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Jelinek zum NSU: In schlechter Verfassung

Foto: Julian Röder/ Ostkreuz

Jelinek zum NSU Schreiben ist Gold

Die Angeklagte Beate Zschäpe schweigt - und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt, schreibt, schreibt. In ihrem neuen Stück "Das schweigende Mädchen" versucht sie, dem rechten NSU-Terror auf die Schliche zu kommen.

Stefan Hunstein steht auf, aus dem Publikum heraus, und poltert drauf los, von null auf hundert. Setzt sich, steht auf, poltert weiter. Setzt sich, steht auf, poltert weiter. Und noch einmal. Und noch einmal. Es ist eine starke Eröffnungsszene des NSU-Stücks "Das schweigende Mädchen" an den Münchner Kammerspielen, denn so wie den Schauspieler Hunstein muss man sich die Autorin des Abends wohl vorstellen: Elfriede Jelinek verfolgt den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München als Zuschauerin, vermittelt über die Medien, so wie die meisten von uns, aber sie hält nichts auf ihrem Zuschauerplatz. Sie kann nicht an sich halten.

Seit Mai 2013 läuft der Prozess, in dem die Mordserie des rechtsextremen Terrortrios aufgeklärt werden soll, aber seit Mai 2013 verweigert die Hauptangeklagte die Aussage. Uwe Böhnhardt ist tot, Uwe Mundlos ist tot, und Beate Zschäpe schweigt. Das schafft Raum für Spekulationen, für Imaginationen, für Assoziationen. Viel Raum also für die Spekulations- und Imaginations- und Assoziationsmaschine Jelinek.

"Im Jenseits sind wir alle Emigranten"

Zschäpe schweigt - und Jelinek schreibt, schreibt, schreibt, insgesamt 224 Seiten lang. Mal kalauernd, etwa über das Mädchen, das "den Haushalt in Schuss" hält, während die Schüsse woanders fallen, oder den Verfassungsschützer, der "in keiner guten Verfassung" ist, "der nicht schützt, aber immerhin auch nicht der Schütze ist". Mal hintersinnig, etwa über die fehlende Notwendigkeit allen Tötens, "denn die Menschen sterben sowieso, wenn man nur etwas Geduld mit ihnen hat". Mal scharfsinnig: "Im Jenseits sind wir alle Emigranten, dort ist jeder neu und muss seinen Platz erst finden". Und immer wieder auch bitterernst, etwa über die Exportnation Deutschland, die so viele Waren wie möglich raus in die Welt schickt, aber so wenig Menschen wie möglich aus der Welt rein ins Land lässt.

Es gibt in Jelineks Text keine klassischen Figuren, natürlich nicht, es gibt keine klassischen Dialoge, keine klassische Handlung, aber wenn es so etwas wie einen Ort des Geschehens gibt, dann ist es ein Gerichtssaal. Sie montiert Prozessprotokolle und Bibelstellen, lässt neben einem Richter auch Engel und Propheten auftreten, blendet den NSU-Prozess und das Jüngste Gericht ineinander, imaginiert die Angeklagte Zschäpe als Jungfrau Maria, die zwei Erlöser geboren hat - Böhnhardt und Mundlos.

Man muss das nicht verstehen, eventuell kann man es auch gar nicht völlig verstehen, denn Jelinek kreist in ihrem Stück um ihre eigene Ratlosigkeit. Sie überdeckt schwadronierend die Lücke, die das Schweigen Zschäpes aufgerissen hat, aber sie füllt diese Lücke nicht. Wie denn auch? Und so liegt die Kernbotschaft eventuell in ihrem Gestus: in der Verzweiflung, mit der sie Sinn herzustellen versucht. Es muss doch eine Erklärung geben für das Unerklärliche!

Dabei geht Jelinek immer wieder, mal mehr und mal weniger direkt, mit sich selbst ins Gericht - mit der soziophoben Autorin also, die nie in München im Gerichtssaal war und den Prozess nur über die von ihr so gescholtenen Medien verfolgt. Zum Beispiel so: "Ich weiß nichts, aber ich schreibe, ich erfahre nichts, aber ich schreibe, ich fahre nirgends hin, nicht einmal mit einem Rad, wie könnte ich irgendetwas wissen, aber ich schreibe". Oder so: "Mir dürften sie es nicht glauben, denn ich habe es selbst nur gelesen, ich habe keine Ahnung". Oder so: "Sie merken schon, dass ich nichts weiß und nur so daherrede, eine Spaziergängerin der Sprache".

Mit dem Regiefuß auf der Bremse

Zum Schweigen bringt sie so schnell niemand, könnte man meinen, aber dann endet Stefan Hunsteins Dampfplauder-Prolog im Parkett - und Jelineks Worte geraten in den Kammerspielen merkwürdig ins Stocken. Johan Simons, der seine letzte Spielzeit als Münchner Intendant mit der Uraufführung eröffnet, tritt kräftig auf die Bremse, wieso auch immer, und nimmt seinen Regisseursfuß knapp zwei Stunden lang nicht mehr runter. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Tobias Staab hat er das Stück nicht nur von 224 dicht beschriebenen auf 42 luftig gesetzte Seiten gekürzt. Nein, er versagt ihm auch die szenische Umsetzung.

Das Bühnenbild von Muriel Gerstner - ein Spielfeld, angelehnt an die rechtsextreme Monopoly-Variante "Pogromly" - wird so gut wie nicht bespielt, sondern steht ungenutzt im Hintergrund herum. Die Schauspieler sitzen an der Bühnenrampe und lesen den Text von Notenständern ab, oft in einem getragenen Ton, sie zerdehnen das Textgerippe wieder, oft in einer Art Singsang, begleitet und vor allem unterbrochen von bedrohlicher Musik. Aus einem Hochenergie-Stück wird ein lähmend langsames Oratorium.

Dem Abend ist die Ratlosigkeit ob der Morde eingeschrieben, so wie auch Jelineks Stück, aber diese Ratlosigkeit transportiert sich auf denkbar unterschiedliche Art: Jelinek schreibt und schreibt und schreibt, wie besessen, um wenigstens das Schweigen zu vertreiben, wenn schon nicht die rechten Schlächter. Simons holt das Schweigen in den Stoff zurück.


Elfriede Jelinek: "Das schweigende Mädchen". Uraufführungsinszenierung von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen . Nächste Vorstellungen 2., 8. und 19. Oktober. Karten unter Telefon 089 / 233 966 00. Mehr zum Stück 

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