Mediendebatte "Macht die Kultur zum Tagesthema!"

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die parteilose Kulturstaatsministerin Christina Weiss streiten über die Stellung der Kultur im Fernsehen. Weiss ruft die Sender dazu auf, nicht nur auf die Einschaltquote zu schielen, doch die fühlen sich nicht angesprochen. Das Kultur-TV darbt derweil weiter.
Von Henrike Thomsen

Alles begann mit einem Vortrag, den Christina Weiss beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig hielt. "Es ist wirklich an der Zeit, dass in der 'Tagesschau' nicht nur tote Dichter vorkommen. Eine Kulturnachricht pro Ausgabe erscheint mir nicht zu gewagt", sagte die parteilose Kulturstaatsministerin am Donnerstag vergangener Woche. ARD und ZDF sollen das Schöngeistige nicht vernachlässigen, während sie immer stärker auf Talkshows, Sport und andere Unterhaltungsformate setzen, so lautet - allgemeiner gesprochen - die Mahnung. "Die Zuschauerquoten, die man mit Kultur erzielt, können nicht mit der 'Tagesschau' konkurrieren. Aber man sollte aufpassen, dass sie nicht marginalisiert wird", bekräftigte Weiss gegenüber SPIEGEL ONLINE ihre Position.

Die Sender reagierten zunächst ungerührt. "Sie kann uns eigentlich nicht gemeint haben", erklärte der Chefredakteur von ARD-aktuell, Bernhard Wabnitz, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Man bringe auch regelmäßig Meldungen über Operninszenierungen oder literarische Veranstaltungen. Auch der ZDF-Sprecher Walter Kehr lehnte eine "gemäßigte Kulturquote", wie sie Weiss gefordert hatte, für die Informationssendungen ab. Die Quote sei allein deshalb problematisch, weil die Nachrichtenlage täglichen Schwankungen unterworfen sei.

Doch Weiss lässt solche Erklärungen nicht gelten. Die Sender hätten jenseits finanzieller Fragen einen verfassungsrechtlichen Auftrag auf Grundversorgung mit bestimmten Programmangeboten, erinnert sie: "Das bedeutet eben Information, Bildung, Unterhaltung, Sport - aber auch Kultur." Sie respektiere die Rundfunkfreiheit, betonte die Ministerin, dennoch rufe sie dazu auf: "Macht Kultur zum Tagesthema!"

Tatsächlich ist Weiss' Kritik trotz aller Dementis von ARD und ZDF berechtigt. Anspruchsvolle Reportagen und Dokumentarfilme verschwinden immer häufiger in den Spartenkanälen Arte und 3Sat. Und die großen Kulturmagazine, die im Hauptprogramm verblieben sind, müssen fürchten, durch eine schleichende Abschiebung auf schlechtere Sendeplätzen das Rennen um die Zuschauer zu verlieren.

"Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus"

Den jüngsten Anlass zur Sorge bot eine Entscheidung der ARD-Intendanten, die Sonntagsmagazine "Kulturweltspiegel", "Kulturreport" und "Titel, Thesen, Temperamente" künftig um 23 Uhr auszustrahlen. Die Magazine unterliegen damit im Verdrängungswettbewerb gegen "Sabine Christiansen" und die "Tagesthemen", die nun beide vorher laufen. Der Leiter der Programmgruppe Kultur beim WDR, Michael Hirz, will deswegen zwar nicht gleich vollkommen schwarz sehen, aber er rechnet in jedem Fall mit einem Publikumsverlust. Dabei haben die Kulturmagazine seit der Ankunft von "Christiansen", als ihr Sendeplatz erstmals von 21.45 Uhr auf 22.45 Uhr verschoben worden war, bereits einen Schwund um rund eine Millionen Zuschauer hinnehmen müssen.

Hirz zufolge schalten heute beim "Kulturweltspiegel" immerhin noch 1,5 Millionen Menschen ein. Die ZDF-Sendung "Aspekte", die zu Jahresbeginn ebenfalls um eine Viertelstunde nach hinten verschoben wurde, erreicht am Freitagabend um 22.30 Uhr rund 1,3 Millionen. Doch sie kämpft mit einem starken Quotendruck. Nach dem Willen der Senderleitung muss das Magazin mindestens acht Prozent Marktanteile erreichen. Medienwissenschaftlern zufolge sind acht bis zehn Prozent ohnehin aber das äußerste Zuschauerpotenzial. Zudem erhält "Aspekte" weder Trailer-Plätze noch Plakatkampagnen, um sich besser profilieren zu können. Dafür schwebt eine Sparvorgabe von 20 Prozent des bisherigen Etats als Damokles-Schwert über der Redaktion.

"Es ist ein merkwürdiger Widerspruch: Auf jeder Medientagung wird das hohe Gut der Kultur gepriesen, aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus", sagt der Vizechef von "Aspekte", Christhard Läpple. Eine Glaubwürdigkeitskrise sieht auch WDR-Kollege Hirz, jedoch weniger bei den Programmplanern, als in der Gesellschaft selbst: "Die ganze Atmosphäre in Deutschland ist ruppiger geworden. In wirtschaftlich schlechten Zeiten spart man als erstes gerne bei der Kultur. Dies spiegelt sich in den Medien: Auch in der Zeitungskrise wurde ja zuerst massiv bei den Feuilletons gekürzt." So sieht es auch Ministerin Weiss: "Die Gefahr der Marginalisierung gilt in der Gesellschaft allgemein wie in den Medien im Besonderen", sagt sie.

Inhaltlich haben die Kulturmagazine längst mit Kompromissen auf die Entwicklung reagiert. Sie setzen verstärkt auch auf populäre Beiträge. Ein Mindestniveau müsse dennoch bleiben, um sich selbst nicht von innen heraus abzuschaffen, sagt Hirz. Auch Läpple versichert: "Wir werden nicht allen Anspruch über Bord werfen und die 'Bohlisierung' des Programms fördern", sagt er. Dabei hat er beim Zuschauerverhalten eine erschreckende Entdeckung gemacht: Bei schwierigeren Beiträgen wird schneller umgeschaltet als früher. Umso wichtiger scheint es, dass ein Mindestmaß an anspruchsvollen Kulturbeiträgen im Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen seinen Platz behält - und sei es auch nur durch den politischen Druck der Ministerin.

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