Museumseröffnung Liebermanns grünes Gefängnis
Berlin - Auf dem Wannsee drängen sich die Jollen, ein kalter Wind bläst in die weißen Segel. Langsam treiben sie am Garten der Colomierstraße 3 vorbei. Eine knorrige Kastanie beugt sich über den grünen Rasen, das einzige Monument vergangener Zeiten. Die weißen Sitzbänke sind Kopien, der Brunnen mit der Otterskulptur ein Nachguss. Auch die Ansammlung schmaler Birkenstämme wurzelt noch nicht lange hier. Fast alles ist neu in diesem Garten. Damit fast alles bald wieder so ist wie damals.
Damals, als der Maler Max Liebermann in der Villa "wirkte und wohnte", wie es im Giebel gemeißelt steht. 1910 zog er in die schlichte Villa draußen am Wannsee: Zunächst war sie nur ein Refugium vor dem hektischen Stadtleben; später der einzige Ort, an dem der jüdische Maler noch arbeiten konnte, ohne von den Nationalsozialisten ganz eingeschränkt zu werden. Mehr als 70 Jahre nach seinem Tod ist sein Haus mit den dazugehörigen Gärten nun am Wochenende als als Museum eröffnet worden.
Der Andrang ist groß: Mehr als eine halbe Stunde müssen Besucher für eine Karte anstehen. Die Menschenschlange windet sich aus dem ehemaligen Gartenhäuschen, das nun als Kasse und Museumsladen in einem funktioniert. 2,8 Millionen Euro hat die Max-Liebermann-Gesellschaft für die Renovierung von Haus und Garten aufgebracht und den schlichten Stil des Malers wiederhergestellt. Im Gegensatz zu manchem Prunkschlösschen in der Villengegend im Westen Berlins ist das Haus recht einfach: beige die Fassade, lindgrün die Fensterläden. Ohne Erker oder Türmchen. Selbst die zwei monumentalen, grauen Säulen fallen kaum auf.
Genauso ist es innen: Alles strahlt schlicht. Trotz des Cafes im ehemaligen Wohnzimmer bleibt der Charme des frühen 20. Jahrhunderts erhalten. Durch das original Eichenparkett, die lindgrüne Tapete sowie Ahorn- und Kirschpanele. An den Wänden in der Diele hängen Fotos, als hätte Max Liebermann sie selbst aufgehängt: Der Maler am See, die Familie vor dem Kamin.
Ein Meer rauschendes Grün
200 Mal hat Max Liebermann seinen geliebten Garten gezeichnet, ein paar dutzend Bilder sind im ersten, weißgetünchten Stock des Hauses ausgestellt. Die Gemüsebeete seines Vorgarten malt er als ein Meer rauschendes Grün, durchsetzt mit satten Gelb- und Blautönen; Blumen, die sein Gartenhaus umwuchern, schillern in gelb, rot und altrosa. Mehrere tausend Quadratmeter architektonisch geordnetes, aber üppiges Grün. Viele Motive zeichnet er über die Jahre hinweg immer neu aus einem anderen Blickwinkel, mit einer anderen Technik. Allein die Birkenallee in seinem Garten ist in sechs verschiedenen Versionen ausgestellt, mal prachtvoll in Öl, mal mit harschen, schwarzen Strichen der Kaltnadeltechnik.
Diese Gemälde dokumentieren einerseits seine Hinwendung zum Impressionismus. Zusammen mit Lovis Corinth und Max Slevogt gilt er als der führende Vertreter dieser Stilrichtung. In den 1890er Jahren wendet er sich immer mehr den üblichen Motiven des Arbeiterlebens ab und bildet stattdessen das bürgerliche Leben ab: ein Ausflugscafe am Berliner Nikolaussee zum Beispiel, wie die Sonntagsgesellschaft in Kaisers Uniform oder weißen Kleidern im Schatten einer Weide weilt.
Doch die Bilder zeigen andererseits die kleine Welt, in die Liebermann durch die radikalen Wechsel der deutschen Politik gepfercht wird. Die üblichen Reisen nach Holland, seiner "Mal-Heimat", kann er mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs nicht mehr unternehmen; von da an verlässt er seine Heimatstadt Berlin nicht mehr. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden seine Bewegungsmöglichkeiten vollständig eingeschränkt - und damit auch seine Motive. Neben seinem Garten zeichnet er immer wieder die Familie, seine Tochter Käthe oder Enkelin Maria. So idyllisch seine Umgebung scheinen mag, die letzten Jahre seines Leben hat er keine Wahl, außer sich in seine Villa zurückzuziehen. 1933 gibt er gezwungenermaßen sein Präsidentenamt an der Akademie der Künste auf. Als Jude wird er nur geschmäht und verdrängt. Am 8. Februar 1935 stirbt Max Liebermann verbittert. Zu seiner Beerdigung kommen nur noch enge Freunde, das Berliner Bürgertum bleibt feige zu Haus.
Streit um ein Teil des Grundstücks
Danach beginnt die Tragödie um die Villa und damit sein Vermächtnis: Die Nationalsozialisten enteignen seine Frau Martha; später muss sie auch seine Wohnung im Zentrum, am Pariser Platz, abgeben. Die Nazis treiben die Witwe schließlich in den Tod. Zum Kriegsende hin wird das Künstlerhaus als Lazarett genutzt. Die Spuren wurden glücklicherweise erhalten: In die Wände des Treppenhauses sind Mulden gehauen, damit die Krankentragen um die Ecke kommen. Auch die nächsten zwanzig Jahre wird die Villa weiterhin als Krankenhaus genutzt.
Der Garten liegt zu diesem Zeitpunkt fast vollständig brach. Zumindest die Villa ist noch gut erhalten. 1972 jedoch unterschreibt der Deutsche Unterwasser Club einen Mietvertrag für die nächsten 30 Jahre und beginnt mit Umarbeiten. Schon damals gibt es mahnende Stimmen, die Villa im Sinne Liebermanns zu nutzen. Doch sie verhallen ungehört. Die Stadt Berlin, die das Gebäude mittlerweile von den Erben Liebermanns übernommen hat, vermietet lieber.
Nach einem erneut abgeschlossenen Mietvertrag für den Sportverein 2003 und vielen Streitereien wird das Haus schließlich doch für das Museum geräumt. Aber damit sind die Querelen längst nicht vorbei: Der Wassersportklub "Klare Lanke" hat einen Teil des Gartens gemietet und benutzt ihn nun als Zugang zum Wannsee. Diese Parzelle wäre aber nötig, um die Heckengärten - einen zentralen Teil des Gartens - wiederherzustellen. Doch die Gesellschaft und der Sportklub konnten sich bislang nicht einigen. Nun muss das zuständige Bezirksamt vermitteln.
Dabei könnte alles so schnell gehen: Ein kleiner Bagger steht im Garten bereit, Buchsbäume warten in Paletten-großen Kisten darauf, eingepflanzt zu werden. Im Vorgarten gedeihen die Pflanzen schon: Rhababerstauden und Kohlrabi, Schnittlauch und Minze wachsen - so, wie Max Liebermann es wollte.