Modemacher Margiela Der Klecker-Künstler

Kleider, die bröckeln oder sich selbst bekleckern: Sieht so innovative Mode aus? Im Fall von Martin Margiela schon. Der Couturier betreibt Design als verblüffendes Spiel mit Ideen und Materialien. Eine Münchener Schau feiert ihn als Star einer krisengebeutelten Branche.

"Du sollst nicht kleckern", lautet das allererste Mode-Gebot mit dem wir, kaum den Windeln entwachsen, gegängelt werden. "Ihr sollt kleckern", wird Martin Margiela, 51, bei den Défilés seiner Frühling/Sommer-Kollektion 2006 zu den Models gesagt haben. Jedenfalls schickte er sie in schlichten Kleidern auf den Laufsteg, denen erst Schmuck aus farbigen Eiswürfeln, der langsam tropfend schmolz, das erwünschte Muster aufkleckerte.



Der Belgier Martin Margiela ist der Schelm, der Intellektuelle, der Philosoph und der Künstler unter den Modedesignern. Das zeichnet sich ab, seit die ersten Kollektionen seines 1988 gegründeten Hauses Maison Martin Margiela (MMM) die Modewelt verstörten. Ob man seine vernähten Geistesblitze und geschneiderten Reflexionen unbedingt besitzen und tragen musste, war bisher umstritten.

Hat man aber seine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst gesehen, kann man sie verstehen, die Margiela-Maniacs: die Dame in Los Angeles, die 600 Stücke besitzen soll; die Antwerpener Ärztin, die 40 Ensembles hat, und den Münchner Herrn, der 20 Jacketts und an die 30 weitere Stücke in seinen Schränken hortet.

Kreativ verdreht

Ob es die Schuhe in Paarhuferform sind oder die mit Fotodrucken von sich selbst entfremdeten Kleider - Margielas Mode ist voll gesogen mit Ideen, Umkehrungen des Herkömmlichen und ironischen Brechungen. Vieles erscheint anrührend fragil, denn MMM zelebriert, was die Mode mit ihrem Hang zu Schönheit, Jugend und Perfektion gewöhnlich ausschließt: Verletzbarkeit, Altern und Verfall.

Da sind Pumps, deren Oberfläche ganz aus Klebebändern mit der Warnung "fragile" beklebt sind. Es gibt Jacken, mit weißer Farbe bestrichen, die zu bröckeln beginnt, wenn man sie trägt. Und eine Weste ist aus Riemchen abgetragener Sandalen genäht.

Luxus und Glamour sind ebenfalls Kategorien, die Margiela kritisch aufarbeitet. So ist die Artisanale-Kollektion seine Antwort auf die Haute Couture: Die Objekte bestehen aus billigen Materialien, werden aber aufwendig hergestellt: Hunderte kleiner Papierbällchen sind zu einer Fuchsstola vernäht. Eine Jacke ist komplett aus den Strähnen weißblonder Kunsthaarperücken zusammengesetzt. Die Artisanales sind eine Absage an das Kostbare und zugleich eine Hommage an die Fertigkeiten alter Handwerkskunst.

Bei diesem ironisch-kritischen Verfahren hilft Margiela ein Mann, der seit 2002 das Schicksal des MM-Modehauses entscheidend mitbestimmt: von Renzo Rosso, dem Begründer des Jeanslabels Diesel. Der Unternehmer hat in den letzten Jahren Modemarken wie Dsquared, Viktor & Rolf und eben auch MMM gekauft.

Er erklärt: "Ich mag das Wort Luxus nicht mehr, es gehört der Vergangenheit an. Es ist bourgeois." Aus der Asche des verbrannten Geldes der aktuellen Krise sieht Rosso einen neuen Premium-Markt aufsteigen, der stärker von Innovation, Reflexion und ungewohnten Kommunikationsformen bestimmt ist.

Mit Margiela liegt Rosso da doppelt richtig: Dessen eigenwillige Stilgesten machen auch vor dem Marketing nicht halt. Der Modemacher lässt sich nicht fotografieren. Er tritt nie öffentlich auf - sondern hinter die Produkte zurück. Interviews gibt er nur schriftlich und dann als Verlautbarung des MMM-Teams. Seine Schauen finden oft an betont unglamourösen Orten statt: im Fußballstadion, einem stillgelegten Bahnhof oder einer Bar bei ganz gewöhnlichem Thekenbetrieb.

Vielsagende Anonymität

Und die Models anonymisiert er, indem er ihnen Balken über die Augen heftet oder ihnen hautfarbene Gaze über das Gesicht zieht. Selbst die Labels in den Kleidungstücken tragen keinen Namenszug. Für Eingeweihte aber sind MMM-Stücke sogar von außen zu erkennen: an den vier weißen Stichen, mit denen das Etikett eingeheftet ist.

Aber sollte es da doch Differenzen zwischen dem ehrgeizigen Unternehmer und dem eigensinnigen Designer geben? Die Modewelt jedenfalls hielt für einen Moment den Atem an, als die Mode-Päpstin Suzy Menkes von der "International Herald Tribune" im letzten Jahr Gerüchte streute, Margiela habe die Lust verloren, für sein Haus zu arbeiten.

Schon nach dem Abgang von Designern wie Helmut Lang und Jil Sander konnte man sich eine Weiterführung ihrer Marken nicht recht vorstellen. Bei Margiela aber wäre das fast so undenkbar wie die Idee, Künstler wie Picasso oder Miró hätten ihr Werk von einem Nachfolger vollenden lassen können Doch es blieb beim Gerücht.

Allerdings hat sich der 51-Jährige aus dem Tagesgeschäft etwas zurückgezogen. Er konzentriert sich vor allem auf große Projekte wie ein MMM-Buch, das im Oktober in Italien erscheinen wird, oder die Entwicklung eines Parfums, das 2010 auf den Markt kommen soll.

Erst kürzlich eröffnete an Münchens Maximilianstraße der erste deutsche MMM-Shop. Dass jetzt die Schau im Haus der Kunst gewissermaßen dessen Sortiment adelt, wirkt wie ein Marketingcoup. So inszeniert er sich also, der von Rosso herbei gesehnte neue Premium-Markt, dem Geist über Geld und Glitter geht.


"Maison Martin Margiela 20. Die Ausstellung", Haus der Kunst, München, 20. März bis 1. Juni

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