
Matusseks Leben als Katholik Weg mit der Kirchensteuer!
Als der Papst vor einigen Jahren durchblicken ließ, dass er Kirchenzugehörigkeit und Steuer nicht verknüpft sehen wollte, erbleichte das deutsche Episkopat. Doch nicht nur die katholischen Kirchenoberen wurden nervös, auch in den Reihen der Protestanten gab es eine Menge besorgter Gesichter. Dabei weiß jeder, dass dieser deutsche Weg eine Ausnahme ist.
Überall sonst auf der Welt gibt es Frömmigkeit auch ohne Steuer, ohne dieses erkaltete Christentum per Staatseinzug. Und sie ist oft fröhlicher als bei uns. Ich habe in Rio und in New York in Gemeinden gelebt, die womöglich aus genau diesem Grunde so vital waren, weil sie ihre Kirche mit freiwilligen Spenden und tätiger Hilfe stützen, ja stützen müssen.
Warum schweigen die Sandalenträger?
Dass bei uns nur derjenige die Sakramente erhält, der die Zwangsabgabe zahlt, ist eine moderne Form von Ablasshandel. Es ist ein theologischer Skandal, den erstaunlicherweise auch die Protestanten stillschweigend mittragen, gerade sie, die sich doch einst im Protest gegen den Ablass erst gründeten.
Doch vor allem tragen diesen faulen Frieden unsere lautstarken Reform-Katholiken mit, die Anti-Römer, die Honoratioren unseres "Zentralkomitees" genauso wie die dauerprotestierenden Sandalenträger der "Kirche von unten", die mit den fortschrittlichen Kirchentagen und Trommeln für den Frieden.
Wohin fließt die Steuer? Nicht in unsere Gemeinde! Wir mussten für die Reparatur unseres Kirchendaches sammeln. Aber wir haben das Geld zusammengekriegt. Kirchenmittel? Die fließen wohl in erster Linie in die Finanzierung von Katholikentagen und Thesenpapieren, auf denen der Papst als rückständig und autoritär beschimpft wird und die Aufhebung des Zölibats gefordert wird. Das Dach ist eine Metapher. Die Gläubigen in der Gemeinde reparieren, während die Gremienkatholiken die Steuern dafür verwenden, Glaubens-Bastionen und Traditionen einzureißen.
Die Herrschaft des Thesenpapiers
Unsere Kirchen richten es sich in Staatsnähe verdächtig bequem ein. Und aus diesem warmen Unterstand heraus überbieten sie sich in radikalen Forderungen. Die Abrissvorschläge kreisen immer um die gleichen Punkte: Zölibat, Unfehlbarkeit, Gleichberechtigung. Nichts davon interessiert die Weltkirche, interessiert einen Katholiken in Ägypten oder Pakistan. Die sind mit Überleben beschäftigt.
Bei uns herrscht sterile Selbstbeschäftigung von Bürokraten. Die katholische Kirche hat die womöglich notwendigen Erschütterungen durch das zweite Vatikanum und die Reformen seiner Liturgie nur so leidlich überstanden. Das Ergebnis: Es liegt jetzt mehr gewöhnliches Tageslicht in Kirchenräumen. Die Hochaltäre sind weggeräumt, die Andachtsräume wurden von Kinderzeichnungen und einer mittlerweile auch wieder angestaubten Avantgarde erobert.
In dem Maße, in dem sich die Kirchen entzauberten, leerten sie sich. Sie wurden hässlicher und kurzatmiger in dem Versuch, mit den Zeitgeistzuckungen mitzuhalten.
Und nun wollen Reform-Katholiken, allen voran Heiner Geißler und Hans Küng, erneut die Axt anlegen? Warum nur sind es immer die offenbar gelangweilten über 80-jährigen, die sich - ganz besonders im glaubensermatteten Deutschland - in revolutionäre Kraftposen schmeißen? Der Katholizismus ist eine 2000 Jahre alte Bastion, ein Kulturspeicher, ein Gedächtnisspeicher der Menschheit, und er sollte es bleiben.
Er sollte eine Institution mit langem Atem bleiben. Katholizismus ist für mich zum Beispiel Gaudís surreale Kathedrale, die seit über hundert Jahren unaufhaltsam in den Himmel wächst. Finanziert wird sie ausschließlich durch private Spenden. Wann sie vollendet sei, wurde Gaudi vor seinem Tod 1926 gefragt. Er lächelte und sagte: "Mein Auftraggeber kann warten."
Der Missbrauch mit dem Missbrauch
Ist sie fehlbar, die katholische Kirche? Und ob. Jesus hat sie ausdrücklich auf fehlbare Menschen gebaut, auf Apostel, die ihn verkauft (Judas) und verraten haben (Petrus). Und doch hat sie die Zeiten überdauert. Und sie wird weiterdauern. Schon Lenin hat prophezeit: "Ich glaube jedoch, dass unter den Trümmern der gegenwärtigen Institutionen noch die katholische Hierarchie weiterleben wird." Sie sollte sich allerdings auf den Glauben stützen, und nicht auf den Staat.
Der Missbrauchsskandal hat sie nun überschattet. In den Karfreitagsfürbitten, also im innersten Kern der Liturgie, hatte der Papst mit und für die Kirche um Vergebung gebeten, vor Gott und den Menschen.
Verbissen gegen die Katholiken
Nun verabscheut wohl jeder, der seine Nüsse noch zusammenhat, Missbrauch von Kindern. Er sollte ihn aber auch verabscheuen, wenn er außerhalb der Kirche passiert. Doch die Medien schießen sich auf die katholische Kirche ein, wohl wissend, dass lediglich 0,1 Prozent der Missbrauchstäter aus ihren Reihen stammen. Die übrigen kommen aus protestantischen Glaubensgemeinschaften genauso wie aus liberalen Gymnasien, aus Rudervereinen, aus staatlichen Kindergärten. Vor allem aber aus Familien.
Doch meine Kollegen haben sich in die Katholiken verbissen als seien 99,9 Prozent von ihnen schuldig, und sie lassen nicht locker. Das ist Missbrauch mit dem Missbrauch. Und sie bekommen Schützenhilfe von - Reform-Katholiken.
Tatsächlich, die größte Kirchenfeindlichkeit scheint bisweilen aus den eigenen Reihen zu kommen. Vorneweg der ergraute Attac-Kämpfer Heiner Geißler, der meint, nur eine Revolution könne die Kirche retten. Und da Geißler genau weiß, wie Jesus denkt, weiß er auch, dass der aus der Kirche austreten würde. Warum? Weil sie, die Kirche, demokratie- und lust- und frauenfeindlich sei, und so weiter.
Wer so was liest, findet es noch beruhigender, dass der Papst und nicht Geißler das letzte Wort in dogmatischen Glaubenfragen hat. Dass es keine Thesenpapiere über die Gnade und keine Kampfabstimmungen über Sünde gibt, sondern diese grandiose feudale Zuspitzung nach Rom. Ist die Enzyklika "Deus est caritas" nicht weit gehaltvoller und auf ihre Art bescheidener als der selbstherrlich verkündete Stuttgart-21-Kompromiss? Und der Petersdom nicht doch eine Ecke schöner als der Stuttgarter Landtag?
Die schale Revolution
Doch nicht nur Geißler hat Probleme mit dem Papst und mit Rom. Auch eine Reihe angejahrter CDU-Honoratioren macht rechtzeitig vor dessen Deutschland-Besuch mobil. Sie wollen, aus "Sorge über den Priestermangel", verheiratete Senioren auf die Kanzel lassen. Viri probati. Am liebsten wohl sich selber.
Das Problem: Es wird dann voll auf den Kanzeln mit lauter beschäftigungswilligen frommen Senioren, aber unten sitzt dann kaum noch jemand. Kann es sein, dass die Gläubigen wegbleiben, weil den Kirchen im mittlerweile schalen Reformeifer der letzten Jahrzehnte zunehmend das Geheimnis, die Liturgie, die Andacht, auch: die Würde, abhandengekommen sind?
Kurz nach den Politikern, die Widerstand gegen Rom forderten, meldeten sich 144 Theologieprofessoren zu Wort. Ebenfalls "aus Sorge". Sie fordern den üblichen, sattsam bekannten Reformkatalog ein, also eine Aufhebung des Zölibats, Priesterweihe für Frauen, den Segen für schwule Lebensgemeinschaften und die Basisdemokratie bei der Bestallung von Bischöfen und Pfarrern.
Eigentlich verlangen sie den Protestantismus. Aber den, liebe Mitkatholiken, können die Protestanten doch einfach besser!
Warum der Zölibat wichtig ist
Was wir können, ist die Gegenwelt, wenn wir es noch können: die Gestalt des antibürgerlichen Priesters, das Mysterium, die Liturgie, die Begegnung mit Christus in der heiligen Wandlung, in der Transsubstantion, die Beichte, die Marienandacht, das Hochamt mit Weihrauch und Weihwasser und Liederjubel. Und den Rosenkranz, den Papst Johannes Paul II. immer wieder empfohlen hat. Ach, ganz vergessen: Auch gegen ihn, den verkündungsstarken Mystiker-Papst, hatten deutsche Theologen bereits 1989 protestiert.
Zurück zum Zölibat. Der ist die offenste Provokation für eine Gesellschaft, die sich der sofortigen und jederzeitigen Bedürfnisbefriedigung geradezu sklavisch verschrieben hat. Wir behandeln zölibatäre Priester wie pathogene Mangelwesen, eigenartig, denn gleichzeitig beklagt der "Stern" in einer Titelgeschichte, dass in deutschen Betten nichts mehr los sei. Der Zölibat ist auf vertrackte Weise im ermüdeten Ehe-Alltag angekommen - vielleicht weil dem Bürger unter dem durchsexualisierten Dauerbeschuss ganz einfach die Lust vergangen ist?
Stützt die Enthaltsamen!
Aber noch einmal: Da ignorieren hochgesinnte Einzelne nicht nur Karrieren und Wohlstand, sondern auch die geschlechtliche Vereinigung in zeichenhafter Enthaltsamkeit mit Verweis auf eine andere Welt, mit der sie sich vermählen wollen, und wir können es nicht dulden? Hat denn nicht jede Religion ihre spirituellen Höchstleistungssportler? Wir sollten, um unserer Kirche willen, die ja auch in ihrem antimodernen Mysterium besteht, diese Frömmigkeitsartisten und Entsagungskünstler stützen, wo es nur geht - statt ihnen ständig die Ohren vollzublöken damit, was sie alles verpassen.
Nicht katholische Sexualfeindlichkeit übrigens spricht aus der Tradition des Zölibats, wie immer wieder in einem groben Missverständnis behauptet wird. Den Zölibat gab es bereits im Hellenismus. Für die Kirchengeschichte lässt er sich bis in die Spätantike zurückverfolgen, ja bis zu den Briefen des Paulus, der vom "Unverheiratetsein um des Herren willen" spricht. Nach Max Weber zeichnete es die Träger des prophetischen oder künstlerischen Charismas schon seit je geradezu aus, dass sie ehelos sind.
Von außen wird der Katholizismus samt Zölibat und Papsttum als "überwältigender Kontrastreiz" empfunden. "Auf keinen Fall darf es sich auf die altbekannte Reformagenda katholischer Kirchenkritiker einlassen", schreibt der evangelische Hamburger Probst Johann Hinrich Claussen in seinem bemerkenswerten Buch "Zurück zur Religion".
Entfachen wir einen Reformsturm
Was meine Vorbehalte gegen die Ordinierung von Frauen zum Priesteramt angeht, gibt es für mich keinen anderen Grund als wiederum den einer ehrwürdigen Tradition, in deren Urgrund das Bild von Jesus und seinen Jüngern liegt. Eine Tradition, die sicher offenbarungsnäher ist, als die Kirchensteuer und bürokratische Zwangseintreibung durch den Staat.
Wo bitte, verehrte Gremienprofis und Reformstrategen und Frauenvereine, bleibt der Aufschrei darüber? Wo, liebe Schriftgelehrten Geißler und Küng, rechtfertigt die Bibel die Zugehörigkeit zur Kirche über das Finanzamt? Wäre nicht hier, verehrte Lehrstuhlinhaber und Postenschieber, ein Reformsturm nötig?
Wollen wir nicht erst hier mal gemeinsam kämpfen, bevor Sie sich der bequemen Mainstream-Kritik an Zölibat und Papst wieder zuwenden?
Wird Zeit, dass der Papst nach Deutschland kommt!
Der Text ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Buch "Das katholische Abenteuer" von Matthias Matussek.
Der Autor auf Lesereise: am 15.5. in Berlin mit dem evangelischen Bischof Huber, am 13.5. in Rom mit Kardinal Cordes, am 24.5. in Cloppenburg, am 25.5. in Hamburg mit dem Jesuitenpater Breulmann und Jens Jessen, am 3.6. in Dresden und am 21.6. nochmals in Hamburg, diesmal mit Hellmuth Karasek und Michael Jürgs.