Nahost-Debatte Fernsehen raus aus dem Heiligen Land!

Israelischer Siedler, palästinensischer Demonstrant: Monsterstück auf Provinzbühne
Foto: SAIF DAHLAH/ AFPWenn Deutsche Israel kritisieren, sind antisemitische Tendenzen programmiert, oder? Die SPIEGEL-Reporter Erich Follath und Henryk M. Broder hatten sich dieses heiklen Themas angenommen - als Freunde, was sie nicht daran hinderte, vom Dialog zum Angriff überzugehen. Dokumentiert ist der per Brief ausgetragene Streit in dem Buch "Gebt den Juden Schleswig-Holstein!"(siehe Kasten links). Wie aber stehen die Kontrahenten zum Thema Palästina? Schließlich ist die Frage, wie die dortigen Kämpfe beendet werden können, zentral. Henryk M. Broder hat eine klare Meinung - und formuliert sie im folgenden Brief. Am Mittwoch antwortet ihm Erich Follath.
Lieber Herr Follath,
nun ist unser kleines Buch auf dem Markt, und wir bleiben aneinander auf ewig verbunden - wie Marx und Engels, Hermann und Dorothea, Knaus und Ogino, Tünnes und Schäl, die Schöne und das Biest. Mir hat die Auseinandersetzung mit Ihnen großen Spaß gemacht. Sie sind kein Übelnehmer, man kann sich mit Ihnen fetzen, ohne dass Sie sich beleidigt abwenden. Und Sie haben an keiner Stelle die rote Linie überschritten, Israels Existenz und Existenzrecht in Frage gestellt.
Dennoch muss ich feststellen, nachdem ich unsere Briefe auf einen Rutsch gelesen habe: Ich habe recht, und Sie irren sich. Ich vermute, Sie sehen das genau umgekehrt, was aber an der Sache nichts ändert.
Mir ist auch aufgefallen, dass wir beide uns um einen Punkt herumdrücken: eine klare Aussage, wie der Kampf um Palästina beendet werden könnte, mit friedlichen Mitteln und so, wie Amos Oz es mal gesagt hat, dass beide Seiten mit der Lösung unzufrieden sind, weil das der Beleg wäre, dass es ein gerechter Kompromiss war.
Ich habe dazu nichts gesagt, weil ich eine Allergie gegen alle Ratgeber und Wegweiser habe, die anderen sagen, wo's lang geht. Anders als unsere marxistischen Freunde, die sich darauf spezialisiert haben, die Welt zu verändern, bin ich überzeugt, dass es wichtiger ist, die Welt zu begreifen und zu beschreiben. Es ist wie bei der Klimadebatte: Der menschliche Faktor wird gewaltig überschätzt. Gewiss haben Stalin, Hitler, Mao und Ajatollah Chomeini die Welt verändert, aber wenn der menschliche Faktor so relevant wäre, wie er immer dargestellt wird, hätte uns zumindest Hitler erspart bleiben müssen. Was taugt eine Hochkultur, wenn sie sich von einem Irren in den Abgrund führen lässt?
Geschichte, das hat schon Theodor Lessing gewusst, ist immer eine "Sinngebung des Sinnlosen", eine retroaktive Übung. Ich finde es sehr unterhaltsam, wie viel Mühe christliche und jüdische Gelehrte darauf verwenden, den Holocaust zu erklären. Warum er passiert ist, warum er ausgerechnet von Deutschen exekutiert wurde, denen man so eine Schweinerei am wenigsten zugetraut hätte, warum die Welt zugeschaut und kaum etwas unternommen hat.
Für die einen ist der Holocaust der definitive Gottesbeweis, für die anderen der ultimative Beleg, dass es Gott nicht gibt. Wie wäre es mit einer ganz einfachen, aber doch universalen Erklärung: Shit happens. Mal trifft es die Hereros, mal die Juden; dann sind die Armenier dran und zuletzt die Bewohner der Provinz Darfur. Wenn es Gott gibt, dann ist er ein Zocker, der gerne würfelt. Und dann schickt er sein Bodenpersonal los, um die Würfel wieder einzusammeln.
Was mir dabei auffällt - und ich nehme an, Sie werden mir nicht widersprechen, weil es um reine Empirie geht: Die Juden sind erstaunlich oft an der Reihe, als würden sie sich immer wieder in einer Schlange anstellen. Deswegen ist das Gerede von der Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Holocaust Unsinn. Deswegen liegt die traditionelle Antisemitismus-Forschung daneben, wenn sie fragt, warum Juden verfolgt werden, statt zu fragen, warum Juden verfolgt werden.
In den Pogromen des Kosakenführers Bogdan Chmielnicki kamen über hunderttausend Juden ums Leben, eine für damalige Zeiten (1648) ungeheure Zahl. Eigentlich hatte es Chmielnicki auf den polnischen Landadel abgesehen; die Juden, die er unterwegs traf, nahm er einfach mit. Vor 350 Jahren wurden sie ganz individuell in Handarbeit geschlachtet, in Auschwitz geschah es anonym und wie am Fließband. Soll das der entscheidende Unterschied sein, der den Übergang von der normalen Barbarei zum Zivilisationsbruch markiert?
Israel ist nicht als Reaktion auf den Holocaust gegründet worden, der Holocaust war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, ein Fass, das 2000 Jahre lang mit dem Blut der Juden gefüllt wurde - wenn Sie mir diese dramatische Metapher erlauben.
Trotzdem - und da stimme ich Ihnen zu - bedeutet Israel nicht die Lösung der Judenfrage, sondern nur ihre Verlagerung aus Europa in den Nahen Osten. Wobei man eher von einem System kommunizierender Röhren sprechen sollte, die zeitverzögert funktionieren, denn die Judenfrage ist dabei, aus dem Nahen Osten nach Europa zurückzuschwappen. War der "Judenstaat" für Theodor Herzl ein "Versuch der modernen Lösung der Judenfrage", soll die moderne Judenfrage heute durch die Auflösung Israels gelöst werden.
Die Judenfrage bleibt unlösbar
Glauben Sie nur einen Moment daran, dass es klappen könnte? Dass die Antisemiten mit dem Ende des Judenstaates aufhören würden, die Juden zu hassen, so wie sie mit dem Ende der jüdischen Existenz im judenreinen Europa nach 1945 aufgehört haben, den Juden böse zu sein?
Die Judenfrage "aber ist und bleibt unlösbar", hat schon Theodor Lessing 1932, ein Jahr vor seiner Ermordung, geschrieben. Seitdem hat sich an der Unlösbarkeit der Judenfrage nichts geändert.
Haben Sie mal, lieber Kollege Follath, nachgezählt, wie viele Pläne es zur Lösung der Juden- beziehungsweise Palästina-Frage seit 1917 (dem Jahr der Balfour-Erklärung) gegeben hat? Hunderte? Tausende? In jedem Falle wäre Ihre Bibliothek nicht groß genug, um all die Bücher, Dissertationen, Pläne und Resolutionen aufzunehmen, die über die Palästina-Frage geschrieben, entworfen und verabschiedet wurden.
Zuletzt hat es sogar die Evangelische Akademie Bad Boll (EABB) versucht und eine Tagung mit dem Titel "Partner für den Frieden - Mit Hamas und Fatah reden" in ihr Programm aufgenommen. Denn bis jetzt hat niemand mit der Fatah und der Hamas geredet - auch die Fatah nicht mit der Hamas beziehungsweise umgekehrt. Und die ganze Welt wartete ungeduldig auf ein Signal aus Bad Boll.
Zu dieser Tagung wurde auch ein Hamas-Minister aus Gaza eingeladen, ungeachtet der Tatsache, dass die Hamas von der EU als terroristische Organisation geführt wird, was wohl nicht ganz verkehrt ist, wenn man einen Blick in die Hamas-Charta wirft, in der ganz klar gesagt wird, wie die Hamas sich den Weg zum Frieden vorstellt - in einem islamischen Gottesstaat nach der Befreiung von ganz Palästina von der zionistischen Besatzung.
Davon unbeeindruckt erklärte der Leiter der EABB, man wolle "über die Fronten in Nahost hinweg Konzepte für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts suchen". Es sei besser, "dass man miteinander redet als aufeinander schießt"; deswegen habe man einen "Vertreter des gemäßigten Hamas-Flügels" eingeladen, der zwar "nicht die Legitimität", dafür aber "die Faktizität des Staates Israel" anerkennt.
(Was, unter uns gesagt, ein enormes Entgegenkommen bedeutet, obwohl er sich in Gaza nur auf einen Hügel stellen und ein wenig strecken müsste, um die "Faktizität" Israels mit bloßem Auge zu erkennen.)
Spüren Sie, lieber Kollege, den Geruch, der solchen Stellungnahmen entströmt? Diese Mischung aus Wichtigtuerei, Größenwahn, Präpotenz und masturbatorischer Hingabe?
Auch die Linkspartei hat sich, nach endlosen parteiinternen Debatten, zum "Existenzrecht Israels" bekannt, unter gewissen Bedingungen natürlich, die im Einzelnen noch verhandelt werden müssten. Finden Sie das ebenso komisch wie ich? Ob die Linke "Reichtum für alle!" fordert, sich zum "Existenzrecht Israels" bekennt oder zum Verzicht auf Fernreisen aufruft, ist geopolitisch ebenso relevant wie die Frage, ob Sie mit dem rechten oder linken Bein zuerst morgens das Bett verlassen oder ich den Tag mit dem Lied der Deutschen oder der Hatikva anfange.
Aber die Genossen und Genossinnen können nicht anders, die müssen den Juden immer hinterherhecheln wie ein Vampir einer menstruierenden Jungfrau. Die werden mit den Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern nicht fertig, aber sie wissen, wie der Nahe Osten befriedet werden muss.
Die Schamlosgikeit der LINKEn
Dabei stellt sich die Linkspartei nicht besonders geschickt hat, sie ist nur ganz besonders schamlos. 1989, als die sieche Führung der DDR plötzlich ihr Herz für Israel entdeckte, soll Frau Dr. Angelika Timm, Dozentin an der Ostberliner Humboldt-Universität für "Israelwissenschaft", den Wunsch gehabt haben, erste Botschafterin der DDR im Judenstaat zu werden. Sie hatte sich für diese Aufgabe mit Arbeiten qualifiziert, in denen sie alle Schuld am Nahost-Konflikt Israel anlastete, das sich vorgenommen hatte, "die erdölreiche Nahostregion mit dem Suezkanal wieder fest in imperialistischen Griff zu bekommen ( ) und die Hegemonie Israels über den Nahen Osten langfristig abzusichern". Zwanzig Jahre später hat sie es geschafft, als Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv bringt sie jetzt den Israelis demokratische Manieren bei, so gut wie es eine gewendete Überzeugungstäterin kann, die ganz nah am Gegenstand ihrer Leidenschaft bleiben möchte.
"Na und?", werden Sie jetzt sagen, ist eben eine bewegte Frau und eine akademische Opportunistin, die in jedem System einen Platz an der Sonne findet. Das stimmt. Und sie ist auch nicht das erste Fähnchen, dem es egal ist, woher der Wind weht. Aber würden wir uns nicht aufregen, wenn ein Pädophiler ausgerechnet zum Leiter eines Knabenchors ernannt würde? Okay, ist auch schon passiert. Aber wirklich in Ordnung war das nicht.
Natürlich ist Frau Dr. Timm überzeugt, einen Beitrag zur Lösung des Nahost-Konflikts zu leisten. Das sind auch der Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll und die jungen Demonstranten, die letztes Jahr gegen den Krieg in Gaza demonstriert und dabei "Hamas, Hamas, Juden ins Gas!" und "Zionisten raus aus Palästina!" gerufen haben. Reine Herzen und schmutzige Hände kommen prima miteinander aus.
Der Nahe Osten ist das Legoland der Geopolitik. Eine Provinzbühne, auf der ein Monsterstück inszeniert wird, sozusagen "Die letzten Tage der Menschheit" in der Augsburger Puppenkiste. Was sicher auch damit zu tun hat, dass Israelis und Palästinenser nicht bereit oder nicht willens sind, den Konflikt untereinander zu lösen. Was wiederum daher kommt, dass zu viele Strippenzieher und Vermittler hinter den Kulissen wurschteln und ihre "Hilfe" anbieten. Allein in der Westbank sind über tausend NGOs aktiv, die sich gegenseitig auf die Füße treten.
Und so wie in Deutschland rund um die Armut eine Armutsindustrie entstanden ist, die davon lebt, dass sie die Armen versorgt, hat sich in Israel und in den palästinensischen Gebieten eine Friedensindustrie etabliert, die davon lebt, dass es keinen Frieden gibt. Auch die meisten israelischen Friedensinitiativen wie "Betselem", "Breaking the Silence" oder "Women in Black" werden von europäischen oder amerikanischen Organisationen subventioniert, ohne deren Hilfe sie nicht einmal die Flugblätter drucken könnten, die sie in den Fußgängerzonen verteilen.
Alle diese Aktionen, Initiativen und Projekte sind nicht dazu da, dem Frieden den Weg zu ebnen, sondern den Status quo zu konservieren. Ihr einziger Zweck ist es, ein paar hundert oder auch tausend Aktivisten ein sicheres Aus- und Einkommen zu garantieren. Es sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die sich für erledigt erklären müssten, wenn sie ihr erklärtes Ziel jemals erreichen würden. Sie streben dem Horizont zu, wissend, dass sie ihn nie erreichen werden.
Platzverweis für Geschäftemacher
Deswegen müssten, soll der Frieden eine Chance haben, die Nutznießer des Unfriedens vom Platz gewiesen werden: die ausländischen Stiftungen, die israelischen und die palästinensischen NGOs, vor allem aber die UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, "ein temporäres Hilfsprogramm", das seit 60 Jahren die palästinensischen Flüchtlinge versorgt. Waren es Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre etwa 900.000 Menschen, so sind es heute mehr als 4,5 Millionen. Das heißt, die Zahl der anerkannten Flüchtlinge hat sich verfünffacht. Auf Deutschland übertragen würde es bedeuten, dass heute etwa 60 Millionen Vertriebene in den Grenzen der Bundesrepublik leben, die versorgt werden müssen, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können.
Die UNRWA ist aber nicht nur ein extrem langlebiges "temporäres Hilfsprogramm", sie ist mit etwa 29.000 Beschäftigten auch der größte Arbeitgeber in der Region. Im Jahre 2006 hatte sie ein Budget von fast 950 Millionen Dollar, die etwa zu gleichen Teilen von der Uno und der EU zur Verfügung gestellt wurden.
Mit den Milliarden, die seit der Gründung der UNRWA ausgegeben wurden, um das Los der Flüchtlinge zu erhalten, hätten die Flüchtlinge aus den Lagern geholt und dauerhaft rehabilitiert werden können. Dem steht das Selbsterhaltungsinteresse der UNRWA entgegen, die immer mehr Geld braucht und immer mehr Mitarbeiter beschäftigt, um immer mehr Flüchtlinge versorgen zu können.
Ein Ende dieser Wahnsinnsspirale ist nicht in Sicht, es sei denn, die UNRWA wird aufgelöst. Ich weiß, lieber Kollege Follath, dass dies etwa so wahrscheinlich ist wie eine Bankrotterklärung des Vatikans als Reaktion auf die Missbrauchswelle. Allerdings: Auch zwei Tage vor dem Mauerbau hatte niemand mit einem solchen Ereignis gerechnet. Die Regierung von Kanada hat im Januar dieses Jahres angekündigt, dass sie keine Beiträge mehr zur Finanzierung der UNRWA leisten wird. Ist doch immerhin ein Anfang, oder?
Sobald also die NGOs, die Stiftungen und die UNRWA ihre Tätigkeit eingestellt haben, werden sich sowohl die Israelis wie die Palästinenser auf die neue Realität einstellen müssen - ohne Mediatoren, ohne Sponsoren, ohne Friedrich Ebert, Friedrich Naumann, Hanns Seidel und Rosa Luxemburg.
Israel ist ein reiches Land, es braucht keine auswärtige Hilfe, es wird im eigenen Interesse den Palästinensern wirtschaftlich unter die Arme greifen müssen. Menschenwürdige Verhältnisse in Gaza herzustellen wird weniger kosten, als der letzte Krieg gekostet hat. Die Westbank hat eine Infrastruktur, die nur ausgebaut werden muss. An Kapital und Know-how gibt es keinen Mangel.
Und damit die Israelis und die Palästinenser begreifen, dass sie es nur miteinander schaffen können, muss der ewige Showdown beendet werden. Sie wissen doch, lieber Kollege, dass die spontanen Demos immer im Voraus angekündigt werden und zu festen Zeiten stattfinden - damit sie in den USA in die Hauptnachrichten kommen. Also muss das Fernsehen für eine Weile aus dem Heiligen Land verbannt werden. Ich weiß, es klingt gaga, aber wir haben es nicht mit einer Berichterstattung über Ereignisse zu tun, sondern mit Ereignissen, die für das Fernsehen inszeniert werden.
Als ich vor einigen Wochen in Israel war, rief der Mufti von Jerusalem die Muslime dazu auf, massenhaft in die Stadt zu kommen, um die Juden daran zu hindern, die Al-Aksa-Moschee zu besetzen. Er wollte, dass Bilder um die Welt gehen, wie israelische Soldaten arabische Jugendliche zusammenschlagen, Tote und Verletzte inklusive. Leider oder Gott sei Dank hatte er sich verrechnet. Die Muslime hatten seinen Aufruf so verstanden, wie er gemeint war: als Provokation, und waren daheim geblieben. Der Krawall fand nicht statt, und die TV-Teams mussten abziehen.
Ich denke, ich muss an meinem Friedensplan noch ein wenig feilen. Aber machen Sie sich keine Sorgen: wir beide werden weiter aus dem Heiligen Land über Israel und die palästinensischen Gebiete berichten können. Sie von der einen, ich von der anderen Seite. Wir werfen einfach eine Münze. Kopf oder Zahl. Haifa oder Hebron. Jericho oder Jerusalem. Schalom oder Salam.