"Mephisto" in Hamburg Der Teufel in Herrn Gründgens

Klaus Manns Gründgens-Roman "Mephisto" verführt immer noch zu Exorzismen: Nach dem Film von Istvan Szabo und dem Stück von Ariane Mnouchkine gab es jetzt am Hamburger Schauspielhaus eine neue Bühnenfassung. Doch dem Teufel war nicht beizukommen.

Bloß keinen Gag vermeiden! Denn wenn man einen beinahe mythischen Theatermann, Gustaf Gründgens gar, auf die Bühne bringt, noch dazu auf die des Hamburger Schauspielhauses, da hilft nur Dauerfeuer aus allen Rohren: Scherz, Satire, Ironie und schiefere Bedeutung, Zitaten-Bombast und Slapstick, Masken und Mummenschanz, die gute alte Videoprojektion, dazu atmosphärische Popmusik und eine Tagung/Pressekonferenz als Bühnenbild-Setting. Irgendwas vergessen?

Anders Paulin wollte mit seiner opulenten "Mephisto"-Version hinter den Gründgens-Mythos kriechen und schien doch von der Faszination des großen GG gefangen. Klaus Manns Roman von 1936 hatte immerhin einen handfesten Skandal produziert und war jahrzehntelang in Deutschland verboten. Diese deutsche Uraufführung des bearbeiteten Stoffes wurde höflich beklatscht: Viel kulinarisches Schauspielertheater und wenig Wagnis - Mephisto führte Regie.

Aber auch der neue Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer hatte wieder alle Hände im Spiel: Das Verhältnis der legendären Bühne zu Gustaf Gründgens (der hier 1955 bis 1962 selbst Intendant war), dessen prägender Geist, der immer noch durch die Hallen weht, der Fluch, der angeblich auf dem Haus und jedem Intendanten lastet: All das erzählte der neue Chef an der Hamburger Kirchenallee gern und oft.

Und es ehrt ihn, dass er das in ironischer Form auch noch mal auf der Bühne durchspielen lässt: Schirmers Antritts-Pressekonferenz als Opener für einen Gründgens-Abend, das hat Charme und Grandezza, selbst wenn sein Verweis auf die "Hamburger Schule" (mittels des Tocotronic-Songs) nun schon wieder ein wenig angestrengt und lehrerhaft wirkt. Wir haben verstanden! Den Stier, pardon, den Teufel bei den Hörnern packen, dahin gehen, wo es wehtut. Aber der Abend - immerhin über drei Stunden Bühnenzeit - ging ja erst los.

Gretchenfrage: Was soll's?

Anders Paulins Umgang mit dem Mann-Stoff gestaltete sich frei: Neben Originaltexten aus dem "Mephisto"-Manuskript montierte er Zitate von Nietzsche, Goethe, Shakespeare, Peter Sloterdijk und anderen, mit denen er die jeweiligen Roman- und Karrierestationen des "Hendrik Höfgen" (wie Gründgens ja im Roman heißt) exemplarisch und überhöht verarbeiten wollte.

"Faust" passte hier natürlich allenthalben: Gründgens' Paraderolle des beredten und verführerischen Höllenchefs sowie das übrige Personal bot den Stoff, der in allen Inszenierungslagen Rettung verheißt. Vom "Vorspiel auf dem Theater" über das Studierzimmer und "Auerbachs Keller" bis hin zu einer grausam komischen Gretchen-Szene wird der "Faust"-Fundus lustvoll ausgeschlachtet, stets süffig als Kommentar zum Zeitgeschehen im Allgemeinen und Höfgen-Leben im Besonderen verarbeitet.

Das Verhältnis des Künstlers zur Politik, in diesem Falle Höfgens Beziehungen zu den Nazis und Hermann Göring, ist wenig überraschend gestaltet, wenn man das Buch und den Film kennt. Was zu der Gretchenfrage führt: Was soll's? Die konzeptionelle Idee, Spiel und Leben, Wahrnehmung und Realität kontrastieren zu lassen, einen eitlen, genialen, opportunistischen Menschen in verschiedenen Lebenslagen vorzustellen, saugt sich schnell aus. "Er wusste eben, wie man gewinnt!" - eine kleine Schluss-Erkenntnis nur, nach ein paar Stunden Nummernrevue.

Theaterquiz und Kabarett

Dabei kommt bei aller Harmlosigkeit der Paulin-Inszenierung keine Langeweile auf: Dem Ensemble beim Spielen zuzusehen, macht höllischen Spaß. Beeindruckend dabei, wie sehr der Höfgen-Darsteller Philipp Otto schon rein äußerlich Gründgens gleicht. Dazu ist er in Körpersprache, Artikulation, rückhaltlosem emotionalen Einsatz ein wahrer Kraftprotz; seine berserkerhafte Präsenz rettet die dünne gedankliche Welt über manche Schwächen. Seine "Nummern" sind die stärksten dieses Bilderbogens, wobei die übrigen Mimen, die meist mehrere Rollen verkörpern, ihren Göring (Michael Prelle) oder Max Reinhardt (immer köstlich: Marlen Diekhoff) blendend "zum Besten geben", furios und gekonnt, schreiend witzig oder mit dem ganzen Schrecken des Abgründigen.

Am besten funktionieren bei diesem Darstellungsfeuerwerk die Kontraste, die Mischung der Zeit- und Bedeutungsebenen. Immer wieder schiebt Anders Paulin bissige Nettigkeiten wie ein Theaterquiz zwischen Insidern ein, lässt in der Handlung die verwendeten Zitate von einer Günther Jauch-Figur abfragen oder macht einfach Berliner Kabarett, wenn er die faustische Walpurgisnacht in den Grunewald zu besoffenen Hauptstädtern verlegt: Da ham wa janz schön jelacht! Aber leider, irgendwie muss man ja wieder auf Gründgens kommen, und da blieb zum Schluss nur noch die Dokumentation.

So wurde der Moment, als auf dem Videobildschirm über der Bühne der schon ältliche Gründgens in einem Interview auftauchte, zum gespenstischsten Moment des Abends. Günter Gaus, der geniale Interviewer, führte dieses Gespräch am 10. April 1963, als Gründgens' Abgang aus Hamburg noch eine frische Wunde war und der Star selbst so verletzlich wie vielleicht nie zuvor wirkte.

Auf die gezielten, aber keineswegs bösartigen Fragen von Gaus antwortet Gründgens mit einer Arglosigkeit, die den Atem raubt. Ein bizarrer Moment. Dagegen verblasst die letzte Szene des alten Gründgens auf der Bühne: Mit Decke, Sonnebrille und Sessel, ein schwacher Abgang. Und eben ohne ein neues Bild des alten "Mephisto". Ein Abend des Entertainments, der technischen Brillanz und letztlich der Leere. Der Teufel hat mal wieder gewonnen.

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