
Nick Brandt: Tiere mit Gesicht
Naturfotograf Nick Brandt "Es geht mir um das Wesen der Tiere"
Frage: Herr Brandt, was fasziniert Sie so an Wildlife-Fotografie?
Nick Brandt: Ich würde diesen Begriff nicht gebrauchen, weil er etwas impliziert, das wir unzählige Male gesehen haben: dokumentarische Farbfotos von Tieren in actionreichen und dramatischen Momenten, mit Teleobjektiv aufgenommen. Ich dagegen fotografiere in Schwarz-Weiß und ohne Teleobjektiv. Mir geht es um eine persönliche, subjektive Sicht auf das Wesen der Tiere, nicht auf das, was sie tun.
Frage: Wie sind Sie dazu gekommen?
Brandt: Ich wollte meiner leidenschaftlichen Liebe zu den Tieren Ausdruck verleihen - und meiner zunehmenden Verzweiflung. Ich verliebte mich in den Osten Afrikas und dessen Tiere, als ich 1995 dort das Musikvideo zu Michael Jacksons "Earth Song" drehte. In den Folgejahren kehrte immer wieder dorthin zurück. Im Jahr 2000 machte ich dann erstmals ernsthaft Bilder.
Frage: Hat sich im Lauf der Jahre Ihr Blick auf die Natur verändert?
Brandt: Ja. Heute betrachte ich die Natur dort mit mehr Trauer und Angst, weil es jedes Jahr weniger zu sehen gibt. Der Verlust vollzieht sich noch schneller als ich befürchtet habe.
Frage: Worauf kommt es Ihnen beim Fotografieren an?
Brandt: Meine Porträts sollen die Persönlichkeit der Tiere vermitteln, den Moment einfangen, in dem sie sich scheinbar selbst in Szene setzen. Für mich hat jedes Wesen, menschlich oder nicht, das gleiche Recht zu leben. Und dieses Gefühl, der Glaube daran, dass ein Tier und ich gleichberechtigt sind, berührt mich jedes Mal, wenn ich fotografiere. Bei den panoramaartigen Bildern versuche ich die Tiere im Kontext ihrer Lebenswelt abzubilden - ganz gleich ob sie dem Paradies gleicht oder rau ist, kahl und unfruchtbar.
Frage: Wie gehen Sie dabei vor?
Brandt: Ich fahre viel herum, aber die meiste Zeit warte ich auf die seltenen, richtigen Augenblicke, in denen alles stimmt: Tiere, Licht und Landschaft.
Frage: Welche Konflikte beobachten Sie vor Ort?
Brandt: Die Menschen üben einen enormen Druck auf das Land aus. Weil die Bevölkerung so schnell wächst, werden die Gebiete um die Reservate in Acker- und Weideland umgewandelt. Natürlich bleiben die Tiere in freier Wildbahn nicht innerhalb der Reservatsgrenzen, sondern ziehen in Gebiete, die bis vor kurzem noch Savanne waren, jetzt aber der Sojaanpflanzung und als Weide dienen. Oft werden sie dann getötet; einige Menschen schützen ihr Land und ihre Herden, andere sehen in ihnen billiges Fleisch. Und dann gibt es da noch die Chinesen, die neuen Kolonialisten Afrikas. Von dort gibt es eine explodierende Nachfrage nach Elfenbein. Die Chinesen sind verantwortlich dafür, dass plötzlich wieder massiv nach Elfenbein gewildert wird.
Frage: Wie viel Elefanten werden deswegen jährlich getötet?
Brandt: Den Schätzungen nach werden jährlich etwa zehn Prozent der afrikanischen Elefanten ausgerottet, also etwa 30.000 Elefanten. Die Wildreservate bieten da nur minimalen Schutz. Man könnte sie einzäunen, doch das wäre mit riesigen Kosten verbunden und würde die Tiere auf ihren Migrationspfaden behindern.
Frage: Was wäre die richtige Konsequenz?
Brandt: Wir dürfen nicht aufgeben und jede Hoffnung verlieren. Wie in den siebziger Jahren das Wildern nach Elfenbein unter Kontrolle gebracht wurde, so könnten wir auch heute mit starkem Willen sowie finanzieller Unterstützung von privaten Gruppen und Regierungen die Zerstörung verlangsamen und einen entscheidenden Teil der Schönheit, die noch übrig ist, bewahren.
Das Interview führte Anna Wander, seen.by
Nick Brandt: "A Shadow Falls - Schatten über der Wildnis", Knesebeck Verlag, September 2009; Ausstellung "Nick Brandt", Camera Work, Berlin, 7.11.2009 - 16.1.2010.