
S.P.O.N. - Oben und unten "Fifty Shades of Grey" für Menschen mit Thermomix
Küsschen links, Küsschen rechts, es ist wieder Buchmesse, Stößchen, Prösterchen, schön, dass Sie da sind. Alle Jahre wieder trifft man sich hier, und immer ist alles ein bisschen gleich und ein bisschen neu. Wenn man dieses Jahr hier in Frankfurt die Treppen auf dem Messegelände hochläuft, sieht man auf den Stufen Werbung für ein Buch , das als "so unverschämt böse wie komisch" beworben wird: der neue Roman von Charlotte Roche.
Es stört mich, wenn Dinge als böse angekündigt werden. Meistens sind sie es dann nicht. Im Grunde immer. Man kann nur enttäuscht werden. Schade für das Buch, das zumindest an manchen Stellen gute Unterhaltung bietet. Charlotte Roche hat in einem Interview gesagt , sie stelle auf Lesungen fest, dass sie mit ihren Büchern Leute erreicht, die sonst nicht lesen. Das allein ist wunderschön. Auch wenn es sich dann liest wie ein "Fifty Shades of Grey" für Menschen mit Thermomix: Eine Wohnung mit Schieferplatten-Naturstein-Badezimmer und Designerdusche, Designercouch und Schränken voller Designerhandtaschen, und dazwischen eine Frau, die sagt: "Meine Klitoris zwiebelt richtig." Gäbe es im Manufactum-Katalog eine Pornoabteilung, oder andersrum auf Pornoseiten die Kategorie Manufactum, dann fände man dort dieses Buch.
"Mädchen für alles" ist ein Monolog der Erzählerin Christine, die mit ihrem Dasein als Mutter und Ehefrau hadert. Ihre Tochter erinnert sie an Gollum, ihren Mann hält sie für schwul, ihre Eltern will sie umbringen. Also fängt sie eine Affäre mit ihrer Babysitterin an, bevor ihr Mann es tut.
Das spielt auf wichtige Fragen an, "Regretting Motherhood" war vor Kurzem erst ein Thema: Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen . Zuletzt erst hieß es, die US-Schauspielerin Hayden Panettiere, Verlobte von Wladimir Klitschko, sei wegen Wochenbettdepressionen in Behandlung. 19 Prozent der Frauen entwickeln depressive Symptome nach der Geburt, stand da. 19 Prozent sind viel.
Kommen Sie und staunen Sie!
Bei Roche ist das alles recht lustig. Man fährt, wenn einem alles zu viel wird, dann halt ein bisschen ICE in der ersten Klasse und fingert zugekokst die blonde Babysitterin. Man kann hier in Frankfurt die Stufen in den Messehallen hoch- und runterlaufen, und denken, haha, ja, witzig, wie Chrissi die Babysitterin ein "ungebildetes Frettchen" nennt, weil sie einen Handtaschendesigner nicht kennt.
Ein anderes Buch, das nicht ganz so geeignet ist für solche Treppenwitzigkeit, aber vom selben Thema handelt, ist "Lasse" von Verena Friederike Hasel. Man liest es besser an einem einzigen Tag, weil es sonst zu sehr wehtut. Nicht weil es schlecht wäre, sondern weil es so nahegeht. Eine Studentin, Nina, wird schwanger; der Mann will das Kind nicht und auch die Frau nicht, sie bekommt das Kind trotzdem, und alles geht unglaublich schief, was schon wieder zu lapidar klingt, denn am Ende ist sie so überfordert, dass sie das Kind sterben lässt.
"Willkommen im Kopf einer Rabenmutter", schrieb "Welt online" über das Buch . Man hört fast Kirmesmusik bei so einer Überschrift. Treten Sie ein, meine Damen und Herren, hier fährt eine Frau das Ding aber mal gehörig gegen die Wand, kommen Sie und staunen Sie!
"Du schaffst das schon"
Das ganze Problem der Debatte über Mutterschaft kristallisiert sich in dieser Überschrift. "Rabenmutter". Menschen benutzen dieses Wort immer noch. Rabenväter gibt es nicht, nur im positiven Sinne Familienväter, aber dafür gibt es "Familienmütter" nicht in unserer Sprache. Mütter sind an und für sich Familie, und wenn sie das nicht hinkriegen, dann haben sie etwas falsch gemacht.
Niemand versteht, wie eine Geburt funktioniert. Würde ich mal behaupten. Und zwar nicht in dem Sinne, wie medizinisch ausgebildete Leute Geburten verstehen, sondern wie es sein kann, dass aus einem Menschen ein Mensch rauskommt. Mit Fingernägeln und allem dran. Und weil niemand das versteht, passiert es schnell, dass man Müttern auch noch alle möglichen übernatürlichen Zusatzfunktionen zuschreibt. Ein gigantisches "Du schaffst das schon". Und meistens schaffen sie es ja auch. Das machen dann "die Hormone". Da ist man dann vielleicht mal ein paar Tage ungeduscht. Babyselig mit fettigen Haaren. Kriegt man verkraftet, vor allem als Außenstehender.
Nur dann, wenn es nicht funktioniert, wenn es so dramatisch endet wie in Hasels "Lasse" oder in den realen Fällen von toten Kindern in Plastiktüten und Gefrierschränken, dann stehen wir drum herum und gucken zu wie bei einer Naturkatastrophe. Wo sind denn die Hormone? Wenn sie es nicht schaffen, die Frau in eine Halbgöttin zu verwandeln, die alles am Ende doch noch irgendwie schafft, dann wundern wir uns. Es ist aber keine Naturkatastrophe. Es ist eine Kulturkatastrophe.
Wir sprechen Müttern so eine übermenschliche Macht zu, dass wir alles, alles, alles von ihnen erwarten. Wenn irgendetwas böse ist, dann das: die Erwartungen und der Druck. Aber das weiß man im schlimmsten Fall erst hinterher.
