Marlene Dietrich Der Himmel war grün, wenn sie es sagte

Die Liste ihrer Telefonpartner liest sich wie das Who is Who der Mächtigen der Welt: Die Queen, Michael Gorbatschow, Ronald Reagan – dessen letzter Anruf aus dem Weißen Haus ihr galt. Wie Marlene Dietrich mit dem Hörer am Ohr Außenpolitik betrieb, erzählen Tochter Maria Riva und Enkel Peter im Interview.

Frau Riva, Sie haben jetzt Texte veröffentlicht, die Ihre Mutter in ihren letzten Jahren in vielen schlaflosen Nächten in ihrer Pariser Wohnung geschrieben hat. "Nachtgedanken" heißt das Buch, es sind Gedichte und Skizzen über die Menschen ihres Lebens, über Liebhaber wie Gabin oder Sinatra, über Katharine Hepburn, Rilke, Hitler, auch über Sie. Haben Sie ein Lieblingsgedicht?

Maria Riva: Ich bin Amerikanerin, ich habe "Academy Award" am liebsten, wo sie sich über den Oscar lustig macht. Meine Mutter hatte einen guten Galgenhumor. Ihre traurigen Gedichte, die kenne ich so gut. Aber sie war doch auch ein Clown, das finde ich viel netter.

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Marlene Dietrich: Diva mit Weltformat

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In den letzten Jahren zog Ihre Mutter sich aus der Öffentlichkeit völlig zurück, verließ das Bett ihrer Pariser Wohnung nicht mehr. Konnten Sie sie verstehen?

Maria Riva: Es ist so schwer, eine lebende Legende zu sein. Immer auszusehen, wie die Leute es erwarten, immer dreißig Jahre alt, das Publikum nie zu enttäuschen. Das ist soviel Arbeit. Auch wenn man jung ist übrigens, es ist dieselbe furchtbare Arbeit. Immer die Perücke und die Schminke und der Körper. Sie war diese Anstrengung einfach müde.

Das war das Hauptwerk von Marlene Dietrich: Marlene Dietrich zu sein?

Maria Riva: Ja.

Sie haben vor ein paar Jahren eine Biographie über Ihre Mutter veröffentlicht, in der Sie all die Details enthüllten, die notwendig waren, das Bild vom glamourösen Star zu schaffen. Zerstören Sie damit nicht das Lebenswerk Ihrer Mutter?

Maria Riva: Nein.

Sie haben über unsichtbare Mieder geschrieben, die ihre hängenden Brüste kaschierten, über ihre Angewohnheit, nach dem Essen zu kotzen.

Maria Riva: Man soll doch wissen, daß es nicht immer die Wahrheit ist, was man sieht. Sie hat es einfach als ihre Pflicht betrachtet, perfekt zu sein. Der Regisseur Sternberg hat Dietrich geschaffen, sie hat diese Rolle angenommen. Sie schuldete es ihrer eigenen Legende, immer perfekt zu sein.

1979 legte sich Ihre Mutter in ihrer Wohnung in der Avenue Montaigne ins Bett und stand bis zu ihrem Tod 1992 nicht mehr auf. Was hat sie die ganzen Jahre gemacht?

Maria Riva: Gelesen. Den Fernseher angeschrieen. Telefoniert. Sie hat mitten in der Nacht angerufen. Um drei, um vier. Sie sagte nicht "Hallo" und nicht "Auf Wiedersehen". Es gab auch kein "Wie geht es dir, was machen die Kinder?" oder was andere Menschen am Telefon sagen. Es war bloß: Ich brauche diese Strümpfe aus diesem Laden! Ich brauche diese Telefonnummer! Schick mir diesen Artikel! Es war immer Arbeit.

Peter Riva: Wir sprechen hier über eine Frau, die in den siebziger Jahren eine Telefonrechnung von dreitausend Dollar im Monat hatte. Dreißig Anrufe pro Tag alleine bei meiner Mutter. Dreißig!

Und Sie waren immer erreichbar?

Maria Riva: Natürlich, das mußte man sein. Sie war eine Königin. Es gibt solche Menschen. Nicht alle sind Schauspieler. Sie sind besonders. Wir sagen Charisma dazu. Power. Niemand weiß, was es ist.

In den letzten Jahren hat sie viel getrunken, sie hat Tabletten genommen. Ist sie als bittere Frau gestorben?

Maria Riva: Wenn die Wirkung des Alkohols nachläßt, ist man deprimiert und wütend. Das ist die Tragödie des Alkohols, es ist die Tragödie der Dietrich. Wäre sie dumm gewesen und nur ein wunderschöner Moviestar, der es nicht besser weiß, gut. Aber Dietrich wußte es besser. Sie war so intelligent. Ihr Ende ist eine Tragödie.

Wie fühlte es sich an, von Marlene Dietrich geliebt zu werden?

Maria Riva: Dietrich war immer verliebt. Sie war verliebt in ein Lied, in eine Kohlroulade, einen Mann, eine Frau, eine Blume, alles mit derselben Intensität. Kinder sind sehr sensibel - wenn jemand alles gleich liebt, merken sie, daß nicht wirklich sie gemeint sind.

Peter Riva: Und du hast ihr auch gehört. Da war etwas sehr Besitzergreifendes in ihrer Liebe.

Maria Riva: Sie fand, sie habe mich geschaffen, also gehöre ich ihr.

Wie haben Sie sich befreit?

Maria Riva: Das habe ich nicht. Ich sitze ja hier. Und beantworte Fragen nach meiner Mutter.

Herr Riva, wie erinnern Sie sich an Ihre Großmutter?

Peter Riva: Als ich aufwuchs, wußte ich, da gibt es diese Person, die wir "Massy" nennen: meine Großmutter. Aber wenn das Telefon klingelte und es irgendwas mit ihrem Beruf zu tun hatte, veränderte sie sich komplett. Dann nannten wir sie Marlene. Ich sah meine Großmutter ans Telefon gehen und zu Marlene werden. Man konnte die Veränderung sehen. Sie hielt sich mit einem Mal aufrechter, nahm die Schultern zurück - es war wie eine mentale Uniform, die sie anzog. Mit uns war sie entspannt. Sie machte Rühreier, von denen uns immer schlecht wurde.

Warum?

Peter Riva: Zu viel Butter. Es hat natürlich köstlich geschmeckt. Klar, war ja ein halbes Pfund Butter drin. Wir sagten: danke, Massy, es war wundervoll, und rannten raus, mein Vater, meine Brüder, ich, um uns hinter den Büschen zu übergeben. Unmöglich, soviel Fett im Magen zu behalten. Sie selbst hat es nie gegessen. An ihren Jelly Donuts an Weihnachten aber war nichts auszusetzen, die waren superb. Und sie konnte Fisch kochen, mein Gott, konnte sie Fisch kochen. Und für ihr kaltes Reh in Aspik wäre ich gestorben. Sonst? Sie fühlte sich stets der Wahrheit verpflichtet, auch wenn es nur ihre war. Sie war unglaublich überzeugend. Wenn sie sagte, der Himmel ist grün, dann war er das auch. Ende der Diskussion. Und tatsächlich, man glaubte ihr: Der Himmel war grün, wenn sie das sagte.

Maria Riva: Power!

Peter Riva: Ich erinnere mich an ein Weihnachten in Gstaad, ich war vielleicht 17, eine Wohltätigkeitsveranstaltung im Hotel Palace. Noel Coward war da, Elizabeth Taylor, Richard Burton - vierhundert Leute in der Bar. Alle unterhalten sich, trinken. Auf einmal geht eine kleine Tür auf, ganz am anderen Ende des Raums, sie setzt einen Fuß in den Saal, und eine Mauer aus Schweigen breitet sich aus. Niemand hat sie angekündigt, sie ist einfach hereingekommen: Totenstille. Und sie geht durch den Raum, und die Menschenmenge teilt sich, Gunter Sachs trennt sich von Brigitte Bardot, und sie kommt zu Noel Coward, der ihr entgegenseufzt: Mar-len-ah! Sie reicht ihm die Hand. Und alle atmen wieder, bewegen sich, nehmen ihre Unterhaltungen wieder auf. Ihre Wirkung war unbeschreiblich.

Hat sie eigentlich über sich selber lachen können?

Maria Riva: Über Dietrich hat sie lachen können. Über Marlene nicht.

Genau was ist der Unterschied?

Maria Riva: Dietrich ist Dietrich. Marlene ist normal.

Gab es denn Marlene überhaupt?

Maria Riva: Ich glaube, sie hat sie irgendwann verloren. Aber lustig gemacht hat sie sich immer über die Marlene: Ah, da steht sie wieder, mit dem Kleid, wieder gehen wir nach Las Vegas, müssen ein Moviestar sein ... So was sagte sie dann.

Hatte sie vor irgend etwas Angst?

Maria Riva: Wenn Sie das Wort Angst benützen - die richtige Angst in meiner Familie waren Hitler und seine Partei im Jahr 1933. Um Dietrich zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, daß Hollywood nicht ihre Welt war. Hollywood war nur ein kleiner Ort, an dem Leute dumme Filmchen machten. Nein, ihre Welt war die ganze Welt.

Peter Riva: Und die Welt nahm sie ja auch ernst. Ich habe mal einen Anruf von Nancy Reagan gekriegt, zwei Tage nachdem sie das Weiße Haus verlassen hatten. Sie sagte, Ronnie ist so glücklich - das letzte Telefonat, das er vom Weißen Haus aus führte, war mit Marlene. Der mächtigste Mann der Welt führt sein letztes Telefonat im Amt mit meiner Großmutter. Und als Gorbatschow aus der Verbannung zurückkehrte, war die erste Person, die er anrief: Marlene.

Woher hatten die alle ihre Nummer?

Peter Riva: Weil sie die alle ständig anrief. Sie verkehrte mit diesen Leuten. Als Gorbatschow verhaftet wurde, rief sie alle an, die sie kannte, den französischen Präsidenten, die Queen, sie sagte, wir müssen ihn retten, er ist unsere einzige Chance, einen Krieg zu verhindern. Von ihrem Bett aus unterhielt sie diplomatische Beziehungen. Ob sie effektiv war oder nicht, weiß ich nicht. Fest steht: Gorbatschow hat angerufen. Sie hat global gedacht.

Marlene Dietrich galt als schönste Frau der Welt - hat sie Sport gemacht?

Maria Riva: Nie! Sie hat Tennis gespielt, weil das hübsch aussah. Sie trug ganz kleine Shorts dabei. Alle haben damals Tennis gespielt - sie haben nicht wirklich gespielt, sie sahen nur sehr gut aus. Damals war sie gerade mit Fred Perry zusammen, dem großen Tennisspieler. Auf einmal hatten wir Schläger, weiße Kleider, ich mußte einen Tennislehrer haben. Alles war Tennis! Und dann kam der Pianist José Iturbi, und alles war Klavier!

Sie war immer die perfekte Frau für den Menschen, in den sie gerade verliebt war.

Ja. Sie war immer in einer Rolle. Aber sie hat es nicht bewußt gemacht. Sie war nicht wie Joan Crawford, die sagte, ich will diesen Mann, er liebt Rot, also werde ich Rot tragen, und ich werde ihn kriegen. Das war nicht Dietrich. Ich bin kein Arzt, aber das Wort Schizophrenie trifft es wahrscheinlich. Viele Schauspieler, die wirklich gut sind, haben dieses Talent. Sie verwandeln sich. Meine Mutter hat das mit ihren Liebhabern gemacht. Nicht im Film, sondern im Leben.

Hatte sie Schönheitstricks?

Maria Riva: Nein, so etwas kannte sie nicht. Es ist wirklich unheimlich. Keine Creme, keine Gymnastikübungen, keine gute Diät. Lieber Gott, sie hat kalte Wienerle gegessen! Und Sauerkraut. Sie hat verrückte Sachen gemacht. Eines Tages, das war 1939, hat ihr jemand empfohlen, nichts als Karotten zu essen. Also haben wir zwei Wochen lang nichts als Karotten gegessen. Wir waren ganz gelb davon. Irgendwann sagte Remarque, der zu dieser Zeit mein Vater war, sie sehe aus wie eine Chinesin. Da haben wir wieder aufgehört.

Frau Riva, haben Sie Ihrer Mutter je verziehen, Marlene Dietrich gewesen zu sein?

Maria Riva: Nein. Es ist ein sehr interessantes Leben, die Tochter von Dietrich zu sein - wenn man es überlebt. Sie fände es übrigens unmöglich, daß wir jetzt hier sitzen und über sie sprechen, während in Frankreich Autos brennen und in Jordanien Bomben hochgehen. Sie würde sagen: Was, du hast Zeit für so 'n Kram? Gedichte von Marlene Dietrich? Die Welt steht in Flammen, und du sprichst von Gedichten?

Interview: Johanna Adorján

Marlene Dietrich "Nachtgedanken". Verlag C. Bertelsmann. 186 Seiten, 20 Euro.

SPIEGEL ONLINE hat den Text mit freundlicher Genehmigung der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" übernommen. Die von der "FAS" gepflegte alte Rechtschreibung haben wir beibehalten.

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