Margarete Stokowski

AfD in Mecklenburg-Vorpommern Wir basteln uns eine Nazi-Apokalypse

Alle starren in den Nordosten, als wäre dort Hitler höchstpersönlich am Strand erschienen. Kann man überhaupt noch Urlaub in Meck-Pomm machen? Wenn solche Sorgen die linke Antwort auf die AfD sind, muss man sich über deren Erfolg nicht wundern.

Von den Leuten, die in Mecklenburg-Vorpommern gewählt haben, hat ein knappes Viertel rechts gewählt und gut drei Viertel nicht rechts. Die AfD und NPD kommen zusammen auf 23,8 Prozent. Natürlich ist das viel, es ist hässlich viel und man sollte das nicht kleinreden - aber auch nicht großreden. Doch würde man die Zahlen nicht kennen, könnte man aus den Reaktionen auf die Wahl folgern, dass am Wochenende bewaffnete Faschisten Mecklenburg-Vorpommern zur autonomen Ostseediktatur erklärt hätten.

Leute sprechen vom "Sieg" und "Triumph" der AfD, Medien kartieren rechte Hochburgen und porträtieren  die AfD-Kandidaten  und die, die sie gewählt haben. Ich kenne jetzt, nachdem ich einen halben Tag lang die Berichterstattung zur Wahl gelesen habe, sämtliche Namen, Berufe und Gesichter der neuen AfD-Landtagsabgeordneten, aber nicht die der SPD oder der Linken. Schöne Scheiße.

Es ist schlimm, dass in Peenemünde über 46 Prozent die AfD gewählt haben, aber in Peenemünde wohnen nur rund 230 Wahlberechtigte. Rein rechnerisch muss es, weil es Orte wie Peenemünde gibt, auch Orte geben, in denen die AfD nicht viel reißen konnte, aber die scheinen nicht so interessant.

Und schon wieder sagen Leute, es fühle sich an wie 1933. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der sie in der 11. Klasse im Geschichtsunterricht gegähnt haben, "Mäh, nicht schon wieder Nazizeit", scheinen sie es jetzt für ausgemacht zu halten, dass ebenjene Zeit wieder anbricht. Diese Reaktionen finde ich erschreckender als die Wahlergebnisse selbst, die vorhersehbar waren.

Reisewarnung für Usedom

Mit dem gleichen faszinierten Schaudern, mit dem sich schlaflose Linke nachts Dokus über Hitlers Hunde und Hoden reinziehen, sehen sie jetzt die Wahlergebnisse von Mecklenburg-Vorpommern, und der einzige praktische Gedanke, der sich daraus für sie ergibt, ist, dass die zwei Wochen pro Jahr, in denen sie Wellness auf Usedom machen, jetzt vielleicht doch nicht so ein geiler Plan sind und die Frage, ob man das doch noch schnell stornieren sollte.

Dann muss man auch später nicht darüber sinnieren, warum auf dem Sanddornsaft extra draufsteht, dass das "deutsche Früchte" waren. "Reisewarnung" für Usedom  - als würde weißen deutschen Touristen da jetzt eine ähnliche Gefahr drohen, wie wenn sie Pauschalurlaub in einem Kriegsgebiet gebucht hätten.

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Die Rechten sind ein Problem. Aber Linke, denen im Angesicht solcher Wahlergebnisse nicht viel mehr in den Sinn kommt, als von einer neuen Nazizeit zu reden und urlaubsmäßig ihren eigenen Arsch zu retten, sind auch ein Problem, und kein kleines. Irgendwann hieß es mal "Kein Fußbreit den Faschisten", jetzt heißt es, "Ach, die feinen Herren von der AfD, hier, nehmt unser Ferienbundesland, bitte, wir haben jetzt umgebucht."

Welche Region geben wir als nächste auf? Ich warte nur darauf, bis sich die Ersten ein Häuschen mit Carport am Nordpol bauen, nur fürs Gefühl, Geldanlage, etc.

Jetzt ist die Zeit, in der wir der AfD beim Erstarken zugucken, und diejenigen von uns, die am gesündesten leben, können sich schon mal darauf einstellen, in 50 Jahren als Zeitzeugen zu diesem Elend befragt zu werden, dessen Ausgang wir noch nicht kennen, dessen Fortsetzung wir mitbestimmen und dessen Geschichte wir kontinuierlich miterzählen.

Selbstgebastelte Nazi-Apokalypse

Haltung ist etwas, das überhaupt erst sichtbar wird, sobald es Konflikte oder Änderungen gibt und etwas, wovon man keinen Urlaub nehmen kann. Sich "links" oder "kritisch" zu nennen und dann im Ernstfall aber die Erzählungen der Rechten von deren Werdegang und Erfolgen nachzulabern, ist weder das eine noch das andere.

Es stimmt, dass in Mecklenburg-Vorpommern alle bekannteren Parteien Stimmanteile verloren haben außer eben die AfD - und die FDP, die aber unter fünf Prozent blieb -, aber die AfD hat deswegen nicht gewonnen. Die AfD hatte Sticker, auf denen stand "25 Prozent Alternative für Deutschland" - das haben sie nicht geschafft, und das ist gut.

Fotostrecke

Wahlabend in Mecklenburg-Vorpommern: Jubel, Triumph, Enttäuschung

Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

Ich bin echt nicht die Königin positiven Denkens, aber was ich an linker Spontanunterwerfung um mich herum sehe, ist mir zu grotesk. In der "taz" von heute schreibt Georg Löwisch über "Die ganz große Anti-Merkel-Koalition"  und die Kritik verschiedener Parteien an Merkel: "Von dieser Erzählung wird allerdings nur das Original profitieren: die AfD." - Ist das schon beschlossen? Seit wann ist Hinnahme eine politische Option?

Einerseits wollen Linke und Medien darüber aufklären, dass die AfD die Menschen manipuliert und ihnen perverse Propaganda auftischt, andererseits schwirren sie wie die Fliegen um rechte Kommunalpolitiker und nehmen gierig jedes blöde bisschen Story mit, und sobald es ein Wahlergebnis wie in Mecklenburg-Vorpommern gibt, rufen sie: Seht her, die mächtigen Rechten, so sehen sie aus, sie arbeiten als Rechtsanwälte und Elektromonteure, und aus dem Stand heraus haben sie... bla, bla. Wisst ihr, wie man das nennt? Huldigung.

Es ist eine selbstgebastelte Nazi-Apokalypse und wenn Tucholsky 1931 schrieb, den Rechten gehören "Rosen auf den Weg gestreut", dann scheint das bittererweise die unsatirische Vorlage für viele zu sein, mit der sie den neuen Rechten den Weg bereiten.

Deutschland ist ein Land, das eine außerordentlich gründlich dokumentierte historische Vorlage hat, auf die man jetzt zurückgreifen könnte, um sich zu informieren, wie rechtes Denken sich verbreitet, wie Widerstand dagegen aussehen kann, warum er manchmal scheitert und manchmal erfolgreich ist. Wer etwas auf die eigene Bildung hält, hat in diesen Tagen ziemlich viele Möglichkeiten, sie politisch zu nutzen.

Wenn aber selbst die Reaktionen von gebildeten, sich als politisch verstehenden Linken jetzt so ausfallen, dass sie in Mecklenburg-Vorpommern nicht auf die 75 Prozent der Wähler und Wählerinnen schauen, die nicht rechts gewählt haben, sondern auf die rechte Minderheit, wenn sie vergessen, dass sich daraus mehr Aufgaben ergeben als rumzuheulen und woanders planschen zu gehen, dann ist das eine zutiefst unattraktive Variante von Faulheit und auch: ziemlich peinlich.

Margarete Stokowski
Foto: Rosanna Graf

S.P.O.N. - Oben und unten: Alle KolumnenMargarete Stokowski, Jahrgang 1986, ist in Polen geboren und in Berlin aufgewachsen. Sie hat Philosophie und Sozialwissenschaften studiert und arbeitet seit 2009 als freie Autorin für "taz", "Missy Magazine", "L-Mag", "Zeit Online", "Das Magazin" und andere. Von 2012 bis 2015 schrieb sie die feministische Kolumne "Luft und Liebe" in der "taz". Im Herbst 2016 erschien ihr Buch "Untenrum frei" über sexuelle Freiheit im Rowohlt Verlag.Margarete Stokowski auf Twitter 

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