Fotografie-Ikone Mr. Allard, wie gelingen Ihnen solche Fotos?

Bill Allard prägte die Bildsprache von "National Geographic" wie kaum ein Zweiter: Hier spricht der Fotograf über die Nachteile der Digitalisierung und den perfekten Fotomoment.
Von Florian Sturm
Zur Person
Foto: Kent Kobersteen/ Getty Images

William Albert "Bill" Allard wurde 1937 als Sohn schwedischer Einwanderer in Minneapolis, Minnesota geboren. Er zählt bis heute zu den renommiertesten Dokumentarfotografen der USA und den prägendsten Figuren bei "National Geographic". Seine große Faszination gilt dem Mittleren Westen: Cowboys, die weite Prärie und ein ur-amerikanischer Lebensstil sind seine Themen. Doch in seiner 55-jährigen Karriere widmete Allard sich auch zahlreichen weiteren Subkulturen: den Amischen, den Hutterern, Baseballspielern aus unteren Ligen. Insgesamt hat Allard sieben Bildbände veröffentlicht und ist nicht nur als Fotograf, sondern auch als Autor tätig.
www.williamalbertallard.com 

SPIEGEL ONLINE: Herr Allard, Sie arbeiten seit 55 Jahren als Berufsfotograf. Wie hat sich die Fotografie für Sie verändert?

Allard: Die größte Veränderung gab es 2005, als Kodak die Filme, die ich verwendete, nicht länger produzierte. Zur gleichen Zeit wurde die Digitalfotografie populär. Also beschloss ich, mich daran zu versuchen. Tatsächlich geschah das direkt bei einem großen Job: Ich sollte für "National Geographic" die Hutterer fotografieren, eine Glaubensgemeinschaft, die vor allem in Kanada und den USA lebt und die ich erstmals 1969 ablichtete.

SPIEGEL ONLINE: Wie gelang Ihnen dieser Wechsel?

Allard: Es war nicht einfach. Die ersten Wochen rief ich fast täglich bei "Geographic" an und fragte die Digitalexperten, wie das alles funktionierte. Der Umgang mit der Kamera war dabei gar nicht das Problem, sondern alles, was danach an Arbeit am PC wartet.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie heute mit der Digitalfotografie zurecht?

Allard: Ziemlich gut. Dass du Feedback direkt nach der Aufnahme beim Blick auf das Display der Kamerarückseite bekommst, ist schon ziemlich cool. Allerdings raubt es der Fotografie eines ihrer schönsten Elemente.

SPIEGEL ONLINE: Welches?

Allard: Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären: Eines meiner Lieblingsbilder zeigt zwei baskische Mädchen, die 1967 im französischen Béhorléguy eine Dorfstraße hinunterlaufen. Ich stand auf dieser Straße, das Licht während der Dämmerung war fabelhaft. Plötzlich hörte ich eine Mutter aus dem Dorf rufen und ein paar Minuten später merkte ich, wie jemand angelaufen kam. Als ich mich umdrehte, sah ich diese beiden Mädchen, nahm meine Leica M4 und machte zwei Fotos. Hin und wieder hast du als Fotograf dieses Gefühl: Wenn du in einem Moment nicht alles falsch gemacht hast, wirst du ein außergewöhnliches Foto bekommen. Bis ich das Foto in den Händen hielt, vergingen jedoch Monate. Es waren ja noch analoge Zeiten. Dieses Bild dann endlich zu sehen, war wie ein Geschenk von oben. Durch die Digitalfotografie fehlt dir dieses Gefühl.

SPIEGEL ONLINE: Denken Sie auch an die besonderen Momente, die Sie nicht fotografiert haben?

Allard: Selten. Niemand bekommt wirklich alle Fotos. Es gab eine besondere Situation, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist: Es war 1966 und ich war in Houston, Texas, um den Boxkampf zwischen Cassius Clay und Cleveland "Big Cat" Williams zu fotografieren. Clay hat ihn ziemlich verprügelt, und nach dem Kampf war ich in der Kabine von Big Cat. Den Verlierer zu fotografieren schien mir interessanter. Nur Cleveland und seine Frau waren in der Kabine. Sonst niemand. Plötzlich kam ein kleiner schwarzer Pfarrer hinzu, Cleveland, ein riesiger Typ, kniete sich hin und der Pfarrer hielt seine Hand über den geneigten Kopf von Big Cat.

SPIEGEL ONLINE: Was geschah dann?

Allard: Ich weiß nicht warum, aber meine gute Erziehung, den Leuten auch ihre Privatsphäre zu lassen, kam zum Vorschein. Ich verließ die Kabine ohne ein Foto. Dieses Bild sehe ich aber noch heute vor mir.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben die Bildsprache bei "National Geographic" geprägt wie kaum ein anderer Fotograf. Insgesamt produzierten Sie mehr als 40 Reportagen für das Magazin. Wie sind Sie zum Blatt gekommen?

Allard: Über einige Umwege lernte ich Yoichi Okamoto kennen, den damaligen Bildchef der United States Information Agency. Er wurde später übrigens der erste offizielle Fotograf im Weißen Haus. Okamoto sah sich meine Bilder an und fragte, ob ich schon jemanden bei "National Geographic" gesprochen hätte. Hatte ich nicht, denn das Magazin war damals, offen gesagt, für uns junge Fotografen nicht die erste Adresse. Er stellte mich dem Bildchef vor, der mir ein Sommerpraktikum anbot. Das hat meine Karriere verändert.

Allard 2014 bei einem Rodeo in Alberta, Kanada: "Das war auch für meine Familie nicht immer einfach"

Allard 2014 bei einem Rodeo in Alberta, Kanada: "Das war auch für meine Familie nicht immer einfach"

Foto: Todd Korol/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich noch an Ihre erste Geschichte für "Geographic" erinnern?

Allard: Das war noch als 1964 als Praktikant. Es ging um die religiöse Gruppe der Amischen. Das Manuskript war fertig, und ich sollte die Bilder dafür liefern. Was ich nicht wusste: Gilka schickte außer mir noch einen der angestellten Fotografen nach Pennsylvania. Der kam jedoch ohne Bilder zurück, weil er den örtlichen Bischof um Erlaubnis fragte. Der untersagte ihm das Fotografieren natürlich.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie gemacht?

Allard: Ich wusste nicht mal, dass es einen Bischof gab! Stattdessen lernte ich in der Bar meines Motels drei Typen kennen, die mit einigen Farmern der Amischen Geschäfte machten. So kam eins zum anderen, und nach etlichen Absagen hatte ich irgendwann die Erlaubnis, einen jungen Farmer mit der Kamera zu begleiten. Nach etwa einer Woche schickte ich die ersten Bilder zurück zu Gilka - und der sagte, ich sollte den gesamten Sommer dort bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Die Geschichte erschien 1965 und hat die Bildsprache des Magazins nachhaltig geprägt.

Allard: Die Fotos hatten das, was "Geographic" bis dahin fehlte: Intimität.

SPIEGEL ONLINE: Wie gelingt Ihnen das - Intimität einzufangen?

Allard: Immobilienmakler sprechen oft von den drei wichtigsten Elementen ihres Jobs: Location, Location, Location. In der Fotografie ist das ähnlich, nur geht es dort um: Zugang, Zugang, Zugang. Allerdings ist das nicht das Allerwichtigste.

SPIEGEL ONLINE: Sondern?

Allard: Zugang ist das eine, aber du musst auch akzeptiert werden. Erst dann sind die Leute bereit, dir die Bilder zu geben, die du brauchst.

SPIEGEL ONLINE: Nach der Geschichte über die Amischen wurden Sie fester Mitarbeiter, arbeiteten dann als freier Fotograf für das Magazin, mussten später aber auch ein Beschäftigungsverbot hinnehmen und kamen später zu "Geographic" zurück. Warum dieses Auf und Ab?

Allard: Ich habe das Talent, mir das Leben unnötig schwer zu machen. Zum Beispiel, indem ich durchaus angebrachte Kritik zum falschen Zeitpunkt an die falschen Leute weiterleite.

Festival La Gacilly Baden Photo

Bill Allard ist diesjähriger Artist-in-Residence beim größten Open-Air-Fotofestival Europas, dem Festival La Gacilly Baden Photo, das noch bis zum 30. September im französischen La Gacilly und dem österreichischen Baden stattfindet.
www.festival-lagacilly-baden.photo 

SPIEGEL ONLINE: Was war passiert?

Allard: 1982 beschwerten sich einige "Geographic"-Redakteure auf dem Jahrestreffen, dass sie nicht mehr erster Klasse fliegen konnten. Ich war einige Wochen zuvor aus Peru zurückgekommen und meine Geschichte wurde ziemlich nachlässig behandelt. Gleichzeitig war meine Ehe in die Brüche gegangen und auch Drogen spielten eine Rolle. Da brannten mir die Sicherungen durch, obwohl ich bei dem Meeting gar nichts zu suchen hatte, und ich sagte: "Leute, mir geht's nicht um Erste-Klasse-Flüge, sondern darum, dass erstklassig mit meinen Fotos umgegangen wird." Daraufhin wurde ich gefeuert.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das Leben durch die Dokumentarfotografie intensiver erlebt als andere Menschen?

Allard: Als ich noch aktiv Aufträge annahm, definitiv. Selbst wenn ich nach Hause kam, war ich irgendwie noch immer an den Orten, in der Atmosphäre, die ich gerade zurückgelassen hatte - das war auch für meine Familie nicht immer einfach.

Spiegel Online: Was bedeutet Fotografie für Sie heute?

Bill Allard: Ich möchte das Publikum meiner Bilder mit den Leuten auf den Fotos vertraut machen - selbst wenn geografische, sprachliche oder kulturelle Grenzen zwischen ihnen liegen.

Im Video: "National Geographic"-Fotografen: Berühmte Bilder und ihre Geschichte

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