Mohrs Deutschlandgefühl Zeit fürs neue Fräuleinwunder
Zwei freie Tage! Heute und morgen haben wir WM-frei und können machen, was wir wollen.
Aber es ist schon komisch, so plötzlich aus dem eingespielten Rhythmus Aufstehen, Kolumne schreiben, Besorgungen machen, Fußball gucken, Essen, Trinken und Schlafen herausgerissen zu werden.
Natürlich kommt auch hier wieder Rat aus berufenem Munde: "Das ist die passende Gelegenheit, aufs Beziehungskonto einzuzahlen", rät der Psychologe Christoph Kröger von der TU Braunschweig. "Die Männer sollten überlegen, wie sie ihren Frauen wieder Genuss und Liebe vermitteln können. Wobei Zärtlichkeiten oder eine Massage wirkungsvoller sind als ein Blumenstrauß."
Massagen? Blumensträuße? Und was ist mit dem guten Gespräch zwischen Mann und Frau?
Einfacher haben es da die deutschen Bierbrauereien. Sie zählen erst mal zusammen: Der Fassbierabsatz hat sich um bis zu 40 Prozent erhöht und das, obwohl die Schweden ihren Met aus Elchhorn längst wieder zu Hause trinken. Inzwischen muss schon rund um die Uhr gebraut werden, um deutsche Kehlen gnädig zu stimmen.
Wie stark der Klinsi-"Spirit" aufs gemeine Volk übergegriffen hat, zeigt dieses klassische Reiz-Reaktionsschema: Jedes Mal, wenn die deutsche Mannschaft gewinnt, steigt der Bierverbrauch um 10 Prozent. Auch hier sehen wir wieder beste deutsche Tradition am Werke: Wir sind eine Turniertrinkergemeinschaft. Wenn wir gefordert werden, steigern wir uns.
Dass jetzt schon wieder die Ärzte streiken, passt wie Pulsmesser auf Klinsimeter: Wer will denn ausgerechnet jetzt, da sogar viele Holländer (zugegeben: ersatzweise) dem deutschen Team die Daumen drücken, seine Leberwerte untersuchen lassen?
Viel wichtiger ist es doch, dass wir in den nächsten zwei Tagen ein bisschen durchatmen und aufräumen, innen wie außen: den arg strapazierten Flaggensatz säubern, Leergut entsorgen, mal wieder Obst essen und Wasser, ja Wasser (!) trinken und, nach all der schwarzrotgoldenen Schminkerei, ein gepflegtes Hautpeeling absolvieren.
Man wird ja auch nicht jünger, und wir wollen nicht erst auf die neueste Alarmmeldung der "Stiftung Warentest" warten, die vor den gesundheitsschädlichen Nationalfarben warnt, Überschrift: "Zuviel Patriotismus schadet ihrer Haut!"
Apropos, auch das gehört zu einer Zwischenbilanz vor den letzten sieben Spielen dieser Fußballweltmeisterschaft: das neue deutsche Fräuleinwunder.
Die Jüngeren werden sich nicht mehr erinnern, aber vor sechzig Jahren gab es das schon einmal: 1945/46, nach dem Krieg. Damals fuhren amerikanische und britische Soldaten in ihren Militärjeeps durch die in Trümmern liegenden deutschen Städte, verteilten Kaugummis an Kinder und staunten über blonde deutsche Fräuleins, die zwischen den ausgebrannten Häuserruinen herumliefen, manche sogar in Nylonstrümpfen. Die hatten sie allerdings meist von amerikanischen Soldaten, die im Jeep davor saßen.
Heute laufen die Mädchen und jungen Frauen zwischen Pappbecherbergen und Großbildschirmen herum, sind aber ein nicht weniger auffälliges, schönes Fräuleinwunder.
Die eherne Geschlechtertrennung, die früher mit dem Kampf zwischen "Sportschau" vs. "Daktari" komplett beschrieben war, hat sich endgültig aufgelöst.
Im neuen deutschen Fußballfräuleinwunder vollzieht sich das "Gender Mainstreaming" wie von selbst.
Nur das unvermeidliche "Oléoléolé!", Parolen wie "Ohne Holland fahr'n wir nach Berlin!" und ähnliche Schlachtrufe klingen immer noch eher wie aus dem Menschenaffenkäfig.
Aber wir wollen uns auch nicht überfordern, schon gar nicht die männlichen Fans.
Die Zivilisation ist ein langer und windungsreicher Prozess.
Für heute begnügen wir uns mit dem salomonischen Rat des Braunschweiger Psychologen:
"Wichtig ist, dass Paare etwas gemeinsam machen. Das kann auch Fußball sein."
Muss aber nicht.
Den deutschen Fräuleins fällt da schon was ein.
Franziska von Almsick zum Beispiel ist schwanger geworden.
Schon deshalb bleibt der Klinsimeter bei zehn Punkten.
Bis morgen und Glück auf, Deutschland!