Mode-Ausstellung "Fast Fashion" Shoppen und Jagen
Deutschlands bekannteste YouTuberin Bianca "Bibi" Heinicke in einem Video, nachdem sie ihren Zuschauern gerade ein neues Paar schwarze Schlappen präsentiert hat:"Ich finde irgendwie: Jedes Jahr braucht man ein neues Paar Ballerinas." Vor der Kamera, eingepfercht zwischen zwei fetten Tüten von Primark, wird schon im Kauf der Wegwurf mitgedacht.
"Shopping-Hauls", also selbstproduzierte Videos, in denen junge Menschen wie Heinicke im Internet vor allem neu gekaufte Klamotten und Kosmetik präsentieren, zeugen von der Entwertung von Produkten, die mit massenhaftem Konsum einhergeht.
Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) will diese enthemmte, unachtsame Art des Modekonsums kritisch sezieren: "Fast Fashion" nennt sich das Produktionsprinzip am unteren Ende der Modekette, bei dem jenseits von Haute Couture und Prêt-à-porter massenproduzierte Mode immer billiger in immer kürzeren Rhythmen auf einen an sich gesättigten Markt geworfen wird.
Zwölf Kollektionen pro Jahr
Laut Statistischem Bundesamt nutzen wir rund 40 Prozent unserer Kleidung nicht. Trotzdem bringen große Modeketten inzwischen zwölf Kollektionen pro Jahr auf den Markt.
Dabei startet die Ausstellung beim Konsumenten selbst - so wurden für die Schau etwa extra Haul-Videos produziert -, holt aber insgesamt zu einem Rundumschlag aus, der auch die wirtschaftliche, soziale und ökologische Ausbeutung hinter dem Prinzip "Fast Fashion" beleuchtet.
Sie zeigt Videos der Tierschutzorganisation Peta, in denen Angorakaninchen das Fell ausgerupft wird und die so verzweifelt, ja, schreien, dass es kaum zu ertragen ist. Grafiken sezieren die Schere zwischen gesetzlichem Mindestlohn und Existenzlohn in asiatischen und osteuropäischen Ländern, in denen die meisten Textilwaren hergestellt werden.
Eine Arbeit der Fotografin Susanne Friedel inszeniert die Models wie eine H&M-Anzeige, bricht die Werbeästhetik aber durch Schilderungen über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen.
Das Problem: Der umfangreiche und unbedingt empfehlenswerte Ausstellungskatalog entblättert zwar eine modesoziologische Sichtweise. Die Ausstellung selbst verharrt für sich aber auf der manchmal erschreckenden, aber doch pädagogischen Informationsebene; die Fotos der unterbezahlten Frauen und der gequälten Kaninchen zeigen Missstände auf, die direkt, man kann auch sagen bewusst, an unser schlechtes Gewissen appellieren.
Mit neuen Schuhen belohnen
Dabei ist dem Kaufimpuls ja durchaus etwas Unterbewusstes, Emotionales, schwierig Fassbares inne: Rational wissen wir, dass bei der Produktion eines Shirts, das nur fünf Euro kostet, etwas schiefgelaufen sein muss.
Über die emotionale Bedürftigkeit bekommt uns die Modeindustrie in der Regel trotzdem: Als Ersatzhandlung etwa, wenn wir uns nach einem schrecklichen Arbeitstag mit neuen Schuhen belohnen. In höheren sozialen Schichten auch über die Arbeit an der eigenen Identität; weil in Lebensumständen, in denen alle Grundbedürfnisse gestillt sind und sich traditionelle Bindungen auflösen, Konsum nicht mehr Überlebenssache, sondern Ausdruck eines Lebensstils ist.
In einem solchen Kulturimperialismus bestimmt die Geschichte, die eine Ware erzählt, ihren Wert mit - bin ich ein hipper Adidas-Typ oder doch eher ein Nike-Träger?
Selbst im Haul steckt eine interessante Dialektik: Schon der Name "Haul", also "Beutezug", drückt aus, dass hinter der Übersättigung zutiefst menschliche Urinstikte lauern: Als sehne sich der Mensch im öden Überfluss, der da sein neues Shirt für sieben Euro wie eine Trophäe in die Internetöffentlichkeit hält, auf entfremdete Art doch wieder zurück in andere Zeiten - und zwar gerade, weil er heute nicht mehr jagen muss, um satt zu werden.
Beruhigende Option
Weil solche oder ähnliche, systemimmanente Widersprüche aber ausgespart werden, gelingt es der Ausstellung nicht, ein grundlegend falsches System zu enttarnen. Nach dem Besuch fühlt man sich, als habe man gerade eine gelungene, manchmal erschreckende, aber vor allem informative Dokumentation über Modeproduktion gesehen. Die aufklärt und teilweise berührt. Aber nicht an einem selbst rührt.
Am Ende öffnet sie für den Besucher sogar noch die beruhigende Option, dass ein richtiges Leben im falschen möglich ist: Im kleineren der zwei Ausstellungsräume feiert das Museum optimistisch den mündigen Konsumenten und zeigt "Slow Fashion", also Mode, die mit sozialer und/oder ökologischer Verantwortung hergestellt wurde.
Die Verheißung auf ein gutes Gewissen schimmert hier in bunten Farben; glatte Lachshaut von Fischen aus Biozucht, die als Lederersatz verarbeitet werden kann. Kleider aus Algen und Zellulose, die nicht mit giftigen Chemikalien behandelt wurden; Lederrucksäcke, die in Marokko unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Preisschilder gibt es nicht.
"Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode": Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Noch bis zum 20. September.