
Flüchtlings-Musical "Traiskirchen": Spaßiger Ernst
Wiener Festwochen Wo der Stöckelschuh drückt
Vor gut einem Jahr stürmten Mitglieder der rechtsextremen österreichischen Identitären Bewegung die Wiener Universität und störten lautstark die Aufführung von Elfriede Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen". Ziel der Randalierer war aber nicht unbedingt die Kunst, vielmehr das Schauspieler-Ensemble: es bestand aus Flüchtlingen, die in dem Lager Traiskirchen, wenige Kilometer vor der Hauptstadt, lebten. Damals kam es zu Handgreiflichkeiten, die etwa 30 Angreifer verspritzten Kunstblut und warfen Flugblätter unter die 700 Zuschauer, auf denen "Multikulti tötet" stand.
Schutzbefohlene also spielten "Die Schutzbefohlenen" - und wie in der Literatur, so auch im richtigen Leben: Der brave österreichische Bürger fühlte sich bedroht und herausgefordert und reagierte reaktionär.
Organisiert und inszeniert hatte den etwas anderen Jelinek-Abend im April 2016 das Wiener Künstlerkollektiv "Die Schweigende Mehrheit", das aus Aktivisten besteht, die nicht um den heißen Brei herumdiskutieren wollen, sondern vor Ort und konkret zur Tat schreiten. Wer könnte besser über Fluchtursachen und Fluchterlebnisse berichten als die Betroffenen selber? Während in Deutschland noch heftig darüber diskutiert wurde, ob es legitim ist, Asylbewerber auf der Bühne "vorzuführen", wurde in Österreich der Text lebendig und Frauen und Männer aus Afghanistan, Syrien oder Afrika spielten ihn ganz einfach als ihre eigene Geschichte. Und sicher war es das, dieses Unmittelbare, Authentische, was die Gegner herausforderte.
Nach dem gleichen Muster hat "Die Schweigende Mehrheit" weiter an dem Thema gearbeitet, ist einen Schritt weiter gegangen und hinein in den Alltag der Schutzbefohlenen, die nun schon geraume Zeit am Rand der Gesellschaft leben und längst noch nicht in ihr angekommen sind. Nachrichten aus den Flüchtlingsheimen, um die es eigentlich ruhig geworden ist, erreichen uns heute nur noch, wenn es um Gewalt dort geht oder wenn aufgedeckt wird, dass irgendein Selbstmordattentäter lange unbehelligt unter Asylbewerbern lebte.

Flüchtlings-Musical "Traiskirchen": Spaßiger Ernst
Das von Tina Leisch und Bernhard Dechant als Musical verpackte und im Rahmen der Wiener Festwochen im Volkstheater uraufgeführte Stück "Traiskirchen" erzählt von einer Art Parallelwelt, in der mit Mühe und in Not existiert werden muss, weil es sonst keine Möglichkeiten und Rechte für die Flüchtlinge gibt. Traiskirchen ist da ein eher trauriges Beispiel: Von katastrophalen Wohnverhältnissen und unzumutbaren hygienischen Zuständen wurde berichtet, von schwelenden Konflikten unter den Bewohnern wegen unterschiedlicher religiöser oder ideologischer Anschauungen, von sexuellen Übergriffen - ein soziales Desaster vor der noblen Wiener Haustür. Österreichische Bürger aber gingen auf die Barrikaden, weil sie vor lauter Fremden ihr eigenes Land nicht mehr sehen konnten, und die Innenministerin stritt publikumswirksam und mit Unschuldsmiene alle Missstände ab.
Doch die gab und gibt es. Und sie kommen alle in diesem mit ungeheurer Spiel- und (Über-) Lebensfreude performten Werk zu Sprache und Gesang. Da sind die kleinen Streitigkeiten unter Menschen, die sich den engsten Raum teilen müssen; da sind die zynischen "Wärter" (die die Emigranten nur "Waiter" nennen), die ihren Job machen und Menschen wie Stückgut behandeln; Erinnerungen an grausame Kriegserlebnisse, das zufällige Zusammentreffen von Opfern und Tätern, Fanatismus gehören ebenso zur Lager-Normalität wie das Begreifen des gemeinsamen Schicksals, das Verbünden gegen die Außenwelt, sogar die Liebe zwischen zwei Menschen, die sich tatsächlich ohne die Gewalt und Vertreibung nie kennengelernt hätten. Es sind kleine, leise Geschichten, komische, traurige, immer sehr wahre, anrührende und ehrliche - doch vor den Toren des Lagers wartet die Realität, die keine Zukunft bereithält: "Wir hatten gewusst, dass wir viel riskieren, aber nicht wie viel."
Zu dieser Wirklichkeit gehört schließlich auch das "Volk", stramme Nationalisten und blinde Verführte, die Parolen nachplappern, und sie fordern für sich Ruhe und für die Fremden das Schlimmste; auch eigentlich Besonnene gibt es, die sich Sorgen um Identitäten machen und gar nicht merken, wie sich rassistische Untertöne gefährlich in ihre ausgewogene Argumentation schleichen.
Und immer wieder er natürlich: der Gutmensch. Mit Herz und Schmäh ist er stets am rechten Fleck und Ort. Noch bevor überhaupt ein Flüchtling deutschen Boden betrat, war ja über ihn schon die österreichische Welle der Hilfsbereitschaft geschwappt. Ganze Heere von Freiwilligen versorgten an den Grenzen oder am Wiener Westbahnhof die Orientierungslosen, überschütteten sie mit Anteilnahme und guten Gaben und Teddybären. Über diese Willkommenskulturträger, die ziemlich verschwunden sind aus der Öffentlichkeit, macht sich "Traiskirchen" mit großer Lust lustig. Da werden mit aufmunternden Worten bedruckte T-Shirts verteilt und eine Charity-Lady schleppt Stöckelschuhe an für Frauen, die gerade noch mit fast nichts am Leib über aufgeweichte Äcker im Balkan mühsam gestapft sind - aber wenn ein Mann schüchtern nach einem Neccessaire fragt, weil ihm am großen Zeh der Nagel abgebrochen ist, müssen die rührigen Helfer passen, weil sie das wirklich Notwendige nicht im Präsentkorb haben.
Solcherart sind die Späße mit ernsthaftem Hintergrund, die von den knapp 50 Profis und Laien (die Hälfte davon hat Traiskirchen-Erfahrung) aus aller Herren Kriegsländer in handfesten Sketchen oder als Lieder (ein wilder Musik-Mix aus orientalischen Klängen, Rock, Rap und süßem Musical-Schmelz) gegeben, gesungen und getanzt werden. Natürlich klappert da manchmal auch das Klischee, und wenn das politische Sendungsbewusstsein anschwillt, dann gerät das Ganze auch etwas plump und allzu populär. Alles muss da noch schnell zwischen zwei, drei ebenso überflüssigen Choreografien abgehakt werden: Waffenhandel und Schlepper, das lukrative Geschäft mit den Flüchtlingen und die Versäumnisse der Regierung ("Je unattraktiver Österreich ist, desto weniger müssen wir abschieben"), Konsumgeilheit und radikaler Islamismus...
Wirklich stark, motiviert, mit saftiger Ironie die Ruhe und Gleichgültigkeit störend und die Obergrenze der Doppelmoral schleifend ist das Musical "Traiskirchen" aber da, wo es einfach von den richtigen Menschen und ihren falsch gelaufenen Leben erzählt, die uns nicht mehr interessieren. Traiskirchen aber könnte auch eine Chance für Verständnis und Verständigung sein, denn es ist "wie eine internationale Zeitung in Österreich," sagt einer der Schauspieler, der Syrer Johnny Mhanna. "Es gibt dort Nachrichten aus der ganzen Welt aus der Hand derer, die sie selber erlebt haben. Ein kleiner Platz in Österreich, an dem die großen Konflikte aufeinandertreffen."
"Traiskirchen". Das Musical. Wiener Festwochen . Volkstheater, nächste Vorstellungen am 15. und 17. Juni.