
Militärmuseum in Dresden: Die Deutschen und der Krieg
Militärmuseum der Bundeswehr Wie man ohne Pathos vom Krieg erzählt
Es waren deutsche Soldaten, die im August 1943 das Dorf Kommeno im Westen Griechenlands überfielen. Sie brannten die Häuser nieder, trieben das Vieh fort. Sie vergewaltigten die Frauen und folterten die Männer. Säuglingen pressten sie Benzinwatte in den Mund und zündeten sie an. Ein Priester trat im Morgengrauen mit einer Bibel unter dem Arm den Soldaten entgegen. Er starb im Kugelhagel. Die Bibel fiel zu Boden.
Diese Geschichte, sagt der Historiker Gorch Pieken, erzähle er immer, wenn er erklären wolle, warum er ein Museum über den Krieg eröffnet. In Dresden. Er erzählt sie auch jetzt, während er durch die Ausstellung geht, die noch nicht fertig ist, durch lichtlose, beinahe leere Räume, an den stürzenden, kippenden Wänden des Architekten Daniel Libeskind entlang.
Pieken, 49, hat den Überfall auf das Dorf Kommeno für das Museum rekonstruiert. Er erfuhr, dass die Bibel des mutigen Priesters seitdem in der Kirche des Dorfs ausliegt - vergilbt und blutbefleckt. Pieken will sie nun ausstellen, als eines von 7000 Exponaten im neuen Militärhistorischen Museum (MHM) der Bundeswehr in Dresden, dem ersten Kriegsmuseum des vereinigten Deutschland.
Ein Team junger Historiker hat sich für die Ausstellungseröffnung am 14. Oktober Großes vorgenommen: Sie wollen die Geschichte des Krieges neu erzählen. Aller Kriege. "Wir rechnen mit heftigen Diskussionen", sagt Pieken.
Bislang dienten Militärmuseen meist, wie das Imperial War Museum in London oder das Musée de l'Armée in Paris, als Hochaltäre des Krieges. Sie präsentieren Waffen, glänzende Geräte und gebügelte Uniformen, sie feiern große Schlachten, Heldenepen mutiger Soldaten, die im patriotischen Kampf ihr Leben für das Vaterland aufs Spiel setzten und häufig auch verloren.
Kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt
Das neue Militärmuseum in Dresden will sich dieser Tradition widersetzen. Zwar werden auch in Dresden Gewehre und Kanonen zu sehen sein, es wird die Chronologie von Feldzügen referiert, aber eigentlich geht es den Historikern um etwas anderes: eine kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt. Verhandelt werden die großen Fragen der Menschheitsgeschichte: Woher kommt Gewalt? Ist der Mensch böse? Gibt es einen gerechten Krieg? Fragen, die sich gerade jetzt stellen, da deutsche Soldaten in Afghanistan sterben, die Nato Libyen bombardiert, in Syrien ein Diktator sein eigenes Volk niederschießen lässt.
Im Krieg geht die Wahrheit verloren. Die Dinge werden verschwiegen oder beschönigt, und wer nun, wie die Dresdner Museumsmacher, behauptet, eine ehrliche Version des Krieges zu liefern, läuft Gefahr, vermessen zu klingen oder naiv. Die Deutschen tun sich seit Hitler schwer mit Pathos - vor allem in Bezug auf Krieg. Es gab wilde Debatten, ob Angela Merkel Tapferkeitsorden an Soldaten verleihen dürfe und ob die Politik von "gefallenen" Soldaten sprechen könne. Aber lässt sich ohne Pathos überhaupt vom Krieg erzählen?
Und: Wenn die Museumsmacher den Krieg in all seiner Rohheit abbilden, müssten sie dann nicht zu dem Ergebnis kommen, dass Militärschläge unverantwortlich sind? Dass es für Gewalt keine Rechtfertigung gibt? Und somit in letzter Konsequenz auch das deutsche Engagement in Afghanistan falsch ist?
Anders gefragt: Wie selbstkritisch kann die Bundeswehr wirklich sein?
Gorch Pieken steht im dunklen Eingangsschlund des Museums. Er trägt eine getönte Brille, die oberen zwei Knöpfe seines Hemds sind offen, seine blonden Haare hat er zu einem Zopf gebunden. "Der Krieg ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt er. "Wir achten darauf, was sich unter der Wasserlinie befindet." Pieken hat in Köln studiert und zehn Jahre für das Deutsche Historische Museum in Berlin gearbeitet. Als ihm das Verteidigungsministerium die wissenschaftliche Leitung des Militärmuseums anbot, sagte er ohne Zögern zu.
Dem Wissenschaftler ist es über die Jahre gelungen, Exponate zusammenzutragen, die überraschen, weil sie Geschichten erzählen, die neu sind. Geschichten wie von dem namenlosen Mädchen, das im Konzentrationslager Lublin die Schuhe der Toten sortierte. Es schrieb darüber ein Gedicht: "Tote Schuhe". Wenig später wurde es in der Gaskammer ermordet. Das Gedicht aber blieb erhalten. Die Gefangenen lernten es auswendig. Pieken wird es im Oktober präsentieren, neben den Schuhen von KZ-Häftlingen. Das Museum ist im Aufbau begriffen, noch lagern viele Exponate im Depot. Doch schon jetzt deutet sich an, welche Wucht diese Ausstellung entwickeln kann.
"Ein deutsches Militärmuseum kann nicht nur eine Waffenkammer sein"
Noch sind es mehr als drei Monate bis zur Eröffnung. Bauarbeiter schleppen Schutt aus dem Museum. Bohrmaschinen dröhnen. Handwerker schleifen den Boden, verlegen Kabel - die Albertstadt, eine Kasernenanlage im Norden Dresdens, hat sich in den vergangenen fünf Jahren stärker verändert als in den 140 Jahren zuvor. Verschiedene Armeen nutzten sie seit dem 19. Jahrhundert. Ihr Waffendepot diente der Königlich Sächsischen Armee, der Reichswehr, der Wehrmacht und der NVA als Militärmuseum. Nach der Wende beschloss die Bundesregierung, das Arsenal zum Vorzeigemuseum der Bundeswehr auszubauen.
57 Millionen Euro kostet die Erweiterung. Oberstleutnant Matthias Rogg, seit einem Jahr Direktor des Militärhistorischen Museums, sagt, es habe innerhalb der Armee Einigkeit bestanden, das Projekt umzusetzen. Die Bundeswehr will sich mit dem Museum als eine moderne Institution präsentieren, die sich selbst reflektiert.
Mit der Neugestaltung des Museums hat das Verteidigungsministerium den amerikanischen Architekten Daniel Libeskind beauftragt. Seine Eltern, polnische Juden, überlebten den Holocaust in einem sowjetischen Arbeitslager, bevor sie 1957 nach Israel und später in die USA emigrierten. Nun baut der Sohn den Deutschen ein Kriegsmuseum.
Libeskind ist in den vergangenen Jahren mehrmals nach Dresden gereist, zuletzt mit seiner Frau Nina. Er sagt: "Ein deutsches Militärmuseum kann nicht nur eine Waffenkammer sein. Es muss der schwierigen Vergangenheit des Landes Rechnung tragen." Schon einmal hat Libeskind den Deutschen die Geschichte gedeutet: Mit dem Jüdischen Museum in Berlin hat er 1999 einen zentralen Ort zur Erinnerung an die Shoah geschaffen.
In Dresden hat Libeskind mitten durch die spätklassizistische Fassade des Arsenals einen 30 Meter hohen Stahl-Glas-Keil getrieben. Sein Neubau ähnelt dem Bug eines Schiffs, der durch einen Eisberg bricht. Er verschont das historische Treppenhaus, durchschneidet das Innere des alten Gebäudes aber radikal. Mächtige Steinsäulen und wuchtige Gewölbe prallen auf schräge, kipplige Betonwände, helle Räume grenzen an gedrungene Ziegelfassaden. Ein Drittel der alten Bausubstanz wurde zerstört.
"Deutsche Geschichte ist nicht schön"
Manche Dresdner empfinden diese Architektur als Zumutung. Als Libeskinds Entwurf in der Stadt vorgestellt wurde, fragten Lokaljournalisten, warum das alte Gebäude nicht bleiben könne, wie es ist. Doch selten schien Libeskinds kompromissloser Stil so angemessen wie hier. Er wollte die Triumphgeste des Kaiserreichs durchbrechen. Libeskind sagt, nur durch einen radikalen Schnitt werde die Architektur dem Anspruch des Museums gerecht, eine neue Perspektive auf den Krieg einzunehmen.
Gorch Pieken fährt mit der Hand über die schrägen Museumswände, die sich gegenseitig im Weg zu stehen scheinen. "Viele sagen: Das alte Gebäude war schön. Ich sage: So ist die deutsche Geschichte nicht. Deutsche Geschichte ist nicht schön." Schon gar nicht die der deutschen Armee: Der Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands, die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust, die Millionen toten deutschen Soldaten - es gibt hierzulande keinen Bedarf mehr an Heroismus.
Schon der Beginn der Schau ist ein Wagnis. In der Eingangshalle, wo früher Panzer und Haubitzen auf Podesten standen, liegt jetzt die Erstausgabe von Clausewitz' "Vom Kriege" aus, verbunden mit Clausewitz-Interpretationen von Politikern wie Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Intellektuellen wie Hans Magnus Enzensberger. Im Hintergrund hat der Videokünstler Charles Sandison die Wörter "Liebe" und "Hass" auf Wände projiziert. Das Museum soll kein "Vitrinen-Depot" sein, sagt Pieken, sondern ein "Erlebnisparcours".
Der Wissenschaftler hat das Museum in zwei Ausstellungen geteilt. Im Altbau erzählt er chronologisch die Geschichte "deutscher Kriege", vom späten Mittelalter bis Afghanistan, mit einem Schwerpunkt im 20. Jahrhundert. Der Neubau ist nach Themen geordnet - "Mode und Militär", "Politik und Gewalt". Die Ausstellungen sind ineinander verwoben: Besucher, die sich für den Treibstoffverbrauch eines Wehrmachtspanzers interessieren, erfahren zugleich, dass das Benzin aus Hydrierwerken kam, darunter auch aus Auschwitz.
Pieken steigt durch das historische Treppenhaus hinauf, bis unters Dach des Neubaus. Im Oktober wird hier ein Aufzug die Gäste ins oberste Stockwerk fahren. Wie das Guggenheim Museum in New York führt das MHM Dresden die Besucher von oben nach unten. Pieken hat die Ausstellungsfläche unter dem Dach dem Thema "Krieg und Gedächtnis" gewidmet. Er ließ dafür die Lage-Baracke aus dem Tom-Cruise-Film "Operation Walküre" über die Hitler-Attentäter des 20. Juli vom Set in Babelsberg nach Dresden schaffen.
Der Boden ist mit Steinen aus Städten ausgelegt, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden: aus Wielun in Polen, Rotterdam, Dresden. Die Spitze des Libeskind-Keils weist auf das Stadion am Ostragehege im Westen der Stadt - dort begann mit dem Abwurf der Zielmarken am 13. Februar 1945 der Luftangriff der Alliierten, bei dem über 35.000 Menschen starben.
Dresdens Doppelrolle als Opfer und Täter im Zweiten Weltkrieg
Dresden ist ein schwieriger, also idealer Ort für dieses Kriegsmuseum. Die Stadt ist ein zu Stein geronnenes Symbol dafür, dass sich auch Deutsche als Opfer des Zweiten Weltkriegs sehen. Zwar waren auch andere deutsche Städte von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg betroffen, bei der Bombardierung Hamburgs im Juli 1943 kamen mehr Menschen ums Leben als in Dresden, doch in keiner ist die Erinnerung daran so präsent. "In Dresden reduziert sich die Kriegsgeschichte auf einen einzigen Tag: Sie beginnt und endet am 13. Februar 1945", sagt der Dresdner Historiker Matthias Neutzner. Jedes Jahr kommen an diesem Tag Neonazis aus ganz Europa nach Dresden und tragen genau dieses Geschichtsbild zur Schau.
Kaum jemand weiß, dass die Nazis in der Stadt acht KZ-Außenlager unterhielten, dass Dresden seit je eine Hochburg der NSDAP war. Die Dresdner leben in dem Selbstverständnis, ihre Heimat sei ein Juwel europäischer Hochkultur. Sie hören nur ungern, dass ihre Stadt im Ausland vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht wird. Die Regierenden haben große Anstrengung darauf verwendet, Dresden wieder so aufzubauen, wie es vor dem Krieg war: Sie haben die Frauenkirche neu errichtet, die Semperoper, die Kunstmuseen Zwinger und Albertinum restauriert. "In den Musennestern wohnt die süße Krankheit gestern", dichtet der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp.
Gorch Pieken glaubt, das Militärmuseum könne Dresden helfen, Jahrzehnte der Selbsttäuschung zu überwinden, das Böse des Krieges zu sehen, aber auch das Böse, das zu diesem Krieg geführt hat: "Die Dresdner vergessen gern, wer den Krieg eigentlich begonnen hat." Pieken hat es sich zur Aufgabe gemacht, in seiner Ausstellung die Doppelrolle Dresdens als Opfer und Täter im Zweiten Weltkrieg herauszuarbeiten.
Er dokumentiert deshalb die Geschichte eines Jungen, der am 13. Februar seine gesamte Familie verloren hat, parallel zum Schicksal Henny Brenners. Die Schriftstellerin gehörte zu den knapp 200 Juden, die kurz vor Kriegsende noch in Dresden wohnten. Wenige Stunden vor dem Bombardement erhielt sie die Nachricht, dass sie in ein Konzentrationslager deportiert werden solle. Der Angriff der Alliierten rettete ihr das Leben.
Pieken führt hinunter in den zweiten Stock. Hier soll das Verhältnis zwischen Militär und Gesellschaft seziert werden, in Kunst, Mode, Sprache, Fotografie. Pieken wird ein Kettenhemd der britischen Designerin Vivienne Westwood ausstellen und die Husaren-Uniform des deutschen Reggae-Sängers Patrice. Außerdem Modelle von Tieren, die für den Krieg missbraucht wurden: Elefanten, Kühe, Hunde.
Und schließlich ein Selbstbildnis Felix Nussbaums. Der jüdische Künstler floh vor den Nazis nach Belgien. Er wusste, dass ihn der Geruch der Farben und des Terpentins in seinem Versteck verraten würden. Dennoch gab er das Malen nicht auf. Er starb in Auschwitz. Sein Gemälde ist ein beklemmendes Dokument Zeitgeschichte. Wie so viele Exponate in dem Museum.
Pieken mutet den Besuchern einiges zu, gerade im ersten Stock, beim Thema Leiden am Krieg. Er arbeitet mit menschlichen Präparaten, wie etwa dem Schädel eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg, der Selbstmord beging. Mit Hilfe von Geruchsproben vermittelt er den Gestank von Verwesung aus Schützengräben. Ein Video zeigt den langsamen Tod einer Katze durch Giftgas. "Wir wollen Gewalt so plastisch wie möglich dokumentieren", sagt Pieken. "Deshalb brauchen wir sprechende Exponate."
Das Museum ist so kompliziert wie die Wirklichkeit
Viele Objekte verblüffen allein deshalb, weil sie niemand in einem Militärmuseum vermuten würde. So sind die aus Zweigen geflochtenen Leitern ausgestellt, mit denen afrikanische Flüchtlinge die Zäune zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden versuchten. Das Dresdner Militärmuseum lehrt am Ende mehr über die Gesellschaft als jede anthropologische Sammlung.
Kurt Tucholsky hatte nach dem Besuch verschiedener Militärmuseen 1926 geschrieben: "Es ist nicht das Richtige. So war es - und so war es doch nicht. Gehen wir so in die Nachwelt ein? Dann gehen wir falsch ein. Es fehlt etwas. Es fehlt: das Grauen, der Jammer, die Niedergedrücktheit, die Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit, der Stumpfsinn, die Atmosphäre von Kollektivwahnsinn."
Pieken hat dem Schmutz des Krieges im Militärmuseum Platz eingeräumt. So wie gelungene Kriegsfilme oft Antikriegsfilme sind, weil sie die Schrecken des Krieges offenlegen, ist das Kriegsmuseum der Bundeswehr ein Antikriegsmuseum.
Es ist damit zugleich ein sehr deutsches Projekt. Wahrscheinlich kann ein deutsches Militärmuseum gar keine bloße Chronologie von Feldzügen schildern. Genauso wenig wie ein deutscher Historiker keine ausschließlich deskriptive Geschichte des Zweiten Weltkriegs schreiben kann.
Ein Loblied auf den Gewaltverzicht singt Pieken dennoch nicht. Der Pazifismus ist keine unschuldige Position. Der unterlassene Krieg kann genauso verwerflich sein wie der Krieg. Die Ausstellung dokumentiert, mit welchem Leid Militäreinsätze verbunden sind, aber sie erklärt auch, dass sie mitunter notwendig sind. Aber sie kann keine Regeln aufstellen, die klären, wann ein Krieg böse ist und wann gut. Das Museum ist so kompliziert wie die Wirklichkeit.
Die Ausstellung soll helfen, die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft zu verbessern, sagt Gorch Pieken. Die Bewohner von Kommeno hat er bereits überzeugt. Sie haben versprochen, ihm die Bibel des mutigen Priesters zu überlassen.