtete, wie sie einmal eine Nachricht eines Reporters im Schulranzen ihrer fünf Jahre alten Tochter fand.

Recht auf Gegendarstellung

Levesons Urteil wird mit Spannung erwartet. Wie kritisch fällt es aus? Und wird die Regierung die Empfehlungen umsetzen? Der Status quo sei "inakzeptabel", bekräftigte Premier Cameron am Mittwoch im Unterhaus. Die Pressebarone fürchten das Schlimmste.

Seit Wochen schon tobt ein Glaubenskrieg in der britischen Journaille und Politik. Auf der einen Seite fechten die Kritiker der bisherigen Selbstregulierung. In Großbritannien können Zeitungen für falsche Behauptungen zwar vor Gericht verklagt werden, doch bis das Urteil kommt, ist der Grund der Aufregung längst vergessen. Alternativ kann man sich bei der Press Complaints Commission (PCC) beschweren, doch spricht die von den Verlagen finanzierte und kontrollierte Aufsichtsbehörde in der Regel nur eine Rüge aus oder verhängt eine Geldstrafe.

Die Kritiker fordern ein Pressegesetz mit einem Recht auf Gegendarstellung - ähnlich wie in Deutschland. Ihr Argument: Die Blattmacher würden ihr Verhalten nur ändern, wenn sie gesetzlich gezwungen werden, eine Gegendarstellung oder Entschuldigung abzudrucken, und zwar an ebenso prominenter Stelle wie die falsche Behauptung. Überwacht und durchgesetzt würde dieses Gesetz von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde.

Einer der Wortführer einer solchen Lösung ist Hugh Grant. "Es gibt ein Riesenproblem mit der Presse in diesem Land", sagt der Schauspieler. Jegliches Gefühl für Anstand sei verloren gegangen, eine Privatsphäre existiere nicht mehr. Ähnlich argumentierte die Labour-Partei während der Anhörungen: Die britischen Zeitungen agierten im Gefühl der Unangreifbarkeit, weil ihnen im Fall von Missbrauch keine Konsequenzen drohten.

Empörung der Konservativen

Dagegen warnen die Verteidiger des Status quo vor dem Ende der Pressefreiheit. Sie wollen das Prinzip der brancheninternen Selbstregulierung beibehalten und lehnen jegliche staatliche Einmischung ab. Sie verweisen darauf, dass die illegalen Machenschaften der "News of the World" ja auch unter den geltenden Regeln aufgeflogen seien und nun strafrechtlich verfolgt würden.

Vor allem konservative Leitartikler und Chefredakteure laufen Sturm. Die "Sun" warnte ihre Leser, es dürfe nicht dazu kommen, dass der Staat entscheide, "was in Ihrer Sun gedruckt wird und was nicht". Der Chefredakteur des "Spectator" kündigte an, die Strafen einer staatlich eingesetzten Aufsichtsbehörde zu ignorieren. Das sei er der freiheitlichen Tradition des Blattes schuldig.

Neben mächtigen Verlegern und Herausgebern wie Rupert Murdoch ("Times", "Sun"), Paul Dacre ("Daily Mail") und Richard Desmond ("Express") warnen auch viele konservative Politiker vor einem Pressegesetz. Wenn der Rubikon erst mal überschritten sei, gebe es kein Zurück mehr, sagt der Vorsitzende des Medienausschusses im Unterhaus, der Tory John Whittingdale.

Große Worte, doch wirken die Warnungen vor dem Ende der Pressefreiheit reichlich übertrieben. Peter Wilby erinnerte im "Guardian" daran, worum es eigentlich geht: "Wenn man einer Prominenten droht, dass mehr Geschichten aus dem Leben ihrer Mutter veröffentlicht werden, wenn sie nicht kooperiere, dann ist das keine Frage der Pressefreiheit."

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