Margarete Stokowski

Linkenschelte Rückwärts und viel vergessen

Soll die SPD "unsere Heimat" gegen Migranten verteidigen? Und ist die Postmoderne schuld am Aufkommen "alternativer Fakten"? Eine Antwort auf die beiden letzten SPON-Kolumnen von Jakob Augstein und Christian Stöcker.
Demonstration gegen Rechts (in Berlin)

Demonstration gegen Rechts (in Berlin)

Foto: Paul Zinken/ dpa

"Links ist da, wo der Daumen rechts ist", das ist so ein Spruch, den man lustig finden kann, weil man doch Links gar nicht mit Rechts erklären kann und es ja wohl außerdem komisch ist, wenn links etwas rechts ist. Weil es doch eigentlich Gegensätze sind. Dass Links und Rechts sich aber in manchem doch irgendwie näher sind, als viele denken, haben in den letzten Tagen meine beiden geschätzten Kollegen Jakob Augstein und Christian Stöcker auf sehr unterschiedliche Art versucht zu zeigen, und ich sage "versucht", weil es, wie ich finde, bei beiden schiefgegangen ist, aber immerhin auf interessante Art.

Kollege Augstein schreibt unter dem Titel "Unsere Heimat" darüber, dass die Rechten das Thema Heimat nicht für sich behalten dürfen. Angeblich weiß jeder, dass Migranten schwierige Fälle sind: "Denn in den Migrantenklassen, in den Migrantenbezirken wachsen die Probleme von morgen heran. Jeder weiß das." Dass es nicht besonders links ist, so etwas zu sagen, weiß Augstein selbst. "In der Theorie soll doch der Ausländer ein Freund sein. Aber in der Wirklichkeit ist die Einwanderung ein Quell der Sorge." Ein "Quell", der "heranwächst", ein "großer Zustrom von Migranten" - es blubbert eifrig im Ausländertopf, obwohl die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge abnimmt, aber who cares.

Natürlich bin ich angepisst. Ich bin in einem Migrantenbezirk in einer Migrantenklasse zu eben jenem Problem herangewachsen, das jetzt diesen Text schreibt - könnte man zumindest meinen. Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Von solchen wie mir sollte es in einer ordentlichen deutschen Schulklasse laut Augstein höchstens 25 Prozent geben, sonst: Problem. Oder? Meint der mich? Oder meint er die Na-Sie-wissen-schon-Migranten, die noch schlimmer sind als polnische Gören, weil sie nicht nur Ausländisch sprechen, sondern auch ausländisch aussehen? Unklar.

Gegen uns oder die, aber auf jeden Fall gegen "die Migration" will Augstein seine Identität verteidigen: "Die soziale Gerechtigkeit muss gegen Kapital und Konzerne errungen werden - aber die Identität gegen die Migration." Uff. Man könnte meinen, es gibt einiges, was an der Identität von Leuten rütteln kann: Krankheiten, Trennungen, Sinnkrisen, Unfälle, Jobverlust, Bundesligaabstieg, Umzug, Alter, whatever. Aber "die Migration"? Und ich kann mir vieles vorstellen, was man jemandem klauen wollen könnte, aber seine Identität? Geht das überhaupt? Eine "Identitäre Bewegung" gibt es ja seit einer Weile, doch sich da als Linker was abgucken zu wollen, ist weit jenseits von dem, was Drogen bewirken können.

Natürlich darf man das Thema "Heimat" nicht der AfD überlassen, wenn mit Heimat einfach der Ort gemeint ist, an dem wir leben wollen. Aber wenn damit Nationalkitsch von der Sorte gemeint ist, dass hier irgendeine Idylle mit Hirsch bewahrt werden müsste vor einer diffus bedrohlichen Masse fremder Menschen, dann ist das eine eigenartig rückwärtsgewandte Haltung, die wir ruhig der AfD überlassen können, bitte gerne, have fun.

"Heimat ist eine Behauptung, ein imaginärer Ort"

Dabei ist es möglich, intelligent und spannend über Heimat und Heimatlosigkeit zu sprechen, ohne in rechten Gewässern zu fischen. Der Essayist Daniel Schreiber tut das in seinem eben erschienen Buch "Zuhause": "Es kommt sehr viel weniger darauf an, wo man Wurzeln schlägt, als wir oft denken", schreibt er. "Worauf es ankommt, ist vielmehr, dass man Wurzeln schlägt." Etwas Ähnliches hat die Schriftstellerin Olga Grjasnowa neulich im "taz"-Interview gesagt : "Heimat ist eine Behauptung, ein imaginärer Ort". Der Begriff werde nicht nur überhöht, sondern auch mit Rechten verknüpft, die ungleich verteilt sind: "Wir sind so stolz darauf, dass wir die Privilegien des Adels abgeschafft haben. Aber wir haben dasselbe System mit Pässen heute. Warum dürfen wir überall einreisen und andere nicht?"

Während Augstein ein rechtes Wahlprogramm für die Linke entwirft, fragt Christian Stöcker etwas deeper: "Was heißt 'links' eigentlich noch?" Er beantwortet die Frage nicht direkt, weiß aber, dass es nicht das Anzünden von Polizeiautos bedeuten sollte. Stöcker stellt außerdem die nicht ganz neue Vermutung in den Raum, ob nicht vielleicht sogar die linken Theorien auch irgendwie schuld sind am Rechtsruck, weil sie davon sprechen, dass alles irgendwie "sozial konstruiert" sei und angeblich nicht mehr zwischen schlimmer und weniger schlimmer Gewalt unterscheiden. "Eine Linke, die nicht daran glaubt, dass es Meinungen und Fakten, Lügen und Wahrheit, verbale und reale Gewalt, falsch und richtig gibt, hat rechten Lügnern, Leugnern und Tätern argumentativ wenig entgegenzusetzen." Als würde auch nur eine einzige ernstzunehmende linke Strömung darin bestehen, zu sagen, dass Lüge und Wahrheit irgendwie dasselbe ist und falsch und richtig auch.

Beide Kollegen sehen linke Theorien als Problem, einmal als zu naive Vorstellung von Freundschaft mit Ausländern und einmal als potentiellen Quell des Übels aufgrund von zu viel postmodernem Wischiwaschi, wo alles irgendwie mehr so ein Feeling ist: "Die postmodernen Denker haben (...) einiges kaputtgemacht", so gibt Christian Stöcker eine ihn überzeugende Sicht wieder. "Sie haben objektivierbare Fakten und damit auch wissenschaftliche Erkenntnis zu einer Perspektive unter vielen erklärt - und damit allen Tür und Tor geöffnet, die jetzt mit Propaganda und 'alternativen Fakten' eine rechtsnationale oder religiöse Agenda vorantreiben."

Die Postmoderne wird gerne bemüht

Das ist, gelinde gesagt, intellektuell waghalsig, hauptsächlich aber falsch. Die Postmoderne wird gerne bemüht in diesen Fragen, aber auch nur, weil es geil klingt. Wer es ernst meint mit einem Angriff auf die Philosophie, die uns "alternative facts" eingebrockt hat, sollte Jahrtausende früher anfangen. Sextus Empiricus (kein Linker, soweit man weiß) hat sich zum Beispiel im 2. Jahrhundert n. Chr. gefragt, wie wir eigentlich sichere Urteile fällen können. Er kam zu dem Schluss: gar nicht. Weil Lebewesen unterschiedlich beschaffen sind, haben sie unterschiedliche Vorstellungen von der Welt und es wäre falsch, irgendeine Vorstellung über die andere zu erheben, fertig. Das gilt bei Sextus Empiricus für Tiere mit länglicher oder runder Pupille genauso wie für Menschen mit unterschiedlichen Lebensformen. Wir können zwar erzählen, wie ein Gegenstand uns erscheint, "wie er aber seiner Natur nach ist, darüber werden wir uns zurückhalten". Dass Sextus Empiricus Schuld ist an Trump, ist natürlich Bullshit, aber ich hab nicht angefangen.

Kollege Stöcker will eine "Debatte über das wahre Wesen der Linken" im Angesicht des Rechtspopulismus - aber dieses Wesen gibt es nicht. Wenn es einen kleinsten gemeinsamen Nenner davon gibt, was es heißt, links zu sein, dann ist es die Forderung nach gleichen Rechten für alle, der Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit und daraus folgend Solidarität mit Schwächeren - und das kann auch heißen, sich Mühe zu geben, Gemeinsamkeiten zu sehen mit Menschen, die es einem schwierig machen.

Wer darüber hinaus versucht, in linke Politik rechte Inhalte zu mischen oder linke Theorie als Ursprung des Rechtsrucks hinzudrehen, ist ein bisschen wie diese Pokémon, bei denen die Pokémon-App sagt: "Seine Werte werden dir im Kampf nicht viel bringen." Aber egal, anders als mit Pokémon kann man mit Kollegen immerhin diskutieren.

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