Messe "Art Basel Miami" Jetsetter im Kunstrausch
Wie exklusiv Kunst sein kann, bekommt der Herr mit der Halbglatze unerwartet zu spüren. "Sorry", flötet Elizabeth, die langbeinige Türsteherin. "Sie stehen nicht auf der Liste." Der Herr tobt, droht, fuchtelt mit seinem Blackberry: Hier, dies sei seine Einladung, per E-Mail vom Gastgeber persönlich, ob sie denn nicht wisse, wer er sei. "E-Mail", wiederholt Türsteherin Elizabeth ungerührt. "Damit kann ja jeder kommen." Ende der Diskussion - die rote Samtkordel, die das Allerheiligste versperrt, bleibt geschlossen.
Exklusiv, in der Tat. Gestern Abend in Miami Beach: Hinter der Samtkordel, im Innenhof des Sechs-Sterne-Hotels Setai, tummelt sich die Crème-de-la-crème der lateinamerikanischen Kunstszene. Mit einer VIP-Party für den spanischen Maler Manolo Valdés feiert die New Yorker Top-Galerie Marlborough den Auftakt der "Art Basel Miami Beach" (ABMB). Der Ableger der Schweizer "Art Basel", einst ein kleines, sonniges Kulturexperiment, ist längst zur größten Kunstmesse der USA gewuchert - und zur größten Party- und Jetset-Orgie des Jahres, selbst im megawilden Miami Beach.
Das lässt sich zum Beispiel hier im Setai, dem teuersten Hotel des Landes, gut beobachten. Hunderte Gäste drängeln sich an einem fernöstlich angehauchten Reflektionspool, um den Kerzen und Kissen gruppiert sind. Es gibt Sekt und Tapas vom offenen Grill. Vom Atlantik weht eine frische Brise herüber. Man riecht das Geld. Ehrengast Manolo Valdés steht mitten im Trubel, ein Bier in der Hand, Gattin Rosa in der anderen. Der 65-Jährige hat noch schnell das Sommersakko vom Nachmittag gegen einen schwarzen Anzug mit rotem, offenem Seidenhemd ausgetauscht. Jeder will ihn begrüßen, herzen, auf beide Wangen küssen. Ob ihn dieser Partyrummel nicht störe? "Ach was", lacht Valdés. "Für mich ist das ein Paradies. Un paraíso!"
"Wie war die Tea Party?"
Und nicht nur für ihn. Rund 40.000 Menschen fallen diese Woche in Miami Beach ein, doch Kunst per se, so lästern Puristen, sei da oft nur Nebensache. "Viele", nörgelt ein Galerist im Setai und lugt über seinen Glasrand, "sind nur wegen der Szene hier." Eine Woche lang taumelt der Geldadel von einem Sektempfang zum nächsten; vom Setai rauschen sie weiter ins Delano zur offiziellen Eröffnungssause und von da aus zum Strand, zum Gratis-Konzert mit Iggy Pop.
Das ist ganz im Sinne des Erfinders. Kultur und Kommerz, auf diese Symbiose ist Messechef Sam Keller bekanntlich stolz. Seine ABMB ist Produkt und Symbol einer Zeit, in der Kunst kaum mehr nur Kunst ist. Kunst ist zum Event mutiert, der längst über den alten Händler- und Sammlerklüngel hinausstrahlt, und angefangen hat das eben vor fünf Jahren hier in Miami Beach, mit der ersten ABMB, die "Art" mit Geld gleichsetzte - "commodity", Status, Prestige, Accessoire für eine A-List, die sonst schon alles hat. Früher ein Jaguar in der Garage, heute ein Damian Hirst im Esszimmer.
Hirst, der durch seine in Formaldehyd konservierten Tierkadaver bekannte Popstar der Szene, findet sich in der Messehalle gleich mehrfach ausgestellt. Deren verstopften Gänge werden ebenso zum VIP-Laufsteg wie die Holzplanken, die vom Setai zum Meer führen, durch Pergolas vorbei an den drei unterschiedlich temperierten Swimmingpools mit ihren Knutsch-Cabanas.
Der Prominenten-Quotient ist beträchtlich. Lance Armstrong wird gesichtet, Tom Wolfe war schon da, Dennis Hopper soll kommen. Selbst Gouverneur Charlie Crist bemüht sich her. Ringsum: gestylte, geliftete, geschminkte, gebräunte Gesichter. Gesprächsfetzen wehen sanft vorbei. "Wie war die Tea Party?" "Ich hatte ein Raucherzimmer, absolut unglaublich!" "Ja, der kennt all die richtigen Leute."
Geld, Glanz und Glamour
Man täusche sich nicht: Trotz aller leeren Feierei ist die ABMB "big business". Fast 200 Galerien aus 30 Ländern buhlen ums Publikum und dessen Geld, mit Werken von mehr als 2000 Künstlern. 650 weitere Galerien hatten sich beworben, so viele wie noch nie seit der ersten ABMB 2002, waren aber durchgefallen beim strengen "Selection Committee" aus zwölf Über-Galeristen.
Die, die geadelt wurden, dürfen sich freuen. "Dies ist einer der wichtigsten Termine der Welt", sagt Heike Grossmann von der Münchener Galerie Thomas. Vieles "im Bereich der unteren 100.000" - sie meint Dollar - gehe schließlich oft schon am ersten Tag weg, nur bei "Höherpreisigerem" nähmen sich die Käufer "etwas mehr Zeit zum Überlegen". Für die Galeristen selbst sei das reiner Arbeitsstress: "Vom Spaß ringsum bekommen wir wenig mit."
Derweil können die reichen Sammler in der "Collectors Lounge" verschnaufen, auf weißen Sesseln unter weißen Seidengardinen und umringt von weißen Orchideen. Livrierte Kellner reichen Sushi und Perrier-Jouet, Jahrgang 1999, Sponsoren reichen Prospekte. "Island Gardens", ein neues Luxus-Wohnprojekt am Hafen von Miami, wirbt mit vier Hostessen in Satin-Gewändern. Auch hier sorgt eine rote Samtkordel für die erwünschte Exklusivität.
Messechef Keller macht die Runde. Zum Anzug trägt er schwarze Turnschuhe. Dies ist sein Abschied: Mit einer kurzen Ansprache zieht sich der Schweizer ins Museumsleben zurück. Er dankt seinem Team und seinen Hauptsponsoren, stellt artig sein Nachfolger-Trio vor und nennt sein Messe-Ziehkind mit heiserer Stimme "eine Art 'American Dream'". Womit er sicher recht hat: Die ABMB ist ein typisch amerikanischer Schmelztiegel - aus Geld, Glanz und Glamour.
Den Zenit erreicht?
Bürgermeisterin Matti Herrera Bower verabschiedet Keller mit einer dicken Umarmung und der "Medal of Honor" ("unser höchster Orden") und erklärt den gestrigen Tag sodann zum "Sam Keller Day". Denn ein Traum ist die Messe auch für den Ort selbst, nicht nur touristisch. So gibt es parallel inzwischen über 20 kleinere "Satellitenmessen" - für Design, Musik, Video, alternative Kunst, sogar eine Installations-"Hommage" an die Skater-Kultur. "Verliert die Qualität zu Gunsten der Quantität?", fragt die "Art Newspaper" schon.
Fest steht: Ohne die ABMB hätte sich Miami Beach kaum zu einem solchen Wallfahrtsort für junge Künstler gemausert. Oder eine derart florierende Designszene entwickelt. Oder auch gerade erst beschlossen, für 220 Millionen Dollar ein nagelneues Museum an die Biscayne Bay zu setzen, nach spektakulären Entwürfen des Architektenduos Jacques Herzog und Pierre de Meuron - zwei Schweizer natürlich.
Doch jeder Boom, jeder Hype muss mal ein Ende haben. Schon am ersten Abend wird Gemurre laut: Das Geschäft des Premierentags sei schleppender verlaufen als voriges Jahr, dank Dollarkurs und Kunstmarkt-Inflation. Überraschen dürfte das freilich niemanden; die vergleichsweise faden New Yorker Herbstauktionen waren ein erstes Menetekel. "Viele Leute zögern", sagt Karl Schweizer, der Kunstinvestment-Chefberater der Großsponsorin UBS. "Die Preise sind zu hoch." Selbst Keller sagt: "Einige fragen sich schon, ob die 'Art Basel' ihren Zenit erreicht hat."
Bei der VIP-Party im Setai jedoch ist davon nichts zu spüren. Salsa-Musik klingt durch die Zierbirken, Alkoholgeruch schwängert die Luft. Manolo Valdés, Star des Abends, lässt sich strahlend herumreichen. "Um das zu erreichen, was ich hier auf einen Schlag an einem Ort erreiche", sagt er, "ach, wie viele Weltreisen müsste ich dafür unternehmen!"