Nachkriegs-Mehrteiler "Die Wölfe" Auf Wiedersehen, Trümmerkinder

Der grandiose TV-Dreiteiler "Die Wölfe" erzählt von Jugendlichen, die 1948 in Berlin das Überleben üben, um sich später im Wirtschaftswunderland durchzuschlagen. So eindringlich und schillernd ist die Generation Währungsreform noch nie gezeigt worden.

Oben am Himmel über Berlin brummen die Rosinenbomber, unten regiert die Tauschwirtschaft. Alles, was aus den Wolken fällt, wird am Boden sofort zur Währung. Schön, wenn an kleinen Fallschirmen die Schokolade in die Hände hungriger Kinder rieselt. Noch schöner allerdings, wenn gleich der ganze Flieger abstürzt, so dass ihn die notleidenden Kleinen vor dem Ausbrennen ausweiden können, um die wertvollen Einzelteile auf dem Schwarzmarkt zu verdealen.

Einer dieser halbwüchsigen Trupps, der während der Luftbrücke 1948 die Trümmerlandschaft Berlins mit dem Bollerwagen nach Tauschwerten abgrast, sind die "Wölfe". Ein Haufen unterschiedlicher Typen, die einander eher sachlich denn emotional verbunden sind.

Mit den Erwachsenen ist nämlich nicht mehr viel los. Entweder man hat sie komplett verloren oder sie spuken daheim wie Gespenster einer anderen Zeit herum; krakeelen in den ungeheizten Wohnungen die alten Nazi-Parolen oder kehren als Schatten ihrer selbst aus der Gefangenschaft zurück. Wie einer der Protagonisten trocken aus dem Off vermerkt: "Die Väter der einen waren im Krieg geblieben, die der anderen wären besser gar nicht wiedergekommen."

Was bleibt den Halbwüchsigen also anderes übrig als sich zu alternativen familiären Bündnissen zusammenzuraufen. Doch Familie heißt hier Verpflichtung, Freundschaft gibt es nicht für lau. Wer bei den Wölfen mitmachen will, der hat aber auch was einzubringen. Alles wird zum Tauschwert, erste Küsse gibt es in dieser Welt nur im Gegenzug für Schokoriegel.

Auch ein jüdischer Junge, der im KZ seine gesamte Verwandtschaft verloren hat, darf bei den Wölfen mitmachen. Die Gründe für die Aufnahme sind ebenfalls pragmatischer Natur: Träumt die Gang doch von einer eigenen Kneipe, und der Holocaust-Überlebende hat einfach die besseren Chancen von den Alliierten eine Schankerlaubnis ausgestellt zu bekommen. Auch hier ist der Erzähler um Sachlichkeit bemüht: "Wir mochten uns nicht, brauchten uns aber."

So wächst bei den Wölfen zusammen, was zusammengehört: Nenn es Clique, nenn es Familie, nenn es Wirtschaftsmacht.

Neuentdeckung der Generation Währungsreform

Der Dreiteiler "Die Wölfe" ist das bislang wohl eindringlichste fiktionale Porträt über die Nachkriegszeit, über die väterlosen Gründerväter der Bundesrepublik. Und wenn sich die Geschichte über vier Jahrzehnte spannt, vom Trümmer-Berlin der Währungsreformtage 1948 über das Mauerbau-Drama 1961 bis zur Grenzöffnung 1989, merkt man erst, wie wenig man bislang doch eigentlich im Fernsehen über diese Generation erfahren hat.

Klar, die großen geschichtlichen Abläufe wurden in den vergangenen Jahren zu den entsprechenden Jubiläen wieder und wieder abgespult, und pathosbeladene Erzählungen über Hunger, Entbehrung und Wiederaufbau kennt man zu Genüge. Eine psycho-ökonomische Durchdringung jener Jahrgänge, die sich in ihrer Pubertät mit dem Auflesen von Alteisen und Almosen durchgeschlagen hatten, um wenige Jahre später schon einen erstaunlichen Wohlstand angehäuft zu haben, suchte man bislang vergeblich.

Doch jetzt wird die Generation Währungsreform quasi neu entdeckt: Schon Anfang des Jahres lief mit "Die Rebellin" ein Dreiteiler, der den Wiederaufbau aus junger Perspektive zeigte und die Umbrüche der Zeit durchaus ambivalent ausleuchtete. Die ARD zeigt im März das Drama "Kinder der Flucht", in dem melodramatisch aufbereitet wird, wie die elternlose Generation der Nachkriegszeit zwangsweise autonom aufwuchs.

Und auch Fernsehmogul Nico Hofmann, dessen Produktionsfirma teamWorx Weltkriegsdramen wie "Dresden" oder "Die Flucht" gedreht hat, arbeitet zurzeit an einem großen Ensemblewerk, in dem verschiedene Trümmerkindlebensläufe zu einem großen Gesellschaftsbild verknüpft werden sollen.

Komplexe Trümmerkindsaga

Neu ist an diesen jüngsten Versuchen, Zeitgeschichte erfahrbar zu machen und in Gegenwart zu überführen, dass man historische Prozesse aus rigoros subjektiver Perspektive aufbereitet. Wunderbar risikofreudig hat das in der Literatur unlängst Oliver Storz getan.

Mit "Die Freibadclique" schrieb der Journalist, Schriftsteller und Regisseur, selbst Jahrgang 1929, ein extrem modernes, provokant lässiges und vielschichtiges Buch – einen Pubertätsroman über die letzten Tage des Krieges und die ersten des Neuanfangs. Schwüle Tagträume vermischen sich hier mit dem aufreibenden Überlebenskampf. An den Straßen hängen aufgeknüpfte Deserteure, aber der jugendliche Held wird nicht von Alpträumen, sondern von Visionen eines Mädchens im roten Badeanzug verfolgt. Darf man so von den Schrecken der Zeit erzählen?

Man darf nicht nur, man muss. Und so ist es löblich, dass die Brüder Friedemann (Regie) und Christoph (Buch) Fromm in ihrem Großprojekt "Die Wölfe" auf jegliche staatstragende Feierlichkeit verzichten, dafür aber durchaus in die verqueren Gefühlswelten ihrer Helden hinabsteigen. Es durfte ja befürchtet werden, dass in diesem Dreiteiler, mit dem das ZDF seine Festivitäten zum 60. Gründungstag der Bundesrepublik beginnt, die Lebensläufe nur dazu dienen, die zentralen deutsch-deutschen Daten menschelnd auszuschmücken.

Doch jede einzelne Figur entwickelt eine schillernde Größe, die weit über ihre symbolische Funktion hinausweist. Man nehme nur den Holocaust-Überlebenden Jakob (unter anderem von Matthias Brandt verkörpert), der 1948 noch schwört, nie wieder hinter Stacheldraht zu gehen, aber nach der Teilung Deutschlands über eine unglückliche Verkettung als Überwachungsspezialist ausgerechnet bei der Stasi landet.

Oder man nehme die Figur des Bernd (unter anderem von Axel Prahl verkörpert), der sich vom charmanten Schwarzmarkt-Checker zum Wirtschaftswunderraffke wandelt, dabei aber weniger von Gier als von unstillbarer Sehnsucht nach heiler Welt und heiler Familie getrieben zu sein scheint.

Was als konventionelles Doku-Drama mit viel historischem Bildmaterial angekündigt wurde, entwickelt sich auf diese Weise zu einer komplexen Trümmerkindsaga, die einen ganz und gar ungefälligen Einblick ins Seelenleben der Bundesrepublik gewährt. So wurden wir, was wir sind.


"Die Wölfe": Donnerstag, 29. Januar, 21.00 Uhr, 2. Und 3. Februar, jeweils 20.15 Uhr, ZDF

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