Kunst-Großereignis Manifesta "In Russland misstraut man den Menschen"

Ukraine-Konflikt, Homophobie, Zensur: Darf ein internationales Kunstereignis wie die Manifesta ausgerechnet jetzt in Russland stattfinden? Ja, sagen die Leiter der Ausstellung, Kasper König und Michail Piotrowski, im Interview.

Ab 28. Juni gastiert die Manifesta  in der St. Petersburger Eremitage. Der Stiftungssitz der Schau, die alle zwei Jahre an einen anderen Ort zieht, ist Amsterdam, Geldgeber 2014 Russland. Der künstlerische Leiter der diesjährigen Ausgabe ist der Deutsche Kasper König, als Co-Veranstalter fungiert Michail Piotrowski. Der ist der Chef der Eremitage -das weltberühmte Museum wird in diesem Jahr 250 Jahre alt. Nach einem Boykott-Aufruf nahmen einige Künstler ihre Zusage an der Manifesta zurück - unter dem Eindruck des gesellschaftlichen Klimas in Russland und der Geschehnisse in der Ukraine.

SPIEGEL ONLINE: Herr König, Herr Piotrowski, denken Sie gelegentlich darüber nach, die Manifesta wieder abzusagen?

Piotrowski: Es gibt dazu keinen Grund. Natürlich hat man sich darüber gewundert, dass wir als Höhepunkt des Eremitage-Jubiläums die Manifesta eingeladen haben. Und es könnte sein, dass das Publikum manches Werk als ungewohnt, sogar als beleidigend auffasst. Aber die moderne Kunst ist Teil unserer Mission, also auch unserer Feierlichkeiten.

Zur Person
Foto: Rustam Zagidullin/ Manifesta 10

Kasper König, 70, ist der künstlerische Leiter der diesjährigen Ausgabe der Kunstschau Manifesta. Er ist einer der maßgeblichen Ausstellungsmacher der Nachkriegszeit, erfand neue Ausstellungsformate, leitete seit 1988 für viele Jahre die renommierte Kunstakademie Städelschule in Frankfurt. Von 2000 bis 2012 war er Direktor des Museums Ludwig in Köln.

König: Zwei Drittel der Werke sind eigens dafür entstanden. Dieser Ort ist so sehr verbunden mit der russischen Geschichte, er war immer ein Fenster nach Europa. Der historische Rahmen der Eremitage ist das Besondere, eine Herausforderung für die Künstler.

SPIEGEL ONLINE: Die innen- und auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen haben sich seit dem Start der Planungen dramatisch verändert und verschärft. Leute aus der Kunstwelt forderten schon die Absage, einige Künstler sind ausgestiegen. Wie gehen Sie damit um?

Zur Person
Foto: imago stock

Michail Piotrowski, 69, ein Arabist, leitet die weltberühmte Eremitage seit 1992; er übernahm damit einen Posten, den lange sein Vater innehatte. Das Museum besitzt viele bekannte Meisterwerke, etwa von Rembrandt und Matisse. Piotrowski baute die Institution aus, mit Dependancen und Ausstellungskooperationen ist sie auch im Ausland präsent. In diesem Jahr feiert die Eremitage ihr 250-jähriges Bestehen.

Piotrowski: Die jüngsten Ereignisse belegen doch gerade, wie wichtig die Ausstellung ist. Die Kultur ist unsere Brücke, unsere Möglichkeit des Dialogs zwischen Russland und Europa. Wenn jetzt andere Brücken schwanken, womöglich gar nicht mehr begehbar sind, ist es umso wichtiger, dass diese Brücke funktioniert. Und sie hat sogar während des Kalten Krieges funktioniert. Die Politik ist Sache der Politiker, sie spielen ihr Spiel, nennen Sie es Poker oder Schach. Aber wir, die Kulturschaffenden, müssen auf jeden Fall unsere Brücke freihalten vom politischen Einfluss: Es geht uns um die sehr wichtige Frage der Unantastbarkeit der Kunst.

SPIEGEL ONLINE: Kann man Kunst und Politik überhaupt trennen?

König: Nein, aber man kann Prioritäten setzen. Unsere Priorität ist die Kunst - und ihre Zukunft.

SPIEGEL ONLINE: Was aber ist, wenn die Brücke zum Politikum wird? Gezeigt werden Aufnahmen des berühmten Fotografen und gebürtigen Ukrainers Boris Michailow von den Protesten auf dem Maidan. Und die Porträts schwuler Berühmtheiten von Marlene Dumas wird man sicher als Kommentar zu dem Gesetz gegen homosexuelle Propaganda verstehen.

Manifesta

Die Manifesta findet von Ende Juni 2014 zum zehnten Mal statt - und ist schon im Vorfeld umstritten. Es handelt sich um eine Ausstellung zur zeitgenössischen Kunst, die alle zwei Jahre in einer anderen Gegend Europas veranstaltet wird, 2012 zum Beispiel in der belgischen Provinz, in diesem Jahr in Sankt Petersburg und dort vorwiegend in den Räumen der Eremitage.Hinter dieser Biennale, die sich seit ihrer Gründung in den neunziger Jahren schnell etablierte, steht die Manifesta Stiftung in Amsterdam. Wegen der Krise in der Ukraine, aber auch wegen neuer russischer Gesetze (etwa das gegen "Homosexuellen-Propaganda") forderten Kulturschaffende aus dem In- und Ausland sogar schon die Absage der gesamten Schau.Die Manifesta 9 - Europäische Biennale für zeitgenössische Kunst 

Piotrowski: Wenn ich Fotos vom Maidan betrachte, erkenne ich vor allem das Szenario einer Katastrophe, die mich an den Nahen Osten erinnert. Und die Serie von Marlene Dumas' Porträts kann schon keinen schockieren. Ein echter Schock war für mich ihr Porträt von Osama Bin Laden im Stedelijk Museum. Natürlich darf gestritten werden über diese Kunst, aber so, wie es innerhalb der Welt der Kultur üblich ist. Wenn auf dieser Brücke Maschinengewehre aufgestellt werden, dann wird es schwierig.

SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?

Piotrowski: Sehr viele Menschen in Russland wollen keine moderne Kunst sehen. Auch solche, die bereit sind, die Kunst für einen Konflikt zu nutzen. Wir brauchen aber keinen Skandal, selbst wenn sich einige Journalisten oder Politiker vielleicht sogar einen wünschen. Wir hoffen vielmehr, dass die Ausstellung zu einem Prototyp, einem Muster dafür wird, wie man sich über die Sprache der Kunst verständigen kann - dass man sich eben nicht auf die Sprache der Politik oder der Wirtschaft einlassen muss. Kasper König ist der Kurator, es ist seine Ausstellung, er muss sich im Rahmen der russischen Gesetzgebung bewegen. Das ist die einzige Regel.

König: Entscheidend ist, dass wir uns nicht vor lauter Vorsicht gleich selber zensieren, und wir müssen sicherstellen, dass unsere Ausstellung nicht vom Staat missbraucht werden kann. Als Alibi für eine vermeintlich zivile, liberale Gesellschaft - die Russland de facto nicht ist. Im Gegenteil, man misstraut hier den Menschen, deshalb macht man ihnen immer neue Vorschriften, die im Grunde auf eine Gehirnwäsche hinauslaufen.

SPIEGEL ONLINE: Der Westen erwartet, dass am besten die ganze Ausstellung ein Statement zur russischen Politik sein wird. Alle schauen auf die Ukraine. Es gibt eine konkrete Angst vor einem Krieg dort.

König: Es wäre vermessen und naiv zu glauben, die Ausstellung könne da einen Beitrag leisten. Natürlich ist die Situation prekär, ist der Kurs ein unglücklicher, doch überall, auf allen Seiten, finden Sie dieses konsumeristische Rechthabenwollen. Diese Ausstellung bemüht sich, kein Alibi für irgendetwas anderes zu sein, sie soll für sich selber stehen. Jeder soll auch in Zukunft selbst über sich und sein Schicksal entscheiden dürfen. Es gibt eine Verletzbarkeit in der momentanen Kunst, etwas Fragiles, das ist es, was wir sichtbar machen wollen. Da ist etwas Besonderes im Entstehen, was vielleicht eine echte Wirkmacht besitzt. Die Differenzierungsmöglichkeiten der Kultur sind ein solcher Gewinn, sie sind überlebenswichtig für uns alle. Es wäre tragisch, wenn das jetzt wieder nationalistisch oder anders vereinfacht wird.

Piotrowski: Wir wollen ja gerade beweisen, dass wichtige Ausstellungen auch möglich sind in solchen Zeiten - in Zeiten, in denen die Welt am Rande eines Krieges steht.

König: Man hofft, dass alle wieder zur Vernunft kommen. Ich werde kurz vor der Eröffnung der Manifesta einen Vortrag an der Architekturakademie von Sankt Petersburg halten. Alle warnen mich: Vorsicht, der Direktor ist ein enger Freund von Putin. Aber ich will für das einstehen, was mir wichtig ist. Mich beunruhigt vieles, auch im Inneren, zum Beispiel das neue Gesetz, das vor wenigen Wochen erlassen wurde und Schimpfworte im Theater, im Film, in den Medien verbietet. Wieder eine Vorschrift. Das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda war und ist ebenso beängstigend. Das Fernsehen ist längst gleichgeschaltet, und es kann sein, dass im Internet vieles noch eingeschränkt wird. Dazu kann man diese Ausstellung nutzen, als Anlass, auf Restriktionen zu blicken. Und doch ist es nur ein Ausstellung, ein Teilchen von vielen.

SPIEGEL ONLINE: Ist diese Ausstellung, gerade in diesen Zeiten, auch ein Risiko für Sie, Herr Piotrowski?

Piotrowski: Man kann nicht der Direktor eines Weltmuseums sein, wie es die Eremitage ist, und keine Risiken eingehen. Vor vielen Jahrzehnten verlor ein Direktor dieses Museums seinen Posten, weil er moderne Kunst zeigte, ich erwähne das in meinem Vorwort zum Katalog. Der Titel dieses Vorwortes lautet: "Kreuze über der Manifesta". Wir hatten im Winterpalast eine Kirche, die Kirche gibt es nicht mehr, aber das Kreuz blieb erhalten, und der Engel auf der Alexandersäule draußen trägt auch ein Kreuz in der Hand. Das ist symbolisch.

SPIEGEL ONLINE: Ein christliches Kreuz als Metapher?

Piotrowski: Ja. Das Kreuz beschützt gute Menschen. Es ist ein Schutz vor dem Teufel. Wir müssen einen Weg finden, gemeinsam die bösen Kräfte zu verscheuchen und die guten zu uns zu ziehen. Wir müssen es schaffen, die Autonomie der Museen aufrechtzuerhalten.

SPIEGEL ONLINE: Sie, Herr Piotrowski, haben einen Brief mit einer Solidaritätserklärung für Putins Krim-Politik nicht unterzeichnet, den viele andere wichtige Personen in der Kultur sehr wohl unterschrieben haben. Wie kam es dazu?

Piotrowski: Man darf das nicht überbewerten. Ich unterzeichne solche politischen Erklärungen grundsätzlich nicht. Wenn ich mich äußern will, dann mache ich das immer selbst und selbstständig, wie auch in diesem Fall. Es läuft da ein weltpolitisches Spiel, und es ist nicht Aufgabe der Kultur, dazu ja oder nein zu sagen. Aber man muss auch eines bedenken: Die Russen zeichnet ein besonderes Charakteristikum aus. Mal glauben Sie, dass sie sich ganz unten, geradezu am Boden befänden, es läuft nichts, wie es soll. Dann läuft es wieder sehr gut, man fühlt sich obenauf, nimmt sich wichtig. Beide Stimmungslagen sind den Russen vertraut. Doch sie mögen es nicht, wenn ihnen die eine oder andere Stimmung zum Vorwurf gemacht wird.

SPIEGEL ONLINE: Ausstellungen aber bergen, wie sich 2013 zeigte, eine eigene Gefahr. Zur Eröffnung der archäologischen Schau "Bronzezeit" sollten Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin sprechen. Doch man wollte Merkel angeblich nicht gestatten, sich zum Thema Beutekunst zu äußern. Sie sagte, erst einmal, ab.

Piotrwowski: Ganz umgekehrt: Merkel und Putin haben sich sehen lassen - trotz einer intensiven Pressekampagne in Deutschland mit der Forderung, die Bundeskanzlerin sollte auf einen Besuch der gemeinsamen deutsch-russischen "Bronzenzeit"-Ausstellung verzichten. Sie haben Festreden gehalten, und jeder hat die offizielle Position seiner Seite vertreten. Aber beide haben betont: Russische und deutsche Museumsfachleute geben Politikern ein Beispiel, wie man mit schwierigen Problemen umgehen könne, indem man kulturelle Beziehungen bewahre. Und das war ein klarer Sieg der guten Kräfte. Schade nur, dass viele in Russland wie in Deutschland diesen Sieg am liebsten nicht sehen möchten.

Das Interview führte Ulrike Knöfel

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