Umstrittener Nahost-Experte Michael Lüders Der Weiß-Schwarz-Denker

Michael Lüders
Foto: imago/ Jürgen HeinrichTreffen mit dem Islamwissenschaftler Michael Lüders: 57 Jahre alt, schlank, ergraut, Hemd, Krawatte. Lüders spricht geschliffen, er besitzt jahrzehntelange Erfahrung als Redner. Aber heute wiegt er jedes Wort ab. "Als Publizist hat man es nicht leicht, wenn man einer im medialen Diskurs vorherrschenden Deutung widerspricht", sagt Lüders.
Der Nahostexperte zweifelt unter anderem daran, dass das Assad-Regime für den Giftgaseinsatz im August 2013 auf Vorstädte von Damaskus verantwortlich war. Bei "Markus Lanz" stellte er seine Gegenthese zur Deutung Washingtons vor einem Massenpublikum vor: Die dschihadistische Nusra-Front sei vom türkischen Geheimdienst mit Sarin bewaffnet worden.
Häufig äußerte sich Lüders, der in den Achtzigern in Damaskus studierte, kritisch gegenüber der westlichen und der israelischen Politik im Nahen Osten - und wurde dafür von manchen gelobt, von anderen kritisiert.
Nach dem Auftritt bei Lanz wurde er instrumentalisiert. Die "Bild"-Zeitung schrieb am Freitag in einem Artikel über Putin, dass auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen "die von Russland verbreiteten Fake News" eine Bühne bekämen - und bezog sich auf Lüders' Lanz-Auftritt. Im Netz wird Lüders gleichzeitig von Assad-freundlichen Seiten gefeiert. Und die rechtsextreme Seite "Politically Incorrect" bescheinigte ihm, den "Kern der Sache voll getroffen zu haben" . Lüders sagt: "Ich eigne mich nicht als Kronzeuge für Extremisten." "Politically Incorrect" habe ihn über Jahre hinweg diffamiert.
Vergangene Woche erschien auf SPIEGEL ONLINE ein Faktencheck, der auch Lüders' These prüfte. Lüders sagt, der Artikel sei "demagogisch", da er ihn in eine Ecke mit rechten Verschwörungstheoretikern stelle. Ist es so einfach? Ist es nicht.
Weil die Lage so unübersichtlich ist. Und es gerade deshalb so schwierig, zwischen Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Opfer und Täter zu unterscheiden. Und weil zudem unterschiedliche Interessengruppen - die US-Regierung, der Kreml, das Assad-Regime -befeuert von Blogs, sozialen Netzwerken und Verschwörungsseiten- den Diskurs in ihrem Sinne beeinflussen wollen.

Uno-Ermittler 2013 in Syrien: Quellenlage schwierig
Foto: AP/Local Committee of ArbeenFakt ist: Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wer den Angriff 2013 in Syrien verübt hat. Fakt ist auch: Lüders bezeichnete seine These als "hoch wahrscheinlich". Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE nennt er als Quellen türkische Medien: "Zwei Parlamentsabgeordnete der kemalistischen CHP, Eren Erdem und Ali Seker, erhoben aufgrund von Gerichtsakten der Staatsanwaltschaft in Adana Vorwürfe gegen den türkischen Geheimdienst. Darüber ist in mehreren türkischen Zeitungen berichtet worden. Nach dem Militärputsch wurden die Staatsanwälte in Adana übrigens ausgetauscht, die Ermittlungen offenbar eingestellt."
Es stimmt: Es gibt diese Zeitungsberichte. Das ist also eine Quelle für Lüders These, wenn auch nur eine indirekte. Lüders stützte sie nicht durch Informanten oder Recherche vor Ort. Was Lüders nahelegt, aber kaum belegbar ist, ist der kausale Zusammenhang zwischen dem Austausch der Staatsanwälte und Vorwürfen gegen den türkischen Geheimdienst - nach dem Militärputsch wurden Tausende Beamte gefeuert.
Mit vertauschten Farben drüberstreichen
Lüders kritisiert, dass die Vorwürfe von Erdem und Seker sowie die Arbeit der Staatsanwaltschaft in Adana in der Berichterstattung, auch von SPIEGEL ONLINE, unerwähnt blieben. Die Ursachen für die Katastrophe in Syrien seien vielschichtig, die westlichen Staaten hätten aber einen erheblichen Anteil daran - und die Interessen des Westens würden in den Medien zu wenig beleuchtet. So alleine ist das eine analytische Einschätzung.
Wer aber Lüders' neues Buch "Die den Sturm ernten" liest, auf das er diese Thesen baut, und das auf Platz 1 der SPIEGEL-Paperback-Sachbuchliste steht, bekommt einen widersprüchlichen Eindruck: Hier kritisiert einer die Schwarz-Weiß-Perspektive der anderen, nimmt ihnen deshalb den Pinsel aus der Hand - um dann selbst mit vertauschten Farben drüberzustreichen.
Auch im Buch ist die Quellenlage schwierig - und vieles bleibt ohne Fußnoten. Lüders behauptet auch hier, dass Spuren vom Angriff von 2013 zur Türkei und der Nusra-Front führen würden - und bezieht sich dabei ausschließlich auf einen Aufsatz des US-Journalisten Seymour Hersh. Dass dessen Quellen zum Giftgasangriff umstritten sind und Annahmen - etwa, dass die damals genutzten Waffen nicht zum Arsenal des syrischen Militärs gehören - im Nachhinein widerlegt wurden , ordnet Lüders nicht ein. Bei ihm erschöpft sich Hersh, ein hochverdienter Journalist, der die Folter von Abu Ghraib aufdeckte, dessen aktuellere Recherchen heute aber auch in der Kritik stehen, im Buch ausschließlich in der Beschreibung "Reporterlegende".
Auch Indizien, die gegen seine These sprechen, nennt Lüders nicht - etwa, dass die syrische Armee schon 2012 Abschussvorrichtungen entwickelte, um Chemiewaffen auf kurze Distanz abschießen zu können und dass die Türkei kein Chemiewaffenprogramm und kein Sarin besitzt. Noch mal: Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wer den Angriff 2013 in Syrien verübt hat. Aber in Lüders' Buch fehlt der objektivierende Schritt zurück: Weil er sein Narrativ - der Westen trage erhebliche Verantwortung an der Entwicklung in Syrien - nicht sorgfältig mit der Welt abgleicht, sondern über Fakten und Quellen stellt, entsteht ein Raunen.
Ein Mann, der keine Schau abzieht
Dann ist da die brüchige, unstete Argumentation. Einerseits streut Lüders in seinem Buch immer wieder die Versicherung ein, Assad sei ein Verbrecher (übrigens auch, ohne das durch große sachliche Analysen auszuführen). Andererseits, und das lässt die Versicherung pflichtschuldig wirken, arbeitet er mit jedem Kapitel darauf hin, durch historische Analysen - etwa der Rolle der CIA beim Militärputsch von 1949 in Syrien - eine Verantwortung des Westens nachzuweisen. Das ist an sich ein spannender Ansatz, der die Diskussion bereichern kann. Und die Einschätzung, dass die Rolle und die Folgen westlicher Interventionspolitik zu wenig und nicht selbstkritisch genug reflektiert werden, teilen auch andere.
Wer aber so einseitig für seine These sammelt, statt wechselseitig auf unterschiedliche, widerstrebende Perspektiven einzugehen, argumentiert nicht nur in der Sache. Sondern fühlt sich als der einzige, der die richtige Sichtweise in die Öffentlichkeit bringt.
Die andere Frage ist, ob es deshalb richtig ist, ihn zum Geisterfahrer zu machen: Bei "Lanz" sagte Lüders, der ehemalige Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, habe über Sarin-Lieferungen an die Nusra-Front berichtet und sei deshalb verfolgt worden. Ein Fehler, wie auch Lüders im Nachhinein sagt: "Dündar hat über konventionelle Waffenlieferungen an islamistische Rebellen geschrieben. Bei Markus Lanz habe ich das bedauerlicherweise falsch wiedergegeben." Dündar selbst bestätigte aber "Cumhuriyet"-Berichte über die Vorgänge im Nachhinein gegenüber dem Medienblog "Übermedien" . Aber zu dem Zeitpunkt hatte Lüders' Glaubwürdigkeit längst Schaden genommen.
Als Lüders bei Anne Will auftrat, einige Tage nach der Lanz-Sendung, war schon etwas gebröckelt. Will sagte, sie stelle ihn "bewusst nicht als einen neutralen Nahost-Experten" vor, "sondern als Autor und als Politik- und Wirtschaftsberater". Und fragte, ob wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, wenn er behaupte, der Westen habe Syrien ins Chaos gestürzt.
Sie setzte sich nicht sachlich auseinander, sondern legte nahe, er würde von wirtschaftlichen Motiven getrieben - und wertete so seine Glaubwürdigkeit ab. Auch John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter und Wirtschaftsberater, saß in der Runde. "Im Vergleich zu ihm sind meine Beziehungen in die Wirtschaft sehr bescheiden. Aber das blieb unerwähnt", so Lüders. Er sagt, er habe zuletzt für eine Supermarktkette einen Vortrag über den Syrienkonflikt gehalten. Und wer mit ihm spricht, bekommt den Eindruck eines Mannes, der keine Schau abzieht, sondern meint, was er sagt. Das ist das Einerseits.
Das Andererseits: Nach dem Auftritt bei Will wurde Lüders zum Beispiel von "Propagandaschau", einem Blog, der die abholt, die die großen Medien für Lügenpresse halten, als "inhaltlich kaum angreifbar" gefeiert . Er selbst sagt, er halte das für bedauerlich, wenn Leute ihn instrumentalisieren: "Mir ist es nur wichtig, dass ich als Autor authentisch bleibe." Er will keine Verantwortung übernehmen für die Konsequenzen, die seine Worte haben.