Nach dem Terror-Schock Stars werben für New York

Nur langsam kehren Glamour und Normalität in den Entertainment-Alltag der erschütterten Metropole New York zurück. Etliche Hollywood-Pendler bleiben aus Angst an der Westküste, durch den Tourismus-Rückgang finden viele Film- und Theater-Studenten keinen Nebenjob. New Yorker Stars wie Robert de Niro und Woody Allen werben daher mit liebevollen Aktionen für "ihre" Stadt.
Von Helmut Sorge

Der 11. September hat nicht nur in der Bausubstanz der Stadt und den Seelen der Menschen tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch im sensiblen Entertainment-Gefüge Amerikas. Nachdem die ersten patriotischen Reaktionen, "God Bless America" auf allen Bühnen und Fernseh-Kanälen, verhallt waren, ließ so mancher Star dieselbe Unsicherheit und Angst erkennen, die Millionen anderen (Normal-)Bürgern seit den Terroranschlägen in den Knochen steckt. Viele Hollywood-Bewohner weigerten sich, die fünf Stunden Flug von L.A. nach New York zu wagen, um mit einem Fünf-Minuten-Auftritt in einer Talk-Show für ihren neuesten Film zu werben.

Auch die New Yorker hatten Angst vorm Fliegen: Etwa ein Drittel der für die "Emmy"-Ehrung vorgesehenen TV-Persönlichkeiten sagten im vergangenen Winter ihren Auftritt in L.A. ab. "Wir danken allen den von uns so geliebten Fernsehstars dafür, dass sie nicht gekommen sind", ätzte Moderatorin Ellen DeGeneres damals. Für die kürzlich verliehenen "Golden Globes" lächelten die Stars auf dem roten Teppich zwar fast schon wieder wie gewohnt - nur die Scharfschützen der Polizei, die auf, über, unter, neben der Bühne und im Beverly Hilton Hotel wachten, waren ein Indiz für die angespannte Stimmung. Die Erinnerung an das Drama verblasst zusehends, und auch New York, so scheint es, verarbeitet allmählich sein Trauma. Es darf wieder geflucht, gedrängelt und gefeiert werden, Auch Touristen reisen wieder an, ein wenig verängstigt vielleicht, aber neugierig wie eh, und auch die Scheinwerfer leuchten wieder zaghaft die Skyline aus. Doch von der Normalität ist die Entertainment-Metropole und Filmstadt New York noch weit entfernt.

Das eine New York, notierte der Autor James Sanders in seinem eben veröffentlichten Werk "Celluloid Skyline" (in dem er die Geschichte New Yorks als Filmstadt nachzeichnet) sei die Mega-Metropole, die Multi-Millionen-Stadt, die andere sei das mystische, mythische Gebilde, die von Hollywood kreierte und global verklärt vermarktete Traumstadt. Kein Zufall, schon die aus Manhattan angereisten Gründer der Hollywood-Studios, die Drehbuchautoren aus New York, die in Kalifornien ihre Phantasien aufschrieben, konnten von ihrer Heimatstadt nicht lassen - von 135 Feature-Filmen, die 1934 in Hollywood produziert wurden, recherchierte Autor Sanders, spielten 37 in New York. King Kong, der Über-Affe, Superman, der Überflieger, erschreckten oder retteten Manhattan, der weiße Rock von Marilyn Monroe hob sich über einem Luftschacht der New Yorker Subway, Marlon Brando trat als Docker in "Die Faust im Nacken" gegen die Mafia an.

"Westside Story", "Taxi-Driver", "Manhattan", "Midnight Cowboy", "Smoke", "Frühstück bei Tiffany's" - schier unendlich ist die Liste der Hollywood-Produktionen, die New York zu einem Mythos machten. In "Sundance", bei den Filmfestspielen der "Unabhängigen", spielten mehr als ein Dutzend Filme in New York - abgedreht vor dem 11. September. Aber auch Francis Ford Coppola ("Der Pate") arbeitet derzeit an seinem Drehbuch für "Megalopolis", das er mit 65 Millionen Dollar Eigenkapital zu einem Kino-Hit machen will - im Mittelpunkt das World Trade Center vor, während und nach dem 11. September. Sein Kollege Robert Altman, derzeit für seine Krimifarce "Gosford Park" hochgelobt, wird ab Mai "Voltage" auf Manhattan drehen, in den Hauptrollen der "M.A.S.H." - ähnlichen Komödie: Harry Belafonte (als General) und Bob Balaban (als Boss einer Flugzeugfabrik).

New York hat die Filmemacher stets gereizt, eben weil die Mega-City über 300 Quadratmeilen "dramatischer Kulisse" anbieten kann, wie der vor wenigen Wochen abgelöste Oberbürgermeister Rudolph Giuliani, propagierte. Allein im Jahr 2000 wurden in New York 201 Spielfilme gedreht. Für 2002 stehen bisher allerdings gerade mal ein Dutzend "New York"-Filme auf dem Programm - ernüchternde Auswirkungen der Erschütterungen vom 11. September, trotz Steuererleichterungen für die Produzenten und versprochener Unterstützung der Filmteams durch die Polizei. Das Fachblatt "Variety" verkündete für New York unlängst besorgt "the big slowdown", die "große Verlangsamung".

Szenen wie jene kürzlich vor dem "Plaza Hotel" sind selten geworden: Absperrungen, Scheinwerfer. Eine Blondine, Sonnenbrille, hohe Absätze, ein kurzer Rock, rosafarbener Pulli, wiegt sich über das Pflaster: Taxifahrer treten auf die Bremse, Passanten fragen Polizisten: "Marilyn?" "Nein, Angelina". Die Jolie stand in Manhattan für eine Komödie vor der Kamera - als überhebliche, selbstverliebte Fernsehreporterin, die sich von einer Wahrsagerin die Zukunft deuten lässt. Was sie zu hören bekommt, ist nicht gerade lustig: Sie wird in wenigen Tagen sterben. Plötzlich sieht die Welt ganz anders aus - so wie nach dem 11. September auch für die New Yorker Film- und Theaterschauspieler:

Durchschnittlich sind in New York 85 Prozent der rund 15 400 Bühnenschauspieler arbeitslos. Jene, die jährlich rund acht Wochen lang ihren erlernten Beruf ausüben können (und dafür durchschnittlich 8400 Dollar kassieren), zählen zu den Privilegierten, die freilich ebenfalls jobben müssen um ihrem Traum von Bühne oder Film nachhängen zu können. Viele dieser Jobs, vor allem in Restaurants und Hotels, als Kellner, Barkeeper oder Hostess, sind jedoch zusammen mit den Twin Towers verschwunden - der Tourismus ist eingeknickt, rund 15.000 "McJobs" gingen verloren. Eine gewaltige Krise also, auf die die New York verbundenen Stars wie Woody Allen, Kevin Smith und Spike Lee, Komiker Jerry Seinfeld oder Regisseur Martin Scorsese sofort reagierten: Sie machen PR für ihre Stadt. In Kurzfilmen, die von Miramax finanziert werden, feiern sie "den Geist von New York".

Statt Musik lassen New Yorker Hotels in den Telefon-Warteschleifen nun oft von Whoopie Goldberg und Charlie Sheen gesprochene Texte laufen, in denen die Schauspieler für den New York-Besuch werben. Denn durch die Buchung auf Manhattan, so die Botschaft, kann "irgendjemand hier weitermachen - der Koch kann kochen, der Schauspieler kann spielen..." In der ersten Mai-Woche will Robert de Niro in seinem Viertel für ausgebuchte Herbergen sorgen: Er organisiert ein "Tribeca Film Festival". 40 Feature-Filme, 20 Kurzbeiträge, so die Planung, sollen Filmschaffende und Fans anlocken. Der Gouverneur von New York, George Pataki, versprach de Niro, der auf Manhattan in mehrere Restaurants investiert hat (u.a. in den TriBeCa Grill) sogar staatliche Unterstützung: "Wir werden dafür sorgen, dass dieses Festival zu einem Hit wird."

Inzwischen wagen sich auch die verschreckten Hollywood-Schönen wieder verstärkt nach New York, zumindest melden die Späher der amerikanischen Klatschblätter ihre NY-Aktivitäten: Jodie Foster hockte im "Odeon" mit "Law & Order"-Star Mariska Hargitay beim Lunch, Julia Roberts und Jennifer Lopez trafen sich bei "Campagna", Kate Hudson hockte allein mit ihrem Drink in der Bar des Royalton Hotels. Gwyneth Paltrow dinierte im "Pastis", Brad Pitt und Ehefrau Jennifer Aniston kauften bei "Henri Bendel" ein, Britney Spears shoppte Unterwäsche bei "Anthropologie". Sarah Jessica Parker teilte sich im "Aka"-Cafe mit einer Freundin ein Ham and Cheese Sandwich, ihren "Birnen"-Cocktail trank sie aber lieber allein. Robert Redford kaufte im belgischen Bäckerei/Restaurant-Import "Le Pain Quoditien" Kaffee und Kuchen, Uma Thurman bestaunte mit Tochter MayaRay die Gorillas im "American Museum of Natural History", Al Pacino und Steve Martin saßen - an getrennten Tischen - im "Sette Mezzo". Kollege Harrison Ford, von Ehefrau Melissa Mathison getrennt, warf sich derweil im Wohnungseinrichtungshaus "ABC Carpet Home" auf ein Bett - nicht aus Verzweiflung, sondern weil er die Matratze ausprobieren wollte. Später genoss er, in Begleitung einer Blondine, in der "Abaya"-Bar "Grey Goose" Wodka.

Und Don King, der schwarze Box-Promoter, dessen Haare stets so hoch stehen, als hätte er sich morgens mit einem Griff in die Steckdose frisiert, übernahm im "Sylvia's", einem Restaurant im schwarzen Harlem, die Rechnung für alle 50 Tische, einfach so. Dann rief er: "God bless America." Und New York.

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