Modeschöpferin Milla Jovovich "Ein spannender Flirt"
SPIEGEL ONLINE: Frau Jovovich, wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?
Jovovich: In erster Linie geht es mir um Bequemlichkeit ich möchte mich in meinen Kleidern wohlfühlen. Aber ich will auch Akzente setzen: Meine Kleidung soll meine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, ohne dass ich viele Worte machen muss. Und ich mag es, etwas Außergewöhnliches einzuflechten, irgendein kleines Accessoire, das mir das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor kurzem gemeinsam mit Ihrer Model-Kollegin Carmen Hawk ein eigenes Mode-Label gegründet. Welches Fashion-Statement wollen Sie mit Jovovich-Hawk aussenden?
Jovovich: Unsere Kleider werden für intelligente, kreative, starke Frauen gemacht. Sie sollen möglichst viel über eine Frau zum Ausdruck bringen - ein gewisses Drama, einen bestimmten Charakter. Es ist also auf keinen Fall etwas für Leute, die gern unsichtbar wären. Ich glaube, dass jeder Mensch viele verschiedene Figuren beherbergt, und mit unseren Kleidungsstücken kann man sie hervorbringen. Man braucht nicht jeden Tag dieselbe Person zu sein heute fühlst du dich vielleicht romantisch angehaucht, morgen bist du eher in Rock'n'Roll-Stimmung, am Tag darauf bist du zugeknöpft drauf.
SPIEGEL ONLINE: Sie machen auch Kleidung für zugeknöpfte Menschen?
Jovovich: Klar. Wir haben tolle kleine viktorianische Jacken und lange Kleider! Es heißt doch, dass man sich oft im Kontrast dazu kleidet, wie man sich fühlt. Wenn sich also jemand zugeknöpft anzieht, ist er vielleicht insgeheim verrückt. Umgekehrt gilt: Viele Leute, die sich sehr auffällig kleiden, sind in Wahrheit ziemlich verklemmt.
SPIEGEL ONLINE: Aha. Also muss man immer alles anders herum denken. Wie ist es denn bei Ihnen?
Jovovich: Ich muss nicht im Spaghettitop und Minirock herumlaufen, um mich sexy zu fühlen im Gegenteil: Wenn ich mich konservativ kleide, kann ich mich umso aufregender fühlen. Nur ich weiß ja, wie ich drauf bin, und das macht die Sache sehr reizvoll. Statt meine Stimmung mit extravaganter Kleidung an die große Glocke zu hängen, kann ich sie auch in meiner Persönlichkeit durchblicken lassen. Ich finde es wahnsinnig attraktiv, wenn man nicht dauernd alles zeigt, wenn man sich nicht genauso kleidet, wie man sich fühlt, sondern die Dinge ein wenig bricht.
SPIEGEL ONLINE: Heißt das, jeder Kleidungsstil kann sexy wirken?
Jovovich: Zu allererst musst du dich selbst sexy finden. Alles fängt damit an, wie du selbst dich fühlst. Was du dazu anziehst, verleiht dem Ganzen sozusagen das i-Tüpfelchen. Man kann sich so sexy anziehen wie es nur geht, aber wenn man sich nicht attraktiv fühlt, kommt man einfach nicht sexy rüber.
SPIEGEL ONLINE: Welches Stück in Ihrer aktuellen Herbst/Winter-Kollektion würden Sie denn als das aufregendste bezeichnen?
Jovovich: Schwer zu sagen. Ich finde eigentlich alle unsere Stücke sehr sexy, das ist ein zentrales Anliegen unserer Entwürfe. Aber es kommt natürlich darauf an, was man unter sexy versteht. Wir entsprechen da nicht so sehr dem Standard, der besagt, dass es darum geht, so viel Haut wie möglich zu zeigen. Bei uns dreht sich alles darum, wie man sich fühlt, wie man sich bewegt, wie man ein Stück trägt.
SPIEGEL ONLINE: Was inspiriert Sie?
Jovovich: Alles! Es kann ein Gemälde sein, ein Film, ein Musikstück, ein Geschichtsbuch oder eine Strophe in einem Gedicht alles, was die verschiedenen Facetten eines Menschen zum Ausdruck bringt. Wir fragen uns bei jedem Stück, welche Aspekte einer Frau wir damit betonen wollen: Aufregend oder entspannt? Eher Hippie, oder lieber Country? Die sexy Sekretärin, die Prinzessin, oder die viktorianische Schullehrerin oder die Domina oder eine Kombination all dieser Dinge zugleich? Für mich sind Kleider so, als würde man verschiedene Figuren spielen.
SPIEGEL ONLINE: Was reizt Sie gerade am viktorianischen Stil?
Jovovich: Ich glaube, dass in einem Zeitalter, in dem Frauen sich sehr hochgeschlossen kleideten, viel Romantik und Magie unter der Oberfläche köchelten. Diese verhüllte, negierte Sexualität ist für mich eine sehr aufregende Sache, die sich vor allem um Verlangen dreht, um den Wunsch nach mehr von etwas, dass nicht dauernd und überall zur Verfügung steht. Ich finde Frauen faszinierend, die sehr steif und ordentlich gekleidet sind, aber unter all der korrekten Erscheinung wahre Frauen sind.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Jovovich: Ich mag den Kontrast zwischen dem, was man zeigt und was man spürt. Diesen Stil auf moderne Frauen zu übertragen, ist aufregend, es ist wie ein spannender Flirt. Außerdem mag ich die liebevollen Details und Facetten dieses Kleidungsstils, die Borten und die Schleifen, die Spitzenbesätze und Plissees. In unserer super-dekonstruierten Gesellschaft finde ich solche Elemente wunderschön und von Magie beseelt.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es für Sie so etwas wie einen modischen Fauxpas?
Jovovich: Für mich ist Wohlfühlen die oberste Regel. Aber ich achte auf viele Dinge, wenn ich mich anziehe zum Beispiel würde ich ein langes Kleid vermutlich mit einem kleinen Top kombinieren, und umgekehrt eine große Bluse mit einem Minirock. Ich finde das ästhetisch angenehm, weil es weder alles bedeckt oder alles zeigt. Klein-klein und groß-groß geht erfahrungsgemäß nicht so gut. Aber bei Mode geht es auch um den Mut, Fehler zu machen, und um einen Sinn für Humor man muss über sich selbst lachen können.
SPIEGEL ONLINE: Die größte Größe, die man bei Fred Segal in Los Angeles von Ihren Kleidern anbietet, ist eine 38. Es heißt in der Modeindustrie gern, dass Kleider auf dünnen Körpern schöner fallen. Stimmen Sie zu?
Jovovich: Ich finde, dass Frauen aus Ihrem persönlichen Körpertyp das Beste machen sollten. Für mich geht es weniger um das Gewicht, ob man nun "dünn" oder "dick" ist beides ist ja nicht gut. Ich glaube, wenn man sich gut ernährt, sieht man gut aus, weil man dann einfach gesund ist.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es mit Männern und Stil es scheint da eigentlich nur zwei Fraktionen zu geben, die überstylten und die Jeans-und-T-Shirt-Träger. Wie stehen Sie dazu?
Jovovich: Ich finde, dass man als Frau ein bisschen helfen muss mir ist die zweite Variante lieber. Jeans und T-Shirt sind toll für den Alltag, und bei der Auswahl von Jacken und Schuhen und dergleichen kann man seinem Freund ja ein wenig zur Seite stehen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind mit dem Regisseur Paul W. Anderson verlobt. Haben Sie Ihr Hochzeitskleid bereits entworfen?
Jovovich: Das mache ich, sobald ich die Zeit finde! Nach dem Gesetz sind wir eh so gut wie Mann und Frau, weil wir schon seit einer ganzen Weile zusammen leben.
SPIEGEL ONLINE: Ist Paul der Jeans- und T-Shirt-Typ?
Jovovich: Ja, völlig, und er verlässt sich im Hinblick auf seine schickeren Klamotten total auf mich. Gott sei Dank! Wenn er der Modeberater in unserer Beziehung wäre, müsste ich mir wohl ein bisschen Sorgen machen.
SPIEGEL ONLINE: Warum denn das?
Jovovich: Na ja, die meisten Männer mit einem gut entwickelten Stilbewusstsein sind halt schwul. Also ist's mir lieber, dass ich jemanden habe, der in Sachen Mode ein bisschen Nachhilfe braucht.
Das Interview führte Nina Rehfeld